Änderungen im Schwerbehindertenrecht – Stärkung der Position der Schwerbehindertenvertretung

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Im Dezember 2016 wurde das Gesetz zur Stärkung der Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung (Behindertenteilhabegesetz) verabschiedet. Das Behindertenteilhabegesetz tritt in mehreren Stufen in Kraft. Hintergrund für die umfassende Änderung des SGB IX ist die Umsetzung und Weiterentwicklung der UN- Behindertenrechtskonvention. Der besondere Kündigungsschutz der Schwerbehinderten bleibt unverändert bestehen (§§ 168 – 175 SGB IX n.F.). Allerdings werden durch das Behindertenteilhabegesetz die Rechte der Schwerbehindertenvertretung weiter gestärkt und ausgebaut: Eine Kündigung von schwerbehinderten Menschen, die ohne die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausgesprochen wird, ist nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX n.F. unwirksam.

Der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen und diesen gleichgestellten behinderten Menschen greift erst nach einer 6-monatigen Wartezeit. Der Sonderkündigungsschutz der Schwerbehinderten nach den §§ 168 ff SGB IX n.F. besteht jedoch unabhängig von der Betriebsgröße (die Kleinbetriebsklausel des § 23 KSchG greift nicht). Die Schutzvorschriften gelten unabhängig vom Kündigungsgrund – sowohl für eine ordentliche als auch für eine außerordentliche Arbeitgeberkündigung. Wird jedoch das Arbeitsverhältnis durch Arbeitnehmerkündigung, Aufhebungsvertrag, Ablauf einer Befristung bzw. auflösende Bedingung (z. B. Eintritt des gesetzlichen Rentenalters) beendet, kommen die Schutzvorschriften nicht zur Anwendung.

Jede ordentliche Kündigung schwerbehinderter Menschen bedarf zu ihrer Wirksamkeit der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts nach § 168 SGB IX n.F. Die Zustimmung muss vom Arbeitgeber schriftlich beantragt werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGB IX n.F.). Das Integrationsamt entscheidet über den Antrag innerhalb eines Monats nach pflichtgemäßen Ermessen, § 171 Abs. 1 SGB IX n.F. Die rechtlichen Hürden für die Erteilung der Zustimmung des Integrationsamts sind sehr hoch. Der Ermessensspielraum des Integrationsamts ist lediglich im Fall einer nicht nur vorübergehenden Betriebsschließung bzw. nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingeschränkt. Wird die Zustimmung des Integrationsamts erteilt, kann der Arbeitgeber die ordentliche Kündigung nur innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung aussprechen, § 171 Abs. 3 SGB IX n.F. Eine ohne die vorherige Zustimmung des Integrationsamts ausgesprochene ordentliche Kündigung ist gemäß § 134 BGB nichtig. Nichtdestotrotz muss die Unwirksamkeit einer solchen Kündigung innerhalb einer 3-wöchigen Frist vor dem zuständigen Arbeitsgericht im Wege einer Kündigungsschutzklage geltend gemacht werden.

§ 169 SGB IX n.F. sieht für ordentliche Kündigungen schwerbehinderter Menschen eine Mindestkündigungsfrist von 4 Wochen vor. Dies ist insbesondere dann relevant, wenn die tariflichen Kündigungsfristen kürzer sind. Sofern die gesetzlichen (§ 622 Abs. 2 BGB) und arbeits- bzw. tarifvertraglichen Kündigungsfristen länger sind, haben sie nach dem arbeitsrechtlichen Günstigkeitsgrundsatz Vorrang. Die Kündigungsfrist wird ab Zugang der Kündigung berechnet.

Auch eine außerordentliche Kündigung schwerbehinderter Menschen bedarf nach § 174 Abs. 1 i.V.m. § 168 SGB IX n.F. der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Beim Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 BGB kann der Arbeitgeber gemäß § 174 Abs. 2 SGB IX n.F. einen Antrag beim Integrationsamt nur innerhalb von 2 Wochen seit Kenntnisnahme der entsprechenden Umstände stellen. Das Integrationsamt hat über den Antrag innerhalb von weiteren 2 Wochen zu entscheiden. Anders als im Fall einer ordentlichen Kündigung gilt die Zustimmung als erteilt, wenn das Integrationsamt innerhalb von 2 Wochen keine (versagende) Entscheidung trifft. Da bis zur Entscheidung des Integrationsamts die 2-wöchige Frist des § 626 BGB in der Regel überschritten wird, muss die Kündigung vom Arbeitgeber im Fall der (erteilten oder fingierten) Zustimmung des Integrationsamts unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) ausgesprochen werden.

Seit dem 30.12.2016 ist die Kündigung schwerbehinderter Menschen gemäß § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX n.F. nur dann wirksam, wenn die Schwerbehindertenvertretung zuvor beteiligt wurde. Nach der früheren Fassung des SGB IX stellte eine unterlassene Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zwar eine Ordnungswidrigkeit dar und wurde mit einer Geldbuße bis zu EUR 10.000,00 geahndet (diese Rechtslage bleibt weiterhin unverändert bestehen), sie durfte jedoch innerhalb von 7 Tagen nachgeholt werden und hatte keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Kündigung. Das Schwerbehindertenteilhabegesetz machte eine ordnungsgemäße Anhörung und Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung zur Voraussetzung für eine wirksame Kündigung, wodurch eine unterlassene Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nunmehr wesentlich schärfer sanktioniert wird. Eine nachträgliche Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung zu einer Kündigung kann deren Unwirksamkeit nicht heilen.

Die Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung ist nur dann i.S.d. § 178 SGB IX n.F. ordnungsgemäß, wenn sie vor der endgültigen Entscheidung des Arbeitgebers über die Kündigung erfolgt, d.h. die Unterrichtung und Anhörung muss bereits abgeschlossen sein, bevor der Antrag gemäß § 170 SGB IX n.F. beim zuständigen Integrationsamt gestellt wird. Eine Form für die Unterrichtung und Anhörung ist zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben, es empfiehlt sich jedoch, sie schriftlich durchzuführen, weil der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die ordnungsgemäße Anhörung und Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung trägt. Die Kündigungsgründe sollen der Schwerbehindertenvertretung auf jeden Fall schriftlich mitgeteilt werden, denn auf Gründe, die der Schwerbehindertenvertretung zuvor nicht mitgeteilt wurden, kann eine Kündigung nicht gestützt werden. Die der Schwerbehindertenvertretung eingeräumte Frist für die Stellungnahme muss angemessen sein. Diese Frist ist derzeit gesetzlich nicht geregelt. Es empfiehlt sich daher, sich an die Fristen des § 102 BetrVG zu halten, da die Interessenslage hier ähnlich ist. Bei einer ordentlichen Kündigung sollte der Schwerbehindertenvertretung eine Frist von mindestens 1 Woche und bei einer außerordentlichen Kündigung von mindestens 3 Tagen eingeräumt werden, wobei die Frist des § 174 Abs. 2 SGB IX n.F. dadurch nicht verlängert wird.

Das Erfordernis einer vorherigen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung wird für den Arbeitgeber vor allem beim Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung eine besondere Herausforderung darstellen, denn hier muss der Antrag an das Integrationsamt innerhalb von 2 Wochen nach Kenntnis des wichtigen Grundes i.S.d. § 626 BGB gestellt werden, was wiederum bedeutet, dass die Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung bereits vor Ablauf dieser 2 Wochen abgeschlossen sein muss. Übersieht der Arbeitgeber künftig dieses Erfordernis und stellt er den Antrag an das Integrationsamt, bevor das Unterrichtungs- und Anhörungsverfahren der Schwerbehindertenvertretung abgeschlossen ist, ist die außerordentliche Kündigung kraft Gesetzes unwirksam. Die Unwirksamkeit der Kündigung muss dennoch vom Arbeitnehmer im Wege einer Kündigungsschutzklage geltend gemacht werden.


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