Umkleidezeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit
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Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Bert Howald nimmt zur Frage Stellung, ob und wann Umkleidezeiten vom Arbeitgeber vergütet werden müssen.
Ist das An- und Ablegen der Dienstkleidung Arbeitszeit?
Nicht jede Umkleidezeit ist auch vergütungspflichtig oder zur Arbeitszeit zu rechnen.
Für die Einordnung, ob Umkleidezeiten Arbeitszeiten sind, kommt es zunächst einmal darauf an, ob der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt. Aber auch dies reicht nicht als Abgrenzungsmerkmal aus. Maßgeblich ist weiter, ob das Tragen der Kleidung fremdnützig ist, also dem Interesse des Arbeitgebers dient.
Umkleidezeiten – so das Bundesarbeitsgericht – sind Arbeitszeit, wenn sie als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dienen und nicht vorrangig das eigene Bedürfnis erfüllen, etwas anzuhaben, also Fremdnützigkeit vorliegt.
Bundesarbeitsgericht v. 17.11.2015 – 1 ABR 76/13
Das An- und Ablegen einer vorgeschriebenen Dienstkleidung ist nicht lediglich fremdnützig und damit nicht Arbeitszeit, wenn sie zu Hause angelegt und – ohne besonders auffällig zu sein – auf dem Weg zur Arbeitsstätte getragen werden kann. An der ausschließlichen Fremdnützigkeit fehlt es auch, wenn es dem Arbeitnehmer gestattet ist, eine an sich besonders auffällige Dienstkleidung außerhalb der Arbeitszeit zu tragen, und er sich entscheidet, diese nicht im Betrieb an- und abzulegen.
Es kommt also darauf an, ob das An- und Ablegen der Dienstkleidung im Betrieb erfolgt oder ob die Kleidung bereits zuhause angelegt und deshalb auf dem Weg von und zur Arbeit getragen werden muss. Wenn dies der Fall ist, kommt es nach der Rechtsprechung darauf an, ob das Tragen der Kleidung auf dem Arbeitsweg zumutbar ist oder nicht.
Bundesarbeitsgericht v. 10. 11. 2009 – 1 ABR 54/08
Eine Zumutbarkeit soll dann nicht mehr gegeben sein, wenn der Arbeitnehmer als solcher im öffentlichen Raum erkennbar ist und die Kleidung deshalb besonders auffällig ist. Eine besonders auffällige Dienstkleidung soll dann gegeben sein, wenn der Arbeitnehmer im öffentlichen Raum aufgrund der Ausgestaltung seiner Kleidungsstücke ohne Weiteres als Angehöriger seines Arbeitgebers erkannt werden kann. Eine solche Zuordnungsmöglichkeit besteht auch bei einer unauffälligen Farbgestaltung der Dienstkleidung, wenn auf dieser ein Emblem oder Schriftzüge angebracht sind, die aufgrund ihrer Bekanntheit in der Öffentlichkeit mit einem bestimmten Rechtsträger oder einer Unternehmensgruppe in Verbindung gebracht werden. Hierfür kommt es – unabhängig von der Größe der Schriftzüge oder Logos – nur auf deren Erkennbarkeit an.
Bundesarbeitsgericht v. 17.11.2015 – 1 ABR 76/13
Beispiele:
- Arbeitskleidung eines Mitarbeiters einer großen schwedischen Möbelhauskette mit gelben Farbelementen (BAG, NZA-RR 2010, 301)
- Mitarbeiter des öffentlichen Personennahverkehrs – Straßenbahnfahrer (BAG v. 19.03.2014 – 5 AZR 954/12; BAG v. 17.11.2015 – 1 ABR 76/13)
Muss der Arbeitgeber das Umkleiden gesondert bezahlen?
Vergüten muss der Arbeitgeber grundsätzlich jede Tätigkeit, die mit der Arbeit unmittelbar zusammenhängt. Denn der Arbeitgeber verspricht die Vergütung dafür, dass der Arbeitnehmer macht, wozu er vom Arbeitgeber angehalten wird. Dies ist auch in § 611 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) angelegt, der so aussieht:
„Durch den Dienstvertrag wird derjenige, welcher Dienste zusagt, zur Leistung der versprochenen Dienste, der andere Teil zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet.“
Die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers knüpft also an die Leistung der „versprochenen Dienste“ an, und nicht direkt an die Frage, in welcher Zeit der Arbeitnehmer etwas „tut“. Zu den „versprochenen Diensten“ im Sinne des § 611 BGB gehört nach der Rechtsprechung nicht nur die eigentliche Tätigkeit, sondern
„jede vom Arbeitgeber im Synallagma verlangte sonstige Tätigkeit oder Maßnahme, die mit der eigentlichen Tätigkeit oder der Art und Weise ihrer Erbringung unmittelbar zusammenhängt. Der Arbeitgeber verspricht regelmäßig die Vergütung für alle Dienste, die er dem Arbeitnehmer aufgrund seines arbeitsvertraglich vermittelten Direktionsrechts abverlangt. „Arbeit“ als Leistung der versprochenen Dienste i. S. d. § 611 Abs. 1 BGB ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. …“
BAG Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 2013, 1158
Da der Vergütungsanspruch aber nicht zwingend an die Zeit, die für die Tätigkeit benötigt wird, geknüpft sein muss, kommen durchaus auch pauschale Abgeltungen über den Grundlohn oder andere Arten der Abgeltung in Betracht.
- Abschließende Regelung in Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung
Ist in einem Tarifvertrag abschließend geregelt, dass die Vergütung für Um- und Ankleiden der Dienstkleidung nicht gesondert vergütet wird, sondern mit einer anderen Vergütung abgedeckt ist, so ist das Umkleiden nicht „vergütungslos“, und eine gesonderte Vergütung wird in den meisten Fällen ausscheiden. Eine vergleichbare Regelung kann sich auch aus einer kollektiven Regelung auf betrieblicher Ebene ergeben.
- Arbeitsvertrag
Eine Regelung für die Vergütung von Umkleidezeiten kann natürlich auch im Arbeitsvertrag enthalten sein.
- Fehlende ausdrückliche Regelung
Fehlt eine ausdrückliche Regelung, so kann sich der Arbeitnehmer in den o. g. Fällen, in denen der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt, auf § 611 Abs. 1 BGB berufen.
Vergütungspflichtig ist die Zeit, die für das An- und Ablegen der Arbeitskleidung und das Zurücklegen der damit verbundenen innerbetrieblichen Wege erforderlich ist.
BAG, NZA 2014, 787
Zur Ermittlung dieser Zeitspanne kann nur die „erforderliche“ Zeit maßgeblich sein, also kein abstrakter Maßstab. „Erforderlich“ ist nur die Zeit, die der einzelne Arbeitnehmer für das Umkleiden und den Weg zur und von der Umkleidestelle im Rahmen der objektiven Gegebenheiten unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit benötigt.
BAG NZA 2014, 557; BAG, NZA 2014, 787
Der Arbeitnehmer trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass Umkleidezeiten angefallen sind, vom Arbeitgeber veranlasst wurden und im geltend gemachten Umfang erforderlich waren.
BAG, NZA 2013, 1100
Praxishinweis
Für Arbeitnehmer, denen eine Dienstkleidung vorgeschrieben ist und die bisher „leer“ ausgegangen sind, empfiehlt sich eine genaue Analyse der arbeitsrechtlichen Situation.
Dr. Bert Howald
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel, Stuttgart
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