Aktuelle Rechtsprechung zum Vorfälligkeits-Joker

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Das wegweisende Urteil des OLG Saarbrücken vom 26.01.2023

Ein vor einigen Monaten ergangenes Urteil des Saarländischen Oberlandesgerichts vom 26.01.2023 (Az. 4 U 134/21) sowie weitere einschlägige Entscheidungen haben zu einer erheblichen Verbesserung der Erfolgsaussichten von Kreditnehmern geführt, bei einer vorzeitigen Ablösung eines Immobilienkreditvertrages die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung  (VfE) zu vermeiden oder ein bereits geleistetes Vorfälligkeitsentgelt von der Bank zurückzufordern.

Die gesetzliche Grundlage für die Abwehr von Ansprüchen der Bank auf Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung bildet  § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB.  Für Darlehensverträge,  die ab dem 21.03.2016 abgeschlossen worden sind, ist nach dieser Vorschrift  der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung ausgeschlossen, wenn

„im Vertrag die Angaben über die Laufzeit des Vertrags, das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder die Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung unzureichend sind“.

Zwischenzeitlich sind eine Reihe von  (allerdings überwiegend landgerichtlichen) Urteilen zugunsten der betroffenen Darlehensnehmer ergangen, die eine erhebliche Bandbreite von  möglichen Fehlern offenbaren, die den Banken insbesondere im Zusammenhang mit der Information über die Berechnungsmodalitäten  der Vorfälligkeitsentschädigung unterlaufen sind.  Die für einen erheblichen Teil der VfE-Fälle zuständigen Gerichte des LG bzw. OLG Frankfurt, in deren Zuständigkeitsbereich insbesondere die Großbanken ihren Geschäftssitz haben, sind dieser Rechtsprechung jedoch durchweg nicht gefolgt. (Vgl. bspw. OLG Frankfurt, Urteil vom 13.08.2021 (24 U 270/20), OLG Frankfurt Hinweisbeschluss vom 10.01.2023 – 23 U 102/22)

Das Urteil des OLG Saarbrücken bildete  das erste Urteil eines Oberlandesgerichts, das dieser Tendenz der Frankfurter Rechtsprechung, die Anforderungen an die Information über die Berechnungsmodalitäten systematisch zu reduzieren, entgegen getreten ist und damit insbesondere den Kunden von Genossenschafts- und Raiffeisenbanken sowie des Sparkassenverbundes die Möglichkeit eröffnet hat, ihre Ansprüche aus § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB erfolgsträchtig (außer)gerichtlich geltend zu machen.

Das OLG Saarbrücken hat seine Auffassung, dass eine unzureichende Information über die Berechnung der VfE erteilt worden sei,  auf 3 unabhängig voneinander bestehende rechtliche Gesichtspunkte gestützt:

1. Fehlerhafte Information über den Zeitraum der geschützten Zinserwartung

d.h. den  Zeitraum, für den eine Vorfälligkeitsentschädigung überhaupt geschuldet wird.

Falls die Zinsbindung nicht bereits früher endet, wird der Endpunkt des maßgeblichen Zeitraums durch den frühestmöglichen Kündigungstermin des Darlehens bestimmt. Immobiliendarlehen sind gem. § 489 BGB unter Einhaltung einer Kündigungsfrist  von 6 Monaten ohne Entschädigung kündbar, sobald zehn Jahre seit Vollauszahlung verstrichen sind. Die Bank darf ihren Zinsverlust dann  entsprechend nur bis zum erstmöglichen Kündigungstermin berechnen. Wird der Eindruck erweckt, es könne ein Schaden über die gesamte Vertragslaufzeit hinweg berechnet werden, stellt dies einen Fehler dar, der zum Verlust des Anspruches der Bank auf eine VfE führt. So Landgericht Konstanz, Urteil vom 08.12.2020 (C 4  O 155/20  = BeckRS 2020, 43962), Landgericht Hamburg, Urteil vom 19.02.2021 (318 O 164/20) = BeckRS 2021, 10496 sowie  LG Darmstadt, Urteil vom 14.06.2022 (13 O 6/22), Urteil des LG Kiel vom 4. 11. 2022 (Az.: 12 O 198/21), Urteil des LG Bonn vom 22.12.2022 (Az 17 O 89/22).

2. Fehlender  Hinweis auf Berücksichtigung der Sondertilgungsoption

In zahlreichen  Kreditverträgen insbesondere der Genossenschaftsbanken (Sparda- und Volksbanken) sowie der Deutschen Privat- und Geschäftskundenbank AG von 2018  fehlt der Hinweis, dass vereinbarte Sondertilgungsrechte zugunsten des Kunden zu berücksichtigen sind. Dadurch fällt die Vorfälligkeitsentschädigung meist erheblich niedriger aus als bei Krediten mit starrer Tilgung. Eine derartige Unterlassung hat gemäß dem Urteil des Landgerichts Konstanz vom 08.12.2020 (C 4  O 155/20) = BeckRS 2020, 43962) ebenfalls den Wegfall des Anspruches der Bank auf eine VfE zur Folge. Verschiedene Kammern des LG Frankfurt (bspw.  LG Frankfurt, Urteil vom 09.06.2022  2-12 O 370/21; OLG Frankfurt Hinweisbeschluss vom 10.01.2023 – 23 U 102/22)) betrachten hingegen einen Hinweis auf die Berücksichtigung der VfE nicht als erforderlich, weil nur die Angabe der Berechnungsmethode geschuldet sei.

3. Maßgeblichkeit der Renditen von Hypothekenpfandbriefen

Verträge von Genossenschaftsbanken enthalten mitunter den Hinweis, dass für die Berechnung des Zinsschadens die Renditen von „Kapitalmarkttiteln öffentlicher Schuldner“ maßgeblich sind, z.B. von Bundesanleihen. Gemäß BGH-Rechtsprechung (BGH, Urteil vom 07.11.2000 - XI ZR 27/00) sind hingegen die höheren Renditen für Hypothekenpfandbriefe anzusetzen. Auch auf diesen zusätzlichen Punkt hat das OLG Saarbrücken seinen Befund  gegründet, dass die  erteilte Information über die Berechnung der VfE als fehlerhaft zu bewerten sei.

Urteil des OLG Zweibrücken 2023

Auf der Linie des OLG Saarbrücken bewegt sich ein  ein kurz darauf bekannt gewordenes einschlägiges Urteil des OLG Zweibrücken, über das mehrere Anwaltskanzleien im März/April 2023 ohne Angabe des Aktenzeichens berichteten. Dort beanstandete das Gericht ebenfalls unzureichende Angaben zum Zeitraum der geschützten Zinserwartung der Bank.

Das Urteil des LG Hamburg vom 06.07.2023

Unter Bezugnahme auf das Urteil des OLG Saarbrücken hat  das Landgericht Hamburg in einem jüngst ergangenen Urteil vom 06.07.2023 (302 O 24/23) die Position der Darlehensnehmer weiter gestärkt. Das LG Hamburg verurteilte die Hamburger Volksbank zur Rückzahlung einer VfE in Höhe von ca. 91.000 EURO wegen einer fehlerhaft erteilten Information über die Berechnung der VfE. Es stützte seine Entscheidung schwerpunktmäßig auf die missverständliche Information über den Zeitraum der geschützten Zinserwartung und rügte zugleich den fehlenden Hinweis auf die Berücksichtigung von Sondertilgungen.

Angesichts der erwähnten Urteile zugunsten der Darlehensnehmer und der damit verbundenen Unsicherheit über die weitere Entwicklung der einschlägigen Rechtsprechung ist jedenfalls seit einigen Monaten eine verstärkte Bereitschaft der Kreditinstitute zu beobachten, sich sowohl außergerichtlich als auch gerichtlich auf Vergleichsverhandlungen mit dem Ziel eines (Teil)verzichtes auf die beanspruchte VFE einzulassen. Jedenfalls unter der Voraussetzung der fachanwaltlichen Vertretung der Kreditnehmer.

Zusammenfassung:

Von der Regelung des § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB in Verbindung mit der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Saarbrücken und Zweibrücken, des LG Hamburg und einer Reihe weiterer Landgerichte können alle Darlehensnehmer profitieren, bei denen folgende Voraussetzungen gegeben sind:

  • Abschluss der Immobilienfinanzierung als Verbraucher (gilt nicht für Unternehmerdarlehen) mit Abschlusszeitpunkt ab dem 21.03.2016.
  • § 502 Abs. 2 Nr. 2BGB gilt nach überwiegender Auffassung in der Literatur entsprechend auch, wenn eine Nichtabnahmeentschädigung gezahlt wurde oder eine solche von der Bank verlangt wird.  Abweichend allerdings ein nicht rechtskräftiges Urteil des LG Köln vom 27.02.2020, Az. 15 O 379/19 sowie ein Hinweisbeschluss des OLG Jena vom 08.12.2022 (5 U 858/22) = BeckRS 2022, 46775). Beide Entscheidungen verneinen die analoge Anwendung von § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf die Nichtabnahmeentschädigung.
  • Der Vertrag enthält einen unklaren oder fehlerhaften Hinweis zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung (insbesondere eine fehlerhafte Information über den Zeitraum der geschützten Zinserwartung oder einen fehlenden Hinweis auf  die  fiktive Berücksichtigung der Sondertilgungsoption bzw. eine Fehlinformation über das Kündigungsrecht des Darlehensnehmers oder eine unzureichende Angabe zur Vertragslaufzeit.
  • Die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung erfolgte noch nicht oder erst nach dem 31.12.2020. Verjährungsfrist seit Zahlung der VfE (3 Jahre zum Jahresende) Beispiel: Zahlung der VfE 01.07.2020 - Verjährungseintritt 31.12.2023.

Urteil des LG Limburg: Anwendung von § 502 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf KfW-Verträge?

Gemäß einem Urteil des LG Limburg vom 22.12.2022 (1 O 32/22) soll die lediglich für Verbraucher(immobilien)darlehensverträge geltende  Vorschrift auch auf KfW-Verträge anwendbar sein, ungeachtet dessen, dass  derartige „Förderverträge“  vom Gesetz (§§ 491 Abs. 3 S. 3, Abs. 2  S. 2 Nr. 5 BGB)  gar nicht als Verbraucherdarlehensverträge eingestuft werden.  (LG Frankfurt a. M. vom 09.06.2022 (Geschäfts-Nr. 2-12 O 370/21). Leider hält es das Landgericht Limburg nicht für erforderlich, seine im Widerspruch zur einschlägigen Gesetzeslage stehende Auffassung zu begründen.  Nicht zuletzt angesichts dessen, dass ein mögliches Berufungsverfahren in die Zuständigkeit des  OLG Frankfurt fallen würde, sollten in die Entscheidung des LG Limburg entgegen den Verlautbarungen verschiedener Verbraucheranwälte keine allzu großen Hoffnungen gesetzt werden.  Die Rückforderung von Vorfälligkeitsentgelten aus KfW-Verträgen kommt deshalb allenfalls für rechtsschutzversicherte Darlehensnehmer in Betracht

Meine Kanzlei bietet im Rahmen einer kostenlosen Erstberatung eine Einschätzung der Möglichkeiten zur Vermeidung oder Rückforderung einer Vorfälligkeitsentschädigung. Für eine Prüfung werden die betroffenen Kreditverträge benötigt. Unterlagen können per E-Mail (ra-dr-kroells@email.de), Fax (040-880 981 55) oder Post zur Prüfung eingereicht werden.

   


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