Aneurysma im Gehirn zu spät behandelt: 400.000 Euro

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Mit Vergleich vom 02.01.2018 hat sich ein Krankenhaus verpflichtet, an meine Mandantin folgende Beträge zu zahlen: Schmerzensgeld in Höhe von 65.000 Euro plus lebenslange monatliche Rente in Höhe von 150 Euro, rückständige Unterbringungskosten im Pflegeheim in Höhe von 132.000 Euro, Haushaltsführungsschaden in Höhe von 35.000 Euro, Verdienstschaden in Höhe von 27.500 Euro, vermehrte Bedürfnisse 13.000 Euro. Die Klinik hat sich weiterhin verpflichtet, die Kosten für die vollstationäre Pflege der Mandantin, die nach Abzug der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung verbleiben, zu übernehmen. Es werden auf entsprechenden Nachweis durch Steuerbescheid eventuell auf die Abfindungszahlungen zu entrichtende Steuern gezahlt.

Die 1954 geborene Angestellte wurde im November 2012 mit dem Verdacht auf Einblutung hinter dem Auge (Glieder- und Nackenschmerzen) notfallmäßig ins Krankenhaus eingewiesen. Die Ärzte stellten ein Aneurysma im Gehirn fest. Bei der Entnahme von Nervenwasser wurde Blut im Liquor nachgewiesen, woraufhin die Mandantin auf die Intensivstation zur Überwachung verlegt wurde. Ihr wurde angeraten, das Aneurysma zeitnah zu operieren. 10 Tage nach Aufnahme ins Krankenhaus teilte der behandelnde Arzt mit, er würde sich nochmals die Bilder mit einem Spezialisten ansehen. Ihr wurde erklärt, eine OP sei nicht mehr medizinisch notwendig, sie könne kurzfristig entlassen werden.

In der folgenden Nacht erlitt die Mandantin eine Hirnblutung. Es kam zur akuten Kopfschmerzsymptomatik mit schneller Vigilanzminderung. Die Mandantin wurde bewusstlos und reanimationspflichtig. Die durchgeführte CCT-Kontrolle ergab im Vergleich zur Voruntersuchung eine deutliche Nachblutung in die basalen Zysternen, aber auch in das massiv gestaute Ventrikelsystem. Daraufhin wurde die Patientin in die Neurochirurgie verlegt, anschließend per Hubschrauber in ein Nachfolgekrankenhaus verbracht. Am 23.12.2012 erfolgte eine Angiographie und Coilokklusion des ruptierten Aneurysmaabschnittes. Im weiteren Verlauf wurde die linksseitige Ventrikeldrainage entfernt. Am 29.11.2012 wurde die Mandantin intubiert und beatmet mit engen, verzögert lichtreaktiven Pupillen zurück in die Ursprungsklinik übernommen.

Die Mandantin blieb nicht kontaktfähig, ohne Spontanmotorik und zeigte lediglich Kau- und Schmatzbewegungen. Bei offensichtlicher Schmerzsymptomatik und Verschlechterung der Vigilanz fand sich in einer CT-Kontrolle ein deutlicher Ventrikelaufstau, sodass die Indikation zur Anlage eines Shunts bestand. Zwar kam es nach operativer Versorgung zu einer deutlichen Vigilanzverbesserung und zunehmender spontaner Motorik, besonders der Arme. Eine weitere Verbesserung des gesundheitlichen Zustandes konnte nicht mehr erreicht werden. Nach zahlreichen weiteren Operationen und Entzündungsgeschehen am Gehirn erbrachte die weitere Rehabilitation in einer neurologischen Klinik keine Besserung der Ausfallerscheinungen.

Eine sichere Reaktion auf Ansprache oder Berührung ist nicht möglich, es besteht eine hochgradige Tetraspastik mit nur geringer Eigenbewegung. Die Ernährung erfolgt über eine liegende PEG-Sonde. Die Patientin ist inkontinent, mit Schutzhose und Dauerkatheter versorgt. Sie ist seit 2012 komplett berufs- und erwerbsunfähig, eine Teilhabe am Leben ist nicht möglich. Aufgrund ihrer geistigen und körperlichen Handicaps ist sie komplett auf Hilfestellung Dritter angewiesen und befindet sich seit Juni 2013 in einem Pflegeheim.

Die Mandantin hatte dem Krankenhaus mit zwei eingeholten Privatgutachten vorgeworfen: Werde ein Aneurysma bei einer akuten intrakraniellen Blutung als Ursache nachgewiesen, sei eine kausale Therapie zum Aneurysmaverschluss zeitnah zu überprüfen. Nur durch Verschluss des Aneurysmas könne eine zweite Blutung verhindert werden. Bei bereits erfolgter erster Blutung drohe immer das Risiko einer Rezidivblutung. Neben klassischen Verfahren mit direkter Aneurysmaversorgung mit Clips nach Craniotomie sei seit vielen Jahren die Möglichkeit der interventionellen neuroradiologischen Verfahren mit Coil- oder Stentokklusion gegeben. Es sei zwingend notwendig gewesen, die Patientin bei einem derartigen Ereignis zeitnah in eine spezifische Fachabteilung zu verlegen, um die neurochirurgische Versorgung zu ermöglichen.

Bereits bei Aufnahme sei durch CT-Untersuchung mit CT-Angiographie die Ursache subarachnoidale Blutung nachgewiesen worden, wobei die Notwendigkeit einer weiteren Verifizierung durch eine klassische digitale Subtraktions-Angiographie bestanden habe. Es sei grob fehlerhaft gewesen, keine zeitnahe Verlegung in eine neurologische Fachabteilung am Aufnahmetag durchzuführen, zumal das Krankenhaus über eine sehr gute neurochirurgische Fachabteilung verfüge. 

Es sei grob fehlerhaft gewesen, zwischen Aufnahmediagnostik am 09.11.2012 bis zur Angiographie am 14.11.2012 fünf Tage verstreichen zu lassen, weil bereits am 09.11.2012 eine Notfallsituation mit ständiger Gefahr der Nachblutung vorhanden war und sich die Patientin in einem guten Allgemeinzustand befand. Eine kausale Versorgung des Aneurysmas hätte gefahrlos am 09.11.2012 durchgeführt werden können und müssen.

Es sei grob behandlungsfehlerhaft gewesen, nach Feststellung des Aneurysmas am 14.11.2012 trotz eindeutiger Befundung (symptomatisches PICA-Aneurysma links und asymptomatisches Carotis interna-Aneurysma rechts) keine weiteren neurochirurgischen Maßnahmen einzuleiten. Vielmehr sei eine Reha angemeldet und eine Mobilität beschrieben worden. Wegen dieser groben Behandlungsfehler durch Unterlassen habe die Mandantin am 21.11.2012 ein erneutes Kopfschmerzereignis erlitten, sei bewusstlos und reanimationspflichtig geworden. Die CT-Diagnostik habe eine eindeutige Rezidivblutung ergeben. Erst im Nachfolgekrankenhaus am 23.11.2012 sei die Coilembolisation erfolgt. 

Die zum Zeitpunkt der Einlieferung ansonsten gesunde 59 Jahre alte Frau sei durch die Behandlungsfehler ein dauerhafter schwerer Pflegefall geworden. Eine Besserung ihres gesundheitlichen Zustandes ist bis zum Vergleichsabschluss nicht mehr eingetreten. Allein die monatlichen Kosten für die Unterbringung in einem Pflegeheim belaufen sich auf rund 3.000 Euro (Eigenanteil der Familie).

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht



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