Untersuchungshaft: Versagung der Telefonerlaubnis mit Angehörigen?

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Untersuchungshäftlinge unterliegen häufig starken Einschränkungen. Die Amtsgerichte formulieren diese in dem sogenannten Beschränkungsbeschluss zum Haftbefehl. Eine dieser Einschränkungen ist die Beschränkung der Telekommunikation. Während persönliche Besuche mit Besuchserlaubnis weitgehend problemlos möglich sind, wird die Telefonerlaubnis entweder gänzlich versagt oder – als milderes Mittel - vollständig überwacht.

Dies ist für die Betroffenen und deren Angehörige ein schwerer Einschnitt und hat große Auswirkungen auf die Zeit in der Untersuchungshaft. Gerade für Inhaftierte, welche aus dem Ausland oder schon aus einem anderen Bundesland stammen und deren Angehörige und Bezugspersonen weit entfernt leben, ist dies oftmals nahezu untragbar. Schließlich wird der persönliche Besuch in diesem Falle nur in den wenigsten Fällen überhaupt möglich sein, jedenfalls aber nicht regelmäßig.

Nun gehört es aber zu den verfassungsmäßig in Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Rechten, Kontakt zu den engsten Bezugspersonen pflegen zu können. Dies gilt selbstverständlich auch für Untersuchungshaftgefangene.


In der Praxis wurden und werden Telefongenehmigungen jedoch nur zu häufig mit der pauschalen Begründung abgelehnt, dass das Führen oder Empfangendürfen von Telefonaten „regelmäßig dem Zweck der Untersuchungshaft als auch der Anstaltsordnung widerspreche“. Als weitere Begründung, gerade bei ausländischen Inhaftierten, wird zudem noch aufgeführt, dass eine Überwachung mittels Dolmetscher aus vollzuglicher Sicht nicht erfolgen könne.

Für einen U-Häftling mit Familie im Ausland bedeutet ein solcher Beschluss faktisch keinen persönlichen Kontakt (außer dem Briefverkehr) mit seinen Angehörigen haben zu können.


Voraussetzungen für die Beschränkung der Telekommunikation (Verkürzt)

Dabei ist das Gesetz für diese Beschränkung eindeutig formuliert:

§ 119 Abs. 1 S. 1 StPO lässt eine Beschränkung während der Untersuchungshaft nur zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr zu.

Insbesondere die Verdunkelungsgefahr kann hier eine Rolle spielen.

Verdunkelungsgefahr bedeutet, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen ein dringender Verdacht besteht, dass der Betroffene auf Beweisvereitelung abzielende Handlungen vornehmen wird und deshalb die Gefahr droht, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 01.07.2017 – 2 Ws 341/17).

Der klassische Fall hierzu ist die Absprache mit Mitbeschuldigten, die Einwirkung auf Zeugen oder das Beiseiteschaffen von Beweismitteln. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass diese Gefahr in der Regel mit Abschluss der Ermittlungen abnimmt.

Eine pauschal gehaltene Begründung ohne Betrachtung des Einzelfalles, insbesondere ohne Begründung einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr durch die Genehmigung der Telefonate bzw. deren fehlende Überwachung, dürfte jedoch in jedem Falle unzulässig sein.


Aktuelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Erfreulicherweise gibt es zu diesem Thema zahlreiche (aktuelle) obergerichtliche Rechtsprechung, die diese verfassungsmäßigen Rechte der Betroffenen stärkt. Eine Beschränkung durch die Staatsanwaltschaft oder das Amtsgericht muss also keinesfalls ohne weiteres hingenommen werden.

Allen voran hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einer aktuellen Entscheidung, in der es um die Beschränkung durch akustische Überwachung von Telefonaten des Inhaftierten mit seinen Eltern ging, klare Worte gefunden:


„In Grundrechte darf nur auf gesetzlicher Grundlage eingegriffen werden. Dieser allg. rechtsstaatliche Grundsatz gilt auch für den Vollzug der U-Haft. Die Vorschrift des § 119 Abs. 1 StPO bietet grundsätzlich eine zureichende gesetzliche Grundlage für Einschränkungen grundrechtlicher Freiheiten des U-Gefangenen und – gem. § 119 Abs. 6 S. 1 StPO – auch des Strafgefangenen, für den die nach § 116b S. 2 StPO nachrangig zu vollstreckende U-Haft angeordnet ist ([…]). Die Auslegung der Vorschriften zur U-Haft hat allerdings dem Umstand Rechnung zu tragen, dass ein U-Gefangener noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb allein den unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf ([…]). Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit prägt daher den Vollzug der U-Haft in besonderem Maße (vgl. BVerfGE 34, 369 [380]; 35, 5 [9]; 35, 307 [309]).

Voraussetzung für die Zulässigkeit von Grundrechtseingriffen auf der Grundlage von § 119 StPO ist eine reale Gefährdung der in der Bestimmung bezeichneten Haftzwecke (vgl. BVerfGE 15, 288 [295]; 34, 369 [380]), der durch die Inhaftierung allein nicht ausreichend entgegengewirkt werden kann. Das Gericht muss deshalb stets prüfen, ob für das Vorliegen einer solchen Gefahr im Einzelfall konkrete Anhaltspunkte bestehen (vgl. BVerfGE 35, 5 [10]; 42, 234 [236]; 57, 170 [177]). Die bloße Möglichkeit, dass ein U-Gefangener seine Freiheiten missbraucht, reicht bei einer den Grundrechten Rechnung tragenden Auslegung des § 119 Abs. 1 StPO nicht aus, um Beschränkungen anzuordnen ([…]).

Stellt die einschränkende Maßnahme auch einen Eingriff in das Grundrecht aus Art. 6 Abs. 1 GG dar, bedarf es einer besonders ernstlichen und eingehenden, auch die Dauer der U-Haft einbeziehenden und am Kriterium der Zumutbarkeit orientierten Prüfung, ob eine Besuchsbeschränkung unverzichtbar vom Zweck der U-Haft oder der Ordnung im Vollzug gefordert wird (vgl. BVerfG, Beschl. v. 31.08.1993 a.a.O. Rn. 15). Nichts anderes kann für eine Beschränkung der Telekommunikation mit engen Familienangehörigen gelten, wenn diese für den Betr. – wie hier – eine der wenigen Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Kontakts mit seiner Familie darstellt. Bei der Anordnung von Beschränkungen in der U-Haft ist stets zu beachten, dass Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen und der in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen werteentscheidenden Norm im Haftvollzug besondere Bedeutung zukommen ([…]).“

BVerfG, Beschluss vom 15.11.2022 – 2 BvR 1139/21

[Hervorhebung durch den Beitragsverfasser, Quellenangaben verkürzt dargestellt]


Dann folgt die Bezugnahme auf die dort im Streit stehende Entscheidung, welcher eine ähnlich dürftige und ebenso abstrakte Begründung zugrunde lag:


„c) Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Die Begründungstiefe des landgerichtlichen Beschl., der vom OLG nicht beanstandet wurde, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen angesichts der insb. auf Grund der Anordnungsdauer der Beschränkungsmaßnahme schwerwiegend betroffenen Grundrechte des Bf. nicht. Dies gilt unabhängig davon, ob die in Streit stehenden Beschränkungen der U-Haft auch in verfassungsgemäßer Weise hätten angeordnet werden können.


aa) Das LG, das die vom AG angeordnete Beschränkung mit einer den veränderten Umständen entspr., modifizierten Begründung aufrechterhalten hat, führt nur unzureichend zur Gefährdung der Haftzwecke im Falle einer Aufhebung der Beschränkungsmaßnahme aus. Eine Gefährdung des Haftzwecks der Fluchtgefahr wird lediglich behauptet, die Annahme einer Verdunkelungsgefahr nicht hinreichend begründet. […]“

BVerfG, a.a.O.

[Hervorhebung durch den Beitragsverfasser]


Eine Entscheidung, welche die wesentlichen Anforderungen an die Beschränkungsmaßnahmen in der U-Haft mustermäßig darlegt.

Es bedarf einer konkreten Begründung im Einzelfall, welche hinreichend auf eine konkrete Gefahr für die Haftzwecke (i.d.R. Fluchtgefahr u. Verdunkelungsgefahr) im Falle der Aufhebung der Beschränkung eingeht. Solche Gründe müssen also vorliegen und dürfen nicht nur abstrakt behauptet werden.

Die Rechtsprechung ist weiter unmissverständlich dahingehend, dass auch die Ordnung im Vollzug sich an Art. 6 Abs. 1 GG messen lassen muss. Es ist gerade nicht so, dass ganz außergewöhnliche Gründe für die Telefongenehmigung vorliegen müssen, denn diese liegen bereits in dem Geltungsbedürfnis des Art. 6 Abs. 1 GG, wenn es um Telefonate mit Angehörigen geht.

Es bedarf umgekehrt unverzichtbarer tragender Gründe, dass die Telefongenehmigung abgelehnt werden kann.

Zu diesem Thema gibt es weitere aktuelle Rechtsprechung, die das Begründungserfordernis bei Beschränkungen von Telefonaten betont. So zum Beispiel:

  • KG (Berlin), Beschluss vom 20.10.2022 – 5 Ws 41/22
  • OLG Celle, Beschluss vom 18.02.2022 – 3 Ws 49/22
  • OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.01.2021 – 3 Ws 7-9/21

Insofern sollte sich der oder die Betroffene (und auch dessen Verteidiger) nicht durch die apodiktisch wirkenden Begründungen der Staatsanwaltschaften und Amtsgerichte einschüchtern lassen, wenn es um die Durchsetzung einer Telefonerlaubnis oder die Aufhebung der Überwachung der Telefonate geht.


Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung, eine Beschwerde oder im Ernstfall ein Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht sollte –mithilfe eines qualifizierten Verteidigers - nicht gescheut werden. Schließlich ist der Kontakt zu den Angehörigen oft das Einzige, was dem Inhaftierten in dieser schwierigen Zeit Halt gibt.


Foto(s): www.pexels.com/de-de/foto/flur-mit-fenster-1309902/

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