Antibabypille: Pharmakonzern haftet nicht für Thrombose und Lungenembolie

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Der Pharmakonzern Bayer haftet nicht für die Thrombose-Risiken seiner Antibabypille „Yasminelle“. Die Klage einer 37 Jahre alten Baden-Württembergerin auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 € wurde nun auch in der Berufungsinstanz abgewiesen. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde nicht zugelassen. 

Lebensgefährliche Thrombose und Lungenembolie

Der Ausgangspunkt des Falles liegt mittlerweile über 12 Jahre zurück: Die damals 24-jährige Klägerin nahm seit Oktober 2008 auf Verordnung ihrer Frauenärztin die Antibabypille „Yasminelle“ von Bayer ein. Im Frühjahr 2009 flog sie zu einer mehrwöchigen Rucksacktour nach Thailand. Einige Tage nach ihrer Rückkehr nach Deutschland ging es der Klägerin gesundheitlich zusehends schlechter: Sie klagte über Luftnot und körperliche Erschöpfung.

Im Juli 2009 brach die Klägerin schließlich zusammen und wurde bewusstlos in ein Krankenhaus eingeliefert. Grund des Zusammenbruchs war eine beidseitige Lungenembolie, die mit akutem Herzversagen und Herzstillstand einherging. In einer mehrstündigen Notoperation wurden der Klägerin u.a. ein Bypass gelegt und zahlreiche Thromben entfernt. In einem Zufallsbefund wurde außerdem eine angeborene Venenanomalie festgestellt.

Die Klägerin musste aufgrund ihrer Lungenembolie tagelang intensivmedizinisch betreut werden und anschließend eine lange Rehabilitationsphase absolvieren. Sie leidet bis heute an teilweise irreversiblen körperlichen und psychischen Folgeschäden.

Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld

Die Klägerin machte für ihre Lungenembolie die Antibabypille „Yasminelle“ von Bayer verantwortlich. Dieses Kontrazeptivum enthält den Wirkstoff Drospirenon und gehört zu den Verhütungspillen der sogenannten „4. Generation“. Diese stehen bis heute immer wieder wegen erhöhter Thrombose-Risiken in der Kritik. Die Klägerin verklagte daher den Pharmahersteller Bayer auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 €.

Das Landgericht Waldshut-Tiengen wies die Klage jedoch in erster Instanz ab (LG Waldshut-Tiengen, Urt. v. 20.12.2018, Az. 1 O 73/12). Daraufhin zog die Klägerin vor das Oberlandesgericht Karlsruhe. Doch auch dort bekam sie kein Recht (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 25.06.2021, Az. 4 U 19/19, vgl. Pressemitteilung).

Zwar war während des gesamten Prozesses zwischen allen Verfahrensbeteiligten völlig unstreitig, dass der in der Antibabypille „Yasminelle“ enthaltene Wirkstoff Drospirenon konkret geeignet ist, Thrombosen und Lungenembolien wie die der Klägerin auszulösen. Trotzdem lehnten die Richter eine sogenannte Gefährdungshaftung von Bayer nach § 84 des Arzneimittelgesetzes (AMG) ab. Ihr Argument: Im vorliegenden Fall hätten auch andere Umstände als die Antibabypille für die Thrombose ursächlich sein können. Es bestehe nämlich die konkrete Möglichkeit, dass die Klägerin wegen ihrer Langstreckenflüge – unter Umständen auch in Kombination mit ihrer angeborenen Venenembolie als zusätzlichem Risikoerhöhungsfaktor – unabhängig von der Einnahme von „Yasminelle“ eine Reisethrombose erlitten habe. Ein Anspruch gegen Bayer auf Schadensersatz und Schmerzensgeld bestehe daher nicht.

Erhöhtes Thrombose-Risiko bekannt – Vergleichszahlungen in den USA

Seit langem ist bekannt, dass die Antibabypille das Thrombose-Risiko von Frauen erhöht. Laut Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erleiden bei der Einnahme der Pille der sogenannten „1. Generation“ (Wirkstoffe: Levonorgestrel, Norethisteron oder Norgestimat) etwa 5-7 von 10.000 Frauen jährlich eine venöse Thromboembolie. Bei der Pille der sogenannten „4. Generation“ (Wirkstoffe: Drospirenon, Gestoden oder Desogestrel) sind fast doppelt so viele Frauen betroffen, nämlich jährlich 9-12 von 10.000 Frauen.

In den USA leistete Bayer deshalb bereits über 2 Milliarden US-Dollar Vergleichszahlungen an tausende betroffener Frauen. Diese hatten Drospirenon-haltige Verhütungsmittel eingenommen und waren danach an tiefen Venenthrombosen oder Lungenembolien erkrankt. Offiziell hat Bayer eine Haftung für diese Gesundheitsschäden jedoch nie anerkannt.

Haftungsprozesse nach deutschem AMG problematisch

Klagen gegen Pharmaunternehmen haben in Deutschland derzeit nur wenig Aussicht auf Erfolg. Dies hängt mit den besonderen Regelungen des deutschen Arzneimittelrechts zusammen: Die Voraussetzungen einer Haftung nach § 84 AMG sind sehr eng. Die betroffenen Patienten werden regelmäßig mit Beweisanforderungen konfrontiert, die sie unmöglich erfüllen können. Oft kommt es zu langwierigen Prozessen mit schwierigen Beweisfragen. Die hierfür erforderlichen Sachverständigengutachten sind meist sehr komplex, zeitaufwändig und teuer.

Entscheidend sind letztlich immer die genauen Umstände des Einzelfalls: Liegen auf Seiten des Patienten bestimmte Risikoerhöhungsfaktoren oder alternative Schadensursachen vor, z.B. ein bestimmtes Alter, besondere Leiden oder Vorerkrankungen? Nimmt der Patient noch andere Arzneimittel ein, die ebenfalls geeignet sind, den entsprechenden Schaden zu verursachen? Ist der Patient Raucher, übergewichtig, Langstreckenflieger usw.?

All diese Aspekte müssen vor einem AMG-Haftungsprozess vom Patienten und seinem Rechtsanwalt sorgfältig geprüft und abgewogen werden. Denn wie es das Oberlandesgericht Karlsruhe in seiner Entscheidung noch einmal betont hat: Eine Haftung nach § 84 AMG entfällt regelmäßig schon dann, wenn im jeweiligen Einzelfall auch nur die konkrete Möglichkeit einer anderen Schadensursache besteht. Die konkrete Wahrscheinlichkeitsverteilung ist dabei irrelevant – also die Frage, ob eher die Schadensursache „Arzneimittel“ oder z.B. die Schadensursache „Vorerkrankung“ für den letztlich entstandenen Gesundheitsschaden verantwortlich sein könnte. Allein die Möglichkeit einer Schadensalternative reicht somit aus, den AMG-Haftungsprozess scheitern zu lassen.

Mögliche Alternative: Arzthaftungsprozess

Unter Umständen kann es daher ratsam sein, nicht den Arzneimittelhersteller, sondern vielmehr den Arzt, der das entsprechende Medikament verordnet hat, in die Haftung zu nehmen. Denn nicht selten kommt es vor, dass Ärzte ihre Patienten nur unzureichend über mögliche Arzneimittelrisiken informieren (Aufklärungsfehler) oder ein falsches Medikament verschreiben (Behandlungsfehler). In diesen Fällen richtet sich die Haftung des Arztes nicht nach dem Arzneimittelrecht, sondern nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Hier kann sich der Patient unter Umständen auf besondere Beweiserleichterungen berufen, und die Klage hat in einem solchem Fall auch größere Erfolgsaussichten.


von Rechtsanwältin Dr. Yvonne Schuld, LL.M.

www.kanzlei-schuld.de

Foto(s): unsplash.com


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