Wandel in der Rechtsprechung: Mehr Schutz für Kapitalanleger!

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Geschädigte Privatanleger, die sich an diejenigen Finanzfirmen wenden, deren Produkte sich als Humbug erwiesen haben, bekommen immer wieder dasselbe zu hören: Eine Falschberatung sei nicht erfolgt; die Erklärungen der Vermittler könnten der Beteiligungsgesellschaft nicht zugerechnet werden; dem Anleger sei ein erhebliches Mitverschulden anzulasten; außerdem seien die Rückforderungsansprüche verjährt. Schließlich müsse sich der Anleger im Falle eines Schadensersatzanspruchs die Steuervorteile anrechnen lassen.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass die Einwendungen nicht stichhaltig sind. Unterstützung erfährt der Anleger dabei zunehmend durch verbraucherfreundliche Urteile.

1. Prinzipiell gilt: Im Rahmen von Kapitalmarktgeschäften soll der Anleger durch den Anlageberater über alle Risiken, Chancen und Eigenschaften der Anlage aufgeklärt werden, so dass er in der Lage ist, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Dazu ist eine sorgfältige, vollständige, sachlich zeitnahe und verständliche unter Beachtung der Anlageziele, der finanziellen Verhältnisse und der Risikobereitschaft der Kunden erfolgende Aufklärung erforderlich. An diesen Vorgaben führt kein Weg vorbei.

2. Oft waren bei den Beratungsgesprächen Zeugen anwesend (z.B. Ehepartner). Außerdem gilt: In Anlagefällen muss den Anlegern, die für ein Vier-Augengespräch keinen Zeugen haben, Gelegenheit gegeben werden, ihre Darstellung des Gesprächs persönlich in den Prozess einzubringen (LG München I, Urteil vom 16.03.2010). Notfalls kann im Streitfall, um die Beweislage zu verbessern, der Anspruch an eine andere Person abgetreten werden. Dadurch kann der ursprünglich Geschädigte sozusagen in eigener Sache später vor Gericht aussagen.

3. Die Erklärungen des Vermittlers sind häufig der Anlagegesellschaft zurechenbar. Das Landgericht Hagen hat in diesem Zusammenhang (Zurechnung der fehlerhaften Anlageberatung des selbständigen Vermittlers einer Beteiligung an einer atypischen stillen Gesellschaft) mit Urteil vom 07.06.2010 wie folgt entschieden:

- Ein Beratungsvertrag in finanziellen Angelegenheiten liegt vor, wenn die Hinzuziehung einer Person als unabhängiger und individueller Berater gegeben ist, insbesondere wenn der Auftraggeber selbst nicht über hinreichende Kenntnisse verfügt, und nicht in der Lage ist, die Chancen und Risiken komplizierter Konstruktionen wie die einer Beteiligung als atypischer stiller Gesellschafter zu überblicken. Der Berater schuldet aus dem Beratungsvertrag eine anlegergerechte Beratung. Diese umfasst insbesondere die Klärung des Ziels des Anlegers, die vollständige Übermittlung der notwendigen Informationen und eine dem Kundeninteresse entsprechende Empfehlung. Er hat über alle Eigenschaften und Risiken, die für die Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sein können, zutreffend, verständlich und vollständig informieren.

- Die Pflichtverletzung eines Anlagevermittlers muss sich der Kapitalsuchende zurechnen lassen, wenn der Vermittler in seinen Seminaren geschult worden ist und eine ihm obliegende Aufgabe übernimmt.

4. Zum Einwand des Mitverschuldens: Ein Anleger, der sich umfassend beraten fühlt, darf auf die mündlichen Angaben des Beraters vertrauen und hat daher keinen Anlass, den Prospekt nach etwa von den Angaben des Beraters abweichenden Risikodarstellungen zu durchsuchen (OLG Köln, Urteil vom 25.08.2009). Der Umstand, dass der Prospekt die Risiken der Kapitalanlage beinhaltet, ist kein Freibrief für den Vermittler, Risiken abweichend hiervon darzustellen (BGH, Urteil vom 12.07.2007). Denn im Vordergrund steht die Beratung durch den - vermeintlich - seriösen und kompetenten Vermittler, der gerade bei komplizierteren Finanzprodukten weit überlegen erscheint.

Zudem ist zugunsten des Anlegers zu berücksichtigen, dass sich zumeist auch ein Vertrauensverhältnis entwickelt hat, das der Vermittler geschickt auszunutzen weiß. Will der Ratsuchende im persönlichen Gespräch informiert werden, würde ein Abstellen auf einen ihm bei dieser Gelegenheit überreichten Prospekt auf die Verpflichtung des Ratsuchenden hinauslaufen, die Qualität des persönlichen Gesprächs anhand des Prospektes zu überprüfen. Sinn und Zweck des persönlichen Informationsgesprächs würden damit ad absurdum geführt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 30.03.2006; OLG Frankfurt, Urteil vom 08.05.2007).

Fazit: Wenn der Berater den Eindruck erweckt, den Kunden fachkundig und kompetent zu beraten, kann dem Anleger nicht angelastet werden, wenn er die Ausführungen des Beraters nicht anhand des Prospektes oder Zeichnungsscheines überprüft hat. Aus diesem Grund kann dem Anleger kein Mitverschulden zur Last gelegt werden (OLG München, Urteil vom 15.11.2010).

5. Zur Verjährung: Prinzipiell beginnt die dreijährige Verjährungsfrist zu laufen ab Kenntnis der schadensersatzbegründenden Umstände. In der - später - unterbleibenden Lektüre des Prospekts kann nicht eine ungewöhnlich schwere Sorgfaltspflichtverletzung, die den Vorwurf grober Fahrlässigkeit nach sich zieht, gesehen werden, denn der Anleger darf grundsätzlich davon ausgehen, zutreffend und vollständig beraten worden zu sein und hat daher keinen Anlass, den Prospekt auf Risikohinweise hin durchzuarbeiten (OLG München, Urteil vom 06.09.2006; OLG Hamm, Urteil vom 20.11.2007; OLG Köln, Urteil vom 25.08.2009). Die Verjährung beginnt also nicht mit Übergabe des Prospektmaterials zu laufen.

6. Zum Steuerthema: Der Schaden wird grundsätzlich durch die Rückzahlung der Beteiligungssumme einschließlich des Agios Zug um Zug gegen Übertragung der Beteiligung ausgeglichen. Steuervorteile sind nicht anzurechnen, wenn der Anleger den Schadensersatz zu versteuern hat (BGH, Urteil vom 15.07.2010; OLG München, Urteil vom 09.02.2011 - atypische stille Beteiligung).

© 2011

RA Dr. Jürgen Klass

Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

Partner der Kanzlei Dr. Klüver & Kollegen

Büros in München und Rosenheim


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