Arbeitsrecht Vietnam - Ein Überblick

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Das vietnamesische Arbeitsgesetzbuch (Vietnamese Labour Code, VLC) wurde im November 2019 umfassend novelliert. Der neue VLC ist seit Januar 2021 in Kraft. Neben verschiedenen wichtigen Änderungen zu Vertragstypen, Probezeit und den unternehmensinternen Arbeitsregularien (Internal Labour Regulations, ILRs) anerkennt das vietnamesische Arbeitsgesetz nunmehr auch die Möglichkeit der Zeitarbeit („Labor-Outsourcing“). Die wichtigste zuständige Behörde ist das Ministry of Labour, War Invalids and Social Affairs (MOLISA), landesweit vertreten durch die lokalen Zweigstellen (Departments, DOLISA). Der gesetzliche Mindestlohn für die Privatwirtschaft liegt seit 2020 je nach Region zwischen 3,07 und 4,42 Millionen vietnamesischen Dong (VND).

Typen und Mindestinhalt von Arbeitsverträgen

Das vietnamesische Arbeitsrecht sieht die Möglichkeit des befristeten  und des unbefristeten  Arbeitsvertrages. Seit Januar 2021 gibt es keine Mindestbefristung von 12 Monaten mehr; der Arbeitgeber kann bei Befristungen also frei zwischen 1 und 36 Monaten wählen. „Saisonale“ Arbeitsverträge entfallen. Zeitlich befristete Arbeitsverträge dürfen seit Januar 2021 jedoch nur noch einmal verlängert werden, danach ist zwingend ein unbefristeter Arbeitsvertrag abzuschließen bzw. eine erneute Befristung des Arbeitsverhältnisses würde in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis umgedeutet werden. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können sich auf eine Probezeit einigen, wobei diese für leitende bzw besonders qualifizierte Mitarbeiter nunmehr bis zu 180 Tage darf. In der Probezeit muss das Gehalt mindestens 85 % des Gehalts für die vorgesehene Position betragen. Anstellungsverträge in Vietnam müssen nach dem Gesetz mindestens folgende Themen regeln:

  1. Name, Adresse und Identitätsnachweis des Mitarbeiters;
  2. Typ des Arbeitsvertrags (befristet oder unbefristet);
  3. Probezeit (empfohlen);
  4. Gegenstand und Ort der auszuführenden Arbeiten;
  5. Arbeitszeit, Ruhepausen sowie Urlaubsanspruch;
  6. Gehalt, Boni und ggf. Zusatzleistungen („allowances“);
  7. Art und Zeitpunkt der Gehalts- bzw. Bonuszahlungen;
  8. Regelungen zur Gehaltsüberprüfung bzw. Gehaltserhöhung;
  9. Beiträge zu Sozialversicherung und Krankenversicherung;
  10. Bedingungen für Arbeitssicherheit und Hygiene;
  11. Bestimmungen zu Fort- bzw Weiterbildung.

Darüberhinaus empfiehlt es sich stets, folgende optionale Regelungen zusätzlich mit aufzunehmen:

  1. Zustimmung zur unternehmensinternen Verarbeitung persönlicher Daten;
  2. Vertraulichkeitgebot und Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen;
  3. Geltung und Einbezug bestimmter Unternehmensrichtlinien;
  4. Grundsätzliches Verbot einer Neben- oder Zweitbeschäftigung;
  5. Wettbewerbsverbot nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses;
  6. Haftung für vorsätzliche oder fahrlässige Schädigungen des Arbeitgebers;
  7. Sonstige Angelegenheiten, die arbeits- oder branchenbezogen typisch sind.

In der Regel gilt ein Arbeitsvertrag ab dem im Vertrag angegebenen Datum. Der Arbeitgeber ist u.a. verpflichtet, der zuständigen Versicherungsbehörde für seine Arbeitnehmer gesetzliche Versicherungsunterlagen vorzulegen. Zudem gelten bestimmte Anforderungen an Erklärung und Zahlung der Einkommensteuer (Personal Income Tax, PIT), die der Arbeitgeber insoweit für den Mitarbeiter bei der örtlich zuständigen Finanzbehörde abzuführen hat.

Die maximal zulässige Arbeitszeit beträgt acht Stunden pro Tag bzw. 48 Stunden in der Woche. Soweit die Arbeitszeit ausnahmsweise auf Wochenbasis definiert wird, sind bis zu maximal 10 Stunden pro Tag als reguläre Arbeitszeit zulässig (allerdings weiterhin maximal 48 Stunden pro Woche). Die Zahl der Überstunden darf 4 Stunden pro Tag und 200 Stunden im Jahr nicht übersteigen. Mit besonderer Genehmigung der zuständigen Behörden ist eine Ausweitung dieser Grenze auf 300 Stunden in bestimmten Wirtschaftssektoren bzw unter bestimmten Umständen möglich. Seit Januar 2021 beträgt das monatliche Überstundenlimit 40 Stunden (statt zuvor 30 Stunden). 

Jeder Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf mindestens zwölf Tage bezahlten Urlaub pro Jahr. Angestellte mit außergewöhnlich schwierigen, gefährlichen oder gesundheitsschädigenden Arbeitsbedingungen, oder Angestellte unter 18 Jahren, haben ein Recht auf mindestens 14-16 Tage bezahlten Urlaub. Zusätzlich haben alle Arbeitsnehmer das Recht auf volle Bezahlung an gesetzlichen Feiertagen. Wenn diese auf ein Wochenende fallen, sind sie berechtigt, den darauffolgenden Tag frei zu nehmen. Es besteht weiterhin ein Anspruch auf Sonderurlaub im Fall von Heirat, familiärem Todesfall, etc. sowie die Möglichkeit, unbezahlen Sonderunrlaub zu vereinbaren.

Verpflichtung zur Registrierung von Internal Labour Regulations (ILRs)

Unternehmen mit mehr als 10 Mitarbeitern sind gesetzlich zur Aufstellung und Registrierung interner Arbeitsrichtlinien, der sog. Internal Labour Regulations (ILRs), verpflichtet. Diese müssen unter anderem die Einhaltung von Zeitvorgaben, Sicherheits- und Hygienebestimmungen sowie Gründe für disyiplinarische Massnahmen im Detail regeln. Seit 2021 ist es zudem verpflichtend, in den ILRs Regelungen für den Falle sexueller Belästigung am Arbeitspatz zu regeln. Die ILRs müssen in vietnamesischer Sprache erstellt und vom lokal zuständigen DOLISA offiziell genehmigt werden, bevor sie unternehmensintern wirksam werden. Da die ILRs zur rechtswirksamen Ausübung bestimmter Sanktionsmaßnahmen (insbesondere fristlose Arbeitgeberkündigungen) zwingend erforderlich sind, ist die ordnungsgemäße Registrierung derselben im Interesse der Arbeitgeber und daher unbedingt anzuraten. Wichtig ist, dass die eigenen Unternehmensrichtlinien ILRs nicht ersetzen bzw überflüssig machen. Dies wird häufig übersehen. Im Zweifel kommt den ILRs daher höhere Bedeutung als den unternehmensinternen Policies zu, und Arbeitgeber können sich bei fehlenden ILRs nicht auf die Regelung eines Sachverhalts in den eigenen unternehmensinternen Policies berufen (wie etwa die wichtige einseitige fristlose Arbeitgeberkündigung).

Kündigung und Abfindung

Der Arbeitgeber kann das Beschäftigungsverhältnis in folgenden Fällen, und unter Einhaltung bestimmter Verfahrensvoraussetzungen, einseitig kündigen:

  • Der Arbeitnehmer erbringt wiederholt und auf schriftliche Abmahnung nicht die vereinbarten Leistungen;
  • Der Arbeitnehmer ist zwölf Monate im Rahmen eines unbefristeten Vertrages oder sechs Monate im Rahmen eines befristeten Vertrages arbeitsunfähig;
  • Der Arbeitnehmer fehlt unentschuldigt für mehr als fünf Tage im Monat bzw. 20 Tage im Jahr;
  • Der Arbeitnehmer mach irreführende Angaben beim Vertragsschluss;
  • Der Arbeitnehmer begeht Straftaten wie z.B. Diebstahl, Enthüllung von Betriebsgeheimnissen etc.;
  • Verstoß des Arbeitnehmers gegen unternehmensinterne Regelungen (ILRs);
  • Rationalisierungsmaßnahmen aufgrund von Katastrophen (höhere Gewalt);
  • Produktionsrückgang, z.B. bei Auftragsmangel oder Umsatzrückgang;
  • Umstrukturierung oder Liquidation des Unternehmens, der Körperschaft oder der Organisation.

Die Kündigungsfristen variieren zwischen 30 Tagen für befristete Verträge und 45 Tagen für unbefristete Verträge. Dem Arbeitnehmer steht das Kündigungsrecht (mit Fristeinhaltung) auch bei befristeten Arbeitsverträgen zu. Ab einer Beschäftigung von mindestens 12 Monaten ist grundsätzlich eine Abfindung zu zahlen, die jedoch entfällt, sofern Beiträge zur gesetzlichen Arbeitslosenversicherung bezahlt wurden. Die Höhe der Abfindung orientiert sich am Kündigungsgrund:

  1. Fristlose Kündigung (Diebstahl, Vergehen gegen den Arbeitgeber etc.): Es ist keine Abfindung zu bezahlen.
  2. Fristgebundene Kündigung (hier ist ein Kündigungsgrund erforderlich bspw. Schlechtleistung etc.): Hier wird eine Abfindung in Höhe eines halben Monatsgehaltes pro Beschäftigungsjahr gezahlt (severance allowance).
  3. Kündigung aus betriebsbedingten Gründen und im Falle von Umstrukturierungen (insb. Bei technologiebedingter Reduzierung der Arbeitnehmerschaft): Hier gilt eine Abfindung in Höhe von einem Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr, mindestens jedoch zwei Monatsgehälter (job loss allowance).

Unter einem Monatsgehalt versteht man das im Vertrag festgeschriebene Gehalt der letzten 6 Monate vor der Kündigung. Abfindungen sind nicht zu versteuern, sofern „nur“ die gesetzlich vorgesehene Abfindung bezahlt wird.

Anzumerken ist, dass die praktische Durchsetzbarkeit einer einseitigen Arbeitgeberkündigung ist in Vietnam an verschiedene formale Voraussetzungen geknüpft ist: So muss z.B. der Vertreter der lokalen Arbeitnehmervertretung (trade union) angehört werden und  das Vorliegen der o.g. Kündigungsgründe muss im Einzelfall nachgewiesen und dokumentiert werden. Daher können sich einseitige Kündigungen des Arbeitnehmers in der Praxis als schwierig herausstellen. Riskant kann es u.U. auch werden, wenn der gekündigte Mitarbeiter gerichtlich Kündigungsschutzklage gegen eine einseitige Kündigung des Arbeitgebers erhebt. In diesem Fall kann es nämlich, nach monatelangem Gerichtsverfahren, dazu kommen, dass der Mitarbeiter wieder zu den alten Bedingungen eingestellt werden muss und für den Zeitraum des Gerichtsverfahrens weiterhin bzw. im Nachhinein sein normales Gehalt verlangen kann. Vor diesem Hintergrund bietet es sich in vielen Fällen an, frühzeitig einen gegenseitigen, freiwilligen  Aufhebungsvertrag mit dem betroffenen Mitarbeiter anzustreben.  

Sozial-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung

Arbeitgeber in Vietnam sind verpflichtet, sowohl für vietnamesische als auch ausländische Mitarbeiter Beiträge zur Sozial- und Krankenversicherung zu zahlen. Arbeitslosenversicherung betrifft nur vietnamesische Mitarbeiter: Hier  sind Arbeitgeber mit zehn oder mehr Angestellten und deren Arbeitnehmer für vietnamesische Mitarbeiter zudem verpflichtet, zusätzlich jeweils 1% des Monatseinkommens als Beitrag zur Versicherung gegen Arbeitslosigkeit zu bezahlen. Die Arbeitgeber- / Arbeitnehmeranteile stellen sich prinzipiell wie folgt dar:

Arbeitgeberanteil / Arbeitnehmeranteil

Sozialversicherung:  17.5% / 8%

Krankenversicherung:  3% / 1.5%

Arbeitslosenversicherung:  1% /  1%

Gesamt:  21.5% / 10.5%

Wichtig ist, dass die Regelungen zur Abführung von Sozial- und Krankenversicherungsbeiträgen  nur bis zur Höhe der jeweils gültigen Beitragsbemessungsgrenze gelten. Dies gilt ausnahmsweise nur dann nicht, eine zeitlich befristete konzerninterne Entsendung des Mitarbeiters vorliegt. Die Bemessungsgrenze liegt bei 29,80 Millionen VND, was dem 20-fachen des gesetzlichen Mindestlohns für Angestellte des öffentlichen Dienstes enstpricht. Dieser liegt im Gegensatz zum Mindeslohn für die Privatwirtschaft landesweit bei nur 1,49 Millionen VND. 

Foto(s): @fotalia.com/5765433

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