Begrenzte Impfpflicht : Arbeits- und sozialrechtliche Folgen

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Regelung gilt erst ab dem 15.03.2021

Obwohl § 20a IfSG erst ab dem 15.3.2021 gilt, soll es Einrichtungen geben, die jetzt schon massiv Druck ausüben. Das müssen sich Arbeitnehmer auf keinen Fall gefallen lassen. Der Nachweis muss erst ab dem 15. März erbracht werden.

Nur im Kleinbetrieb oder in der Probezeit – wo eine Kündigung allgemein nur in seltenen Ausnahmefällen unwirksam ist- könnte schon vorher eine Kündigung drohen. Ansonsten bestehen gute Erfolgsaussichten dagegen vorzugehen und es sollte auf gar keinen Fall unter Druck irgendwas unterschrieben werden.

Kein Lohn ohne Arbeit

Der Gesetzgeber hat sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer im Regen stehen lassen, indem er die wichtige Frage, welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen die einrichtungsbezogene Impfpflicht hat, einfach nicht geregelt und nur in der Gesetzesbegründung mit einem Satz erwähnt hat.

Was ist mit

  • Entgelt- bzw. Entgeltersatzansprüchen sowie
  • dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

In der Gesetzesbegründung heißt es:

„Im Ergebnis entfällt für diesen Personenkreis die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers (§ 326 Absatz 1 BGB, § 326 Absatz 2, §§ 615 und 616 BGB sind nicht einschlägig). Weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen können im Einzelfall in Betracht kommen“

BT-Drucks. 20/188, S. 41 f.

Richtig ist, dass eine Arbeitsleistung, die nicht rechtzeitig erbracht wird, grundsätzlich nicht nachgeholt werden kann.

Die ursprüngliche Leistungsverpflichtung geht unter, das Unternehmen wird im Gegenzug von der Entgeltpflicht befreit.

  • Daher gilt der Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“.

Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht uneingeschränkt und es könnten Ausnahmen greifen:

§ 616 BGB dürfte nicht anwendbar sein, da ungeimpfte Arbeitnehmer nicht „für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung verhindert sind.

§ 615 Satz 1 BGB , der den Annahmeverzug regelt, dürfte auch nicht anwendbar sein, wenn die Arbeitsleistung wegen eines mangelnden Nachweises gar nicht angeboten werden kann.

Aber es gibt Ausnahmen:

  • wenn ein Unternehmen über Arbeitsplätze verfügt, für die kein Impf- oder Genesenennachweis erforderlich ist.

Solche Arbeitsplätze könnten z.B. in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens bestehen, auf den sich die Nachweispflicht gerade nicht erstreckt.

  • Auch eine Versetzung ins Homeoffice ließe die Nachweispflicht entfallen.

In diesen Ausnahmefällen dürfte der Arbeitgeber in Annahmeverzug kommen können, wenn er den Arbeitnehmern diese Tätigkeit nicht anbietet.

Betriebsrisiko des Arbeitgebers ?

Fraglich ist auch, ob sich ein Anspruch auf Lohnfortzahlung unter dem Gesichtspunkt des Betriebsrisikos ergeben könnte (§ 615 Satz 3 BGB) . Denn auch wenn der Arbeitgeber das Betriebsrisiko trägt ist er zur Lohnfortzahlung verpflichtet.

Das Bundesarbeitsgericht hat zu einem flächendeckenden Lockdown, bei dem auf Grund staatlicher Anordnung ganze Branchen vorübergehend stillgelegt wurden, entschieden,

Auf Fälle „fehlender Nachweise“ lässt sich das nicht ohne weiteres übertragen.

Die Nachweispflicht besteht nur dort, wo besondere Infektionsrisiken bestehen, so dass insofern nur bestimmte Betriebe betroffen sind und ein Zusammenhang zu dem jeweiligen Betrieb besteht.

Dafür ist aber auch Voraussetzung, dass keine der beiden Parteien des Arbeitsvertrages die Nichterbringbarkeit der Arbeitsleistung zu verantworten hat.


Das wird zu der Frage führen, ob man Arbeitnehmern vorwerfen kann, nicht geimpft zu sein.

Dagegen könnte sprechen:

  • die infektionsschutzrechtliche Nachweispflicht ist von keiner Arbeitsvertragspartei zu verantworten.
  • Arbeitnehmer sind gesetzlich gerade nicht zur Impfung verpflichtet.
  • Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG)

Sonst hätten wir eine Impfpflicht durch die zivilrechtliche Hintertür.

Arbeitslosengeld bei Freistellung

Die Schwierigkeiten setzen sich im Bereich der Entgeltersatzleistungen fort.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, Ansprüche auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III müssten mangels Arbeitslosigkeit ausscheiden (§ 138 SGB III), solange das Arbeitsverhältnis besteht.

Der leistungsrechtliche Begriff der Beschäftigung stellt jedoch nicht auf die rechtlichen Verhältnisse, sondern auf die tatsächliche Tätigkeit ab.

Werden ungeimpfte Arbeitnehmer nicht mehr entgeltlich tätig,

  • sind sie im Sinne des leistungsrechtlichen Kontextes des SGB III beschäftigungslos.
  • wenn die übrigen Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld I erfüllt sind


dürfte grundsätzlich auch während einer unbezahlten Freistellung ein Anspruch auf Arbeitslosengeld I bestehen.

Droht Sperre nach § 159 SGB III ?

Ob der Leistungsbezug wegen verschuldeter Arbeitsaufgabe für die Dauer von zwölf Wochen gesperrt werden könnte (§ 159 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 SGB III) ist fraglich.

Arbeitnehmer müssten dafür den Verlust des Arbeitsplatzes „verschuldet“ haben

Allein die Verletzung einer Nachweispflicht, wie sie mit § 20a IfSG geschaffen wurde,dürfte dafür nicht ausreichen .

Bei der aufgehetzten Stimmung heißt es ja oft „selbst Schuld“ und es wird auch Sachbearbeiter geben, die das „denken“.


Handlungsanweisung der Agentur für Arbeit wahrscheinlich

Es ist aber zu erwarten, dass die Agentur für Arbeit eine interne Handlungsanweisung erlassen wird, die alle Mitarbeiter der Arbeitsagentur umsetzen müssen.

Diese Handlungsanweisung dürfte die Verweigerung einer Impfung nicht als Verschulden einordnen. Wir haben nur eine einrichtungsbezogene Impfpflicht und keine allgemeine Impfpflicht und insb. keinen Impfzwang. Dann darf ein Arbeitgeber auch frei entscheiden, ob er sich impfen lässt oder nicht. Dies gilt insbesondere im Hinblick die betroffenen Grundrechte insbesondere die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 GG)

D.h. diese höchstpersönliche Entscheidung muss jedem einzelnen frei bleiben.


Arbeitslosengeld II

Sozialstaatliche Leistungen in Form von Arbeitslosengeld II nach dem SGB II setzen finanzielle Hilfebedürftigkeit voraus (§ 9 SGB II). Diese Leistungen sind ausgeschlossen, solange für die Sicherung der Subsistenz noch verwertbares Vermögen vorhanden ist.


Ein Anspruch auf Entschädigung für Verdienstausfälle nach dem Infektionsschutzrecht (§ 56 IfSG) dürfte nicht in Betracht kommen.



Arbeitsrechtliche Konsequenzen

Zu den arbeitsrechtlichen Konsequenzen, die die Gesetzesbegründung andeutet, zählen vor allem Abmahnung und Kündigung.

Kündigung

Die arbeitgeberseitige Kündigung ist ultima ratio. Zu ihr dürfen Arbeitgeber nur greifen, wenn sich die Vertragsstörung nicht mit milderen Mitteln, etwa einer Versetzung oder Änderungskündigung, beseitigen lässt.

Darüber hinaus ist immer eine Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien notwendig.

Arbeitgeber müssen nicht Arbeitsverhältnisse fortführen, in denen dauerhaft keine Arbeitsleistung mehr erbracht wird.

Störungen auf Grund des fehlenden Impfnachweises treten aber nicht auf unbestimmte Dauer ein. Die Nachweispflicht wird nach dem derzeitigen Gesetzesstand spätestens am 31.12.2022 enden.Es gibt Kündigungsfristen, die diesen Termin überdauern werden.

Wenn im Übrigen kein Entgelt geschuldet wird (vgl. oben) , ist der Fortbestand eines vorübergehend für die Dauer der Nachweispflicht „ruhenden“ Arbeitsverhältnisses für die Unternehmen jedenfalls keine schwerwiegende Belastung. Auf dieser schwierigen Grundlage dürfte sich ein gut beratener Arbeitgeber nicht auf einen Kündigungsschutzprozess einlassen ollen.

Abmahnung

Die Abmahnung setzt einen Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten voraus.

Es dürfte bis jetzt noch keinen Arbeitsvertrag geben, in dem diese Pflicht geregelt ist.

Sollen Beschäftigte im Anwendungsbereich des § 20a IfSG gegenüber ihrer Arbeitgebern tatsächlich dazu verpflichtet sein, sich impfen zu lassen?

Soll eine Impfung arbeitsvertraglich im Verhältnis zur Arbeitgeber geschuldet sein,obwohl der Staat den Beschäftigten diese Pflicht nach dem öffentlichen Recht bewusst nicht auferlegt?

In der Gesetzesbegründung heißt es ausdrücklich ,dass „die Freiwilligkeit der Impfentscheidung selbst unberührt“ bleiben soll. (BT-Drucks. 20/188)

Diese Entscheidung des Gesetzgebers muss im Arbeitsvertragsrecht berücksichtigt werden, so dass ich nicht davon ausgehe, dass eine Abmahnung oder verhaltensbedingte Kündigung einer gerichtlichen Überprüfung standhalten würde.


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