Ärztinnen und Ärzte brauchen heutzutage juristisches Verständnis – Vorteil durch Sensibilisierung

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Wenn ich das mal vorher gewusst hätte!“ Dieser Satz gewinnt bei Ärztinnen und Ärzten im Berufsalltag immer mehr an Bedeutung. Neue Vorschriften und Rechtsprechung häufen sich, die Zeit der Ärzte zur Information neben der Arbeit minimiert sich. In der allgemeinen Presse ist zumeist nur von spektakulären Schmerzensgeldern zu lesen, zu denen Ärzte verurteilt wurden. Bleibt da lediglich noch das Aufsetzen von Scheuklappen? Aber Vorsicht: Ohne juristisches Verständnis drohen heutzutage immer mehr Nachteile. Hier einige Beispiele. 



Handynummer rausgeben? 

Ärztinnen und Ärzte fühlen sich den Patienten verpflichtet. Gleichwohl haben sie auch das Bedürfnis nach Freizeit. Oft beeinträchtigt die ständige Erreichbarkeit über das Handy auch durch den Krankenhausträger die notwendige Erholung. Aber muss das so sein?


Nach einschlägiger Rechtsprechung (Landesarbeitsgericht Thüringen, Urteil vom 16.05.2018, Az. 6 Sa 442/17 und 444/17) darf der Arbeitgeber grundsätzlich gar nicht die Handynummer des Arztes verlangen. Das gebietet der Datenschutz. Soweit keine Einwilligung des Arztes vorliegt (gänzlich oder z.B. nicht für Freizeit und Urlaub), stellt das Verlangen einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arztes dar.


Der Arbeitgeber muss seinen Betrieb und z.B. die Behandlung von Notfällen risikolos organisieren. Er darf nicht beliebig einen der angestellten Ärzte nach dem Zufallsprinzip ohne Einteilung (z.B. in eine Rufbereitschaft) über das Handy aus der Freizeit zum Dienst beordern. Grundsätzlich entscheidet der Arzt, für wen, wann und wo er erreichbar sein will.


Die Beeinträchtigung liegt bereits darin, dass der Arzt in die Lage gebracht werden könnte, sich für sein Freizeitverhalten (z.B. auch Unerreichbarkeit) zu rechtfertigen. Es besteht grundsätzlich kein Anspruch des Arbeitgebers auf Auskunft über das Freizeitverhalten. Der Arzt muss nicht jederzeit und an jedem Ort für den Arbeitgeber erreichbar sein.


Falls der Arbeitgeber den Arzt wegen Verweigerung der Handynummer mit einer Abmahnung bedroht, hat der Arzt Anspruch auf Rücknahme und Entfernung dieser Abmahnung aus der Personalakte.


Zum einen dürfte das Wissen um diese Rechtsprechung dazu führen, nicht gedankenlos bzw. ohne Frage nach Gründen dem Arbeitgeber die Handynummer zu überlassen. Die Überlassung könnte auch ausdrücklich nur zur Verwendung während der Arbeitszeit geschehen. Nicht zuletzt bleibt die Erkenntnis, dass gelegentlich Handys auch klingeln können und keiner geht dran.


Personalgespräch 

Ärztinnen und Ärzte fühlen sich aber nicht nur den Patienten, sondern auch Ihrem Arbeitgeber verpflichtet. Hieraus kann „vorauseilender Gehorsam“ werden. Wenn zum Beispiel in der Regel sehr kurzfristig („morgen um 11 Uhr“) und ohne weitere Informationen das „Zitat“ zum Personalgespräch zugerufen wird, muss der Arzt dann Folge leisten?


Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (Urteil vom 13.12.2013, Az. 13 Sa 1446/13) muss der Arzt grundsätzlich schon einmal nicht allein in solch ein Gespräch gehen. Jeder Arbeitnehmer darf vielmehr in ein Personalgespräch eine Vertrauensperson als Beistand mitnehmen. Das gilt insbesondere dann, wenn ihm wie in vorangegangenen Gesprächen arbeitsrechtliche Maßnahmen (z.B. Abmahnung) drohen. Ausnahmen sind nur im besonderen Einzelfall denkbar (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15.05.2013, Az. 7 AZR 665/11).


Der Arbeitgeber muss ggf. den Gesprächstermin verschieben, um Gelegenheit zur Teilnahme der Vertrauensperson zu geben. Seine Weisung zur Teilnahme ohne die Vertrauensperson ist insofern unbillig.


Während eigener Krankheit oder anderer Arbeitsunfähigkeit muss der Arzt nach Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 02.11.2016, Az. 10 AZR 596/15) grundsätzlich gar nicht zu einem Personalgespräch kommen. Der Krankenhausträger müsste schon erläutern (und beweisen), dass und warum das Gespräch gerade im Krankenhaus stattfinden muss und unaufschiebbar ist.


Aber selbst dann müsste es dem Arzt auch zumutbar sein, trotz Arbeitsunfähigkeit zum Gespräch zu kommen. Das gebietet die gesetzliche (§ 241 Abs. 2 BGB) Rücksichtnahmepflicht des Krankenhausträgers auf die Genesung des Arztes. Andernfalls ist bereits die Anweisung des Krankenhausträgers zum Personalgespräch mangels Weisungsrecht pflichtwidrig.


Falls der Krankenhausträger gleichwohl eine Abmahnung erteilt, weil der Arzt trotz eigener Arbeitsunfähigkeit nicht zum Personalgespräch gekommen ist, dann ist diese Abmahnung aus der Personalakte des Arztes zu entfernen.


Das Wissen um diese Urteile wird hoffentlich dazu führen, dass Ärzte nicht überrumpelt ihre Zusage zum Personalgespräch geben, sondern zunächst zumindest das Thema erfragen. Davon abhängig kann entschieden werden, ob eine Begleitperson mitgenommen wird. Kommt die Einladung zum Personalgespräch während eigener Krankheit oder anderweitiger Arbeitsunfähigkeit, sollten Ärzte sich zunächst wiederum das Thema und die Notwendigkeit des gewünschten Erscheinens beim Arbeitgeber umfassend erläutern lassen. All das vermeidet unvorbereitetes Hineinstolpern in entscheidende Gespräche über die berufliche Zukunft.


Patientenakte 

Abschließend noch einmal ein Beispiel zur Verpflichtung von Ärztinnen und Ärzten gegenüber ihren Patienten:


Oft fordern Patienten oder Erben die Patientenakte in Kopie an. Zumeist ist es „dringlich-eilig“, nicht selten z.B. bei Langzeit-Patienten sehr umfangreich. Insbesondere auch für niedergelassene Ärzte kann dies einen immensen Zeit- und Kostenaufwand bedeuten. Aber muss im Zweifel das Krankenhaus bzw. der Arzt der Erstattung dieses Aufwands nachgehen?


Der Arzt braucht nach der Rechtsprechung (Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 16.11.2016, Az. 1 U 57/16) Patienten oder Erben grundsätzlich erst dann Kopien der Patientenakte vorzulegen, nachdem die Kosten erstattet worden sind. Bis zur Kostenerstattung darf der Arzt die Vorlage verweigern und muss erst nach Eingang des Geldes auf dem Konto die Kopien zukommen lassen.


Der Arzt teilt hierzu die zu erwartenden Kosten mit. Wenn Patienten oder Erben dann die Vorlage der Unterlagen bereits vor Kostenerstattung verlangen, handeln sie wegen ihrer eigenen Vorleistungspflicht in der Regel mutwillig und können deswegen eigene Kosten z.B. für einen Rechtsanwalt nicht als Schadensersatz fordern.


Die Kenntnis von dieser Rechtsprechung wird bei Ärzten hoffentlich dazu führen, dass sie bei umfangreichen Patientenakten zunächst die zu erwartenden Kosten mitteilen und die Übersendung von Kopien erst nach Zahlung zusagen. Bei großen Arztpraxen oder Krankenhäusern können andernfalls nicht unerheblich hohe Außenstände entstehen, deren Beitreibung nicht nur zeit-, sondern auch nervenaufreibend sein kann.


Fazit

Eine breite Sensibilisierung für Rechte lässt in zahlreicheren Situationen des Berufsalltags aufhorchen und verhindert vorschnelle Reaktionen. Für eine solche Sensibilisierung ist keine umfangreiche Lektüre von Vorschriften und Rechtsprechung erforderlich, eher sogar hinderlich. Vielmehr reicht die regelmäßige Wahrnehmung von Schlagzeilen juristischer Neuerungen. Juristische Informationsdienste wie anwalt.de können fachlich seriös unter den entsprechenden Schlagworten Ärztinnen und Ärzten die Recherche in sämtlichen relevanten Rechtsgebieten wie z.B. auch Haftungs-, Vertragsarzt-, Berufs- und Strafrecht etc. professionell abnehmen. Mit dieser Prophylaxe können sich Ärztinnen und Ärzte mit geringstem Zeitaufwand sensibilisieren und so wachsendes juristisches Verständnis gewinnen. Rechtlich werden hierdurch Schutz und Vorteile nachhaltig gesichert.


Foto(s): Dr. Osmialowski


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