Abgasskandal: Schadenersatz für alle Käufer von Fahrzeugen mit Abschalteinrichtung?

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Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) bejaht einen Schadenersatz für Käufer von Fahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung bereits dann, wenn der Hersteller fahrlässig gehandelt hat. Sollte der EuGH sich den Forderungen des Generalanwalts per Urteil anschließen (vgl. Schlussanträge v. 02.06.2022 an den EuGH, Rechtssache C-100/21), wären Schadenersatzansprüche für Fahrzeugkäufer gegen die Autohersteller im Abgasskandal künftig erheblich leichter durchsetzbar.

Bisherige Rechtsprechung in Deutschland

Bislang hatten viele deutsche Gerichte sowie der Bundesgerichtshof einen Schadenersatzanspruch von Fahrzeugkäufern gegen Autohersteller nur dann bejaht, wenn diese das Kraftfahrtbundesamt (KBA) und damit im Ergebnis auch die Käufer vorsätzlich über die verbaute unzulässige Abschalteinrichtung getäuscht hatten. Insbesondere im Fall verbauter „Thermofenster“ haben die Gerichte im Abgasskandal bislang an einem solchen vorsätzlichen und täuschenden Verhalten gezweifelt.

Folgen eines EuGH-Urteils im Abgasskandal

Folgt der EuGH nunmehr der Auffassung des Generalanwalts, so stünde allen Käufern von Fahrzeugen mit unzulässiger Abschalteinrichtung im Fahrzeug ein Schadenersatzanspruch zu. In einem Prozess gegen Hersteller wäre lediglich zu belegen, dass das Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweist und der Hersteller in Genehmigungsverfahren fahrlässig falsche Angaben gemacht hat. Ein fahrlässiges Verhalten wird man mit der Legalitätspflicht der Hersteller und den erhöhten Emissionen jenseits der vorgeschriebenen und in der Bescheinigung angegebenen Werte gut bejahen können.

Zu den Schlussanträgen des Generalanwalts

In seinen Schlussanträgen vom 02.06.2022 an den EuGH (Rechtssache C-100/21) befürwortet der Generalanwalt am EuGH einen Anspruch von Fahrzeugkäufern auf Schadenersatzanspruch gegen den Hersteller bereits dann, wenn das Fahrzeug nicht vorschriftsmäßig hergestellt ist, wie der Hersteller es laut EG-Übereinstimmungsbescheinigung erklärt hat. Die EG-Übereinstimmungsbescheinigung stelle eine Garantie für jeden Fahrzeugkäufer dar, dass das gekaufte Fahrzeug in jeder Hinsicht vorschriftsmäßig ist. Weist das Fahrzeug hingegen dieser Angaben Mängel – wie eine unzulässige Abschalteinrichtung – auf, sei der Käufer geschädigt und ihm sei ein Schadenersatzanspruch zuzugestehen. Dies ergibt sich nach Auffassung des Generalanwalts bereits aus dem Umstand, dass die EU-Mitgliedstaaten wirksame Sanktionen ergreifen müssen, um ein vorschriftmäßiges Verhalten der Hersteller gegenüber Fahrzeugkäufern zu gewährleisten. Der Schadenersatzanspruch umfasst danach auch den Wertverlust des Fahrzeugs infolge des Mangels der „Vorschriftswidrigkeit“.

Verjährung von Ansprüchen könnte sich "verlängern"

Folgt der EuGH dem Generalanwalt, eröffnet dies im Zweifel auch Fahrzeugkäufern Schadenersatzansprüche, deren Ansprüche bislang als verjährt angesehen worden sind. Denn nach der Rechtsprechung des BGH kann sich der beklagte Hersteller dann nicht auf die Verjährung von Schadenersatzansprüchen berufen, wenn eine Klage gegen den Hersteller wegen der unklaren Rechtslage unzumutbar gewesen ist. Indem der BGH einen Anspruch auf Schadenersatz bislang abgelehnt hat, wenn dieser allein mit der Abweichung des Fahrzeugs von den Angaben in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung begründet worden ist, war es bislang unzumutbar, allein auf dieser Grundlage eine Klage zu erheben. Sollte sich der EuGH nun auf die Seite der Fahrzeugkäufer schlagen, wäre der so begründete Schadenersatzanspruch erst dann zumutbar durchsetzbar.

Klagewelle gegen Hersteller möglich

Folgt der EuGH dem Generalanwalt, könnte auf die Hersteller von Fahrzeugen mit unzulässigen Abschalteinrichtungen eine neue Klagewelle zurollen. Der Käufer müsste allein darlegen, dass sein Fahrzeug wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht den Angaben der EG-Übereinstimmungsbescheinigung entspricht und der Hersteller insoweit fahrlässig gehandelt hat. Fragen dazu, ob dem Vorstand des Herstellers ein Rechtsverstoß bewusst war, wären nicht mehr klärungsbedürftig.

Für den Fall von Fragen steht Ihnen Rechtsanwalt Philipp Neumann (Kanzlei 2vier2 in Frankfurt am Main) unter der Telefonnummer 069-770 394 690 bzw. per Mail unter neumann@kanzlei-2vier2.de zur Verfügung. Rechtsanwalt Philipp Neumann ist Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und seit über 15 Jahren in der Prozessführung tätig. Er vertritt seit 2016 Geschädigte (Aktionäre und Autokäufer) im Abgasskandal.



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