Zwangsverrentung? Nein, danke!

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Wir berichteten bereits im Mai 2014 darüber, inwieweit das Jobcenter Empfängerinnen und Empfänger von ALG II vorzeitig in Rente schicken darf. Zwischenzeitlich hat das Bundessozialgericht mit Urteil vom 19.08.2015 (Az.: B 14 AS 1/15 R) darüber entschieden, dass die Aufforderung zur Beantragung von vorzeitiger Altersrente rechtmäßig ist und die Betroffenen die damit dauerhaften Abschläge, die mit einer vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente einhergehen, in Kauf nehmen müssen.

Heißt das jetzt aber nun, dass es gar keine Möglichkeit mehr gibt, sich gegen diese „Zwangsverrentung“ zu wehren? Heißt das, dass die Nachteile, die mit einer vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente entstehen, einfach so hingenommen werden müssen?

Aus unserer Sicht ist dem nicht so. Den Betroffenen ist diesbezüglich anzuraten, gute Nerven zu behalten und der Aufforderung zur Beantragung der Rente nicht nachzukommen. Es stellt sich natürlich die Frage, was dann passiert.

Das Jobcenter hat die gemäß § 5 Abs. 3 SGB II eingeräumte Möglichkeit, den erforderlichen Antrag im Namen des Betroffenen bei der Rentenversicherung zu stellen. Unsere Erfahrung zeigt, dass das Jobcenter von dieser Möglichkeit zunehmend auch Gebrauch macht.

Der Betroffene erhält dann von der Rentenversicherung eine Aufforderung, dass er die notwendigen Unterlagen, welche die Rentenversicherung für die Antragstellung und Bearbeitung bzw. Bewilligung der Rente benötigt, bei der Rentenversicherung einreichen soll. Hier ist nun Vorsicht geboten. Dieser Mitwirkungsverpflichtung sollten die Betroffenen nicht nachkommen. Wir vertreten die Auffassung, dass die Mitwirkungsverpflichtung gegenüber der Rentenversicherung nicht besteht, wenn man die Rente selbst nicht möchte.

Das Jobcenter darf die Leistungen nach dem SGB II nicht einstellen, da die Mitwirkungsverpflichtung nicht gegenüber dem Jobcenter besteht, sondern nur gegenüber der Rentenversicherung. Diese Auffassung hat nunmehr auch das Sozialgericht Dresden mit Beschluss vom 18.04.2016 (Az.: S 12 AS 1652/16 ER) in einem von uns durchgeführten Eilverfahren bestätigt.

Worum ging es?

In dem vorliegenden Fall wurde die Betroffene durch das Jobcenter aufgefordert, vorzeitige Altersrente in Anspruch zu nehmen. Nachdem unsere Mandantin dieser Aufforderung nicht nachkam, stellte das Jobcenter gemäß § 5 Abs. 3 SGB II den Antrag beim Rentenversicherungsträger in deren Namen. Im Folgenden wurde unsere Mandantin sogar durch das Jobcenter aufgefordert, ihrer Mitwirkungsverpflichtung bei der Deutschen Rentenversicherung nachzukommen, indem sie die erforderlichen Rentenunterlagen umgehend bei der Rentenversicherung einreicht. Dieser Aufforderung ist unsere Mandantin auf unser Anraten hin nicht nachgekommen. Daraufhin entzog das Jobcenter ihr sämtliche Leistungen mit der Begründung, dass sie ihrer Mitwirkungsverpflichtung nicht nachgekommen sei. Das Sozialgericht Dresden hat entschieden, dass im Rahmen der summarischen Überprüfung des Bescheids festzustellen ist, dass vieles dafür spricht, dass dieses Vorgehen rechtswidrig ist.

Zum einen schon deshalb, weil die Antragstellerin hilfebedürftig ist, da eine Rente oder anderweitiges Einkommen nicht gezahlt wird. Der Umstand, dass unsere Mandantin ausweislich der Rentenauskunft der Deutschen Rentenversicherung eine vorzeitige Altersrente erhalten könnte, mindert die Hilfebedürftigkeit nicht, denn allein die Möglichkeit, eine solche Rente von der Rentenversicherung zu erhalten, führt nicht dazu, dass tatsächlich Einkommen erzielt wird. Einnahmen sind nur dann Einkommen, wenn sie zugeflossen und geeignet sind, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken.

Das Gericht entschied weiter, dass das Jobcenter auch nicht berechtigt war, die bewilligten Leistungen mit der Begründung zu entziehen, dass unsere Mandantin ihrer Mitwirkungsverpflichtung nicht nachgekommen wäre. Das Gericht ist der Auffassung, dass die Mitwirkungshandlungen im Verhältnis zu einem dritten Leistungsträger, hier der Rentenversicherung, nicht gelten sollen.

Darüber hinaus ist im konkreten Fall auch durch das Gericht darauf hingewiesen worden, dass die Belehrung, welche dazu führt, dass Leistungen aufgrund fehlender Mitwirkungsverpflichtungen entzogen werden können, im vorliegenden Fall nicht ordnungsgemäß erfolgt ist. Es ist davon auszugehen, dass die meisten Aufforderungsbescheide zur Mitwirkung dementsprechend rechtswidrig sind. Die Hinweise sind meist nicht konkret und verständlich genug.

Dies führt also dazu, dass, solange keine Rente gezahlt wird und die Jobcenter nicht in der Lage sind, die Aufforderungsbescheide zur Mitwirkungsverpflichtung deutlich und formell richtig zu erlassen, die Leistungen nach dem SGB II nicht eingestellt werden dürfen. Im Ergebnis wird der Rentenbeginn immer weiter hinausgezögert, da der Rentenversicherung die erforderlichen Unterlagen zur Bewilligung der Rente nicht vorliegen. Diese wird dann aufgrund fehlender Unterlagen ablehnen.

Fazit

Den Betroffenen ist daher zu empfehlen, der Aufforderung zur Antragstellung der Rente nicht nachzukommen und das weitere Tätigwerden des Jobcenters abzuwarten. Sollten Bescheide mit der Aufforderung zur Mitwirkung seitens des Jobcenters ergehen, mit denen Unterlagen für die Beantragung von Rente angefordert werden, empfiehlt es sich stets, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, um zu überprüfen, ob die Bescheide tatsächlich rechtmäßig sind.

Gegenüber der Rentenversicherung sollte man den Aufforderungen nicht nachkommen und dort auch nicht die entsprechenden Unterlagen einreichen.

Dies schafft den Betroffenen Zeit, den Rentenbeginn immer weiter hinauszuzögern. Durch diesen Zeitgewinn können die Abschläge von der Rente verringert werden.

RAin Dörte Lorenz, Fachanwältin für Sozialrecht, Fachanwältin für Familienrecht, Tel. (0351) 80 71 8-56, lorenz@dresdner-fachanwaelte.de

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