Berufsunfähigkeit wegen Long COVID-Erkrankung - die wichtigsten Grundregeln

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Die gesundheitlichen Auswirkungen von Long COVID-Erkrankungen beschäftigen zunehmend auch die privaten BU-Versicherer.

Hier stellen sich diverse rechtliche wie tatsächliche Fragen, vor allem aus folgenden Gründen:

  • Es handelt sich um ein vergleichsweise neues (und recht komplexes) Krankheitsbild, dass noch wenig erforscht ist.

  • Die einzelnen Symptome sind sehr heterogen und teilweise mit den gängigen diagnostischen Methoden kaum zu erfassen.

  • Verlässliche Aussagen über die Möglichkeit einer Heilung oder auch nur über die langfristige Prognose der Erkrankung sind angesichts der Neuheit des Krankheitsbildes ebenfalls nur sehr bedingt möglich.

In ihrem Zusammenwirken ergeben sich aus diesen drei Aspekten diverse Herausforderungen für Versicherte.

Beachtet man aber folgende Grundregeln, erhöhen sich die  Erfolgsaussichten von Leistungsanträgen wegen Long COVID-Erkrankungen erheblich:

  1. Von entscheidender Bedeutung ist eine exakte Darstellung der zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit und - vor allem - der Auswirkungen der krankheitsbedingten Beeinträchtigungen auf diesen Beruf; hierauf kann man nicht genug Mühe verwenden.
  2. Anstatt sich unnötig über die Krankheitsprognose zu streiten, sollten die diesbezüglich die vertraglich vereinbarten Fiktionen  genutzt werden. In aller Regel wird es sich hierbei lediglich um sechs Kalendermonate handeln, die man bestens für die gründliche Vorbereitung des eigenen Antrages nutzen kann.
  3. Die eigentliche Diagnose als solche ist weniger wichtig: Ob der eigene Behandler nun eine Long  COVID-Symptomatik im Sinne der aktuellen S1-Leitlinie diagnostiziert oder nicht, ist vollkommen zweitrangig. Entscheidend sind ausschließlich die krankheitsbedingten Beschwerden als solche (woher auch immer diese auch immer stammen mögen).

Im Einzelnen:

1. Nicht auf die Diagnose festlegen
Nicht zuletzt deshalb, weil die Bezeichnung Long COVID durchaus polarisieren kann, sollte man sich auf bei seinem BU-Antrag zunächst nicht zu sehr auf eine bestimmte Diagnose festlegen.

Es ist nämlich in keiner Weise relevant, ob der jeweilige fachärztliche Behandler eine „echte“ Long-COVID-Diagnose entsprechend der aktuellen S1-Leitlinie Long/Post-COVID gestellt hat oder nicht.

Ist eine solche vorhanden, schadet dies natürlich nicht - umgekehrt gilt dies aber ebenfalls:

Entscheidend für den Anspruch auf BU-Leistungen sind ausschließlich die gesundheitlichen Auswirkungen der Erkrankung(en) auf die Fähigkeit zur Ausübung der letzten beruflichen Tätigkeit, und zwar völlig unabhängig von der Bezeichnung der zugrundeliegenden Erkrankung.

Es ist deshalb keineswegs ein Hindernis im Antragsverfahren, dass unter Umständen noch keine fachärztlich bestätigte Long COVID-Diagnose vorliegt.

Persönlich habe ich im Gegenteil sogar den Eindruck, dass eine (noch) nicht vorliegende Long COVID-Einstufung die medizinische Bewertung bei den Versicherern tendenziell sogar noch beschleunigt:

Mehr als einmal habe ich in Leistungsverfahren erlebt, dass überhaupt nicht auf die fachärztlich bestätigte “Long COVID"-Diagnose eingegangen wurde, sondern dass die bedingungsgemäße Beeinträchtigung ausschließlich mit einer durch diese Long COVID-Erkrankung (wieder) ausgelösten depressiven Episode begründet wurde (wobei das Stellen einer Long COVID-Diagnose mehr oder weniger offen als kritisch bis feindselig bewertet wurde), wie beispielsweise in diesem Gutachten eines Versicherungsarztes:

In einem solchen Fall ist es natürlich völlig unsinnig, sich langwierig darüber zu streiten, aus welchem Krankheitsbild die - ja unstreitig vorhandenen - Beschwerden stammen, weshalb ein Beharren auf der "amtlichen" Feststellung der eigenen Long COVID-Diagnose aus meiner Sicht auf kindliche Rechthaberei hinausläuft, an dieser Stelle nur unnötig Zeit und Energie kostet und - vor allem - nur den eigenen Leistungsanspruch gefährdet.

2. Globale Leistungsdefizite herausstellen
Die gesundheitlichen Auswirkungen von Long COVID-Erkrankungen sind bekanntlich sehr heterogen:

Von einer kardiologischen Beteiligung über muskuläre Symptome hin zu Störungen von Gedächtnis und Konzentration und sogar kompletten Neu- bzw. Wiedererkrankungen aus dem psychiatrischen Formenkreis sind mittlerweile sämtliche kurz- und langfristigen Folgen dokumentiert.

Diese sehr unterschiedlichen Krankheitssymptome können natürlich auch sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Ausübung des versicherten Berufes haben.

Deshalb ist es von absolut entscheidender Bedeutung für den Erfolg eines Leistungsverfahrens, dass die sehr unterschiedlichen körperlichen und psychischen Symptome entsprechend ihrer Auswirkungen auf die versicherte Tätigkeit dargestellt werden:

Es liegt auf der Hand, dass eine Lungenbeteiligung für eine sitzende Tätigkeit ohne große Belastung des Herz-Kreislaufsystems sehr viel weniger relevant ist als eine Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit.

In aller Regel werden es die von den Medizinern als globale Leistungsdefizite bezeichneten Beschwerden sein, welche die Ausübung des Berufes in bedingungsgemäßen Ausmaß beeinträchtigen:

Symptome wie eine übermäßige Müdigkeit und Erschöpfung („Fatigue“), eine dauerhafte Antriebslosigkeit sowie Störungen von Konzentration und Gedächtnis müssen sauber dokumentiert und ihren Auswirkungen auf die berufliche Tätigkeit dargestellt werden (eine entsprechende Vorlage finden Sie hier).

Dann - und nur dann - ist ein auf Long-Covid-Erkrankungen gestützter Leistungsantrag bei der privaten BU-Versicherung erfolgversprechend und der Versicherer kann entweder sogleich nach Aktenlage entscheiden oder eine medizinische Bewertung der dargestellten Beeinträchtigung in Auftrag geben.

So oder so ist jedenfalls eine verbindliche Leistungsentscheidung möglich, die entweder im Sinne des Versicherten ergeht oder zumindest anwaltlich (und bei entsprechenden Erfolgsaussichten später auch gerichtlich überprüft werden kann.

Wird diese Hürde nicht genommen und einfach nur pauschal ein BU-Antrag „wegen Long COVID“ gestellt, wird der Versicherer zu Recht entgegenhalten, dass eine Leistungsprüfung mangels vollständiger Unterlagen (überhaupt) noch nicht durchgeführt werden kann.  

2. Globale Leistungsdefizite herausstellen
Ein in der Praxis erhebliches Problem bei Long COVID-Erkrankungen stellt die Prognose der Erkrankung dar:

Nach den rechtlichen Vorgaben liegt Berufsunfähigkeit dann vor, wenn der Versicherte voraussichtlich „auf Dauer“  unfähig ist, seinen Beruf (weiter) auszuüben.

Zwar benennt die gesetzliche Regelung in § 172 Abs. 2 VVG keinen exakten Zeitraum, weshalb die einzelnen Versicherer ihre Regelungswerke unterschiedlich ausgestaltet haben.

So oder so ist allerdings eine medizinische Prognose über die künftige Entwicklung der aktuell vorliegenden Beeinträchtigung erforderlich. (Der Bundesgerichtshof verlangt hier, dass bei dem Versicherten ein gesundheitlicher Zustand vorliegt, der „nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft keine Erwartungen mehr auf eine Besserung rechtfertigt“).

Mit einer solchen Prognose wiederum werden sich die meisten Behandler erfahrungsgemäß eher zurückhalten und auch die von den einzelnen Versicherungen beauftragten Sachverständigen werden sich nicht unbedingt darum reißen, freimütig eine entsprechende Dauerhaftigkeit der Beschwerden zu konstatieren (zumal der Versicherte in einem Rechtsstreit diesbezüglich beweisbelastet ist).

An dieser Stelle greift man geschickterweise auf die Regelungen im eigenen (BU-)Versicherungsvertrag zurück:

Die einzelnen Bedingungen enthalten stets auch bestimmte Fiktionen, nach welchen diese Dauerhaftigkeit der Beschwerden dann vermutet wird, wenn die gesundheitliche Beeinträchtigung über einen gewissen Zeitraum anhält, in welchem wegen ein und derselben Erkrankung eine ununterbrochene ärztliche Krankschreibung vorliegt.

Hier lohnt es sich in jedem Falle, abzuwarten:

In aller Regel sind sechs Kalendermonate vereinbart (nur in Ausnahmefällen finden sich Klauseln mit bis zu einem Jahr) und diesen Zeitraum benötigt man ohnehin, um sich Klarheit über die Entwicklung der eigenen gesundheitlichen Situation zu verschaffen.

Ein zeit- und nervenaufreibender Streit über die Prognose vor dem Ablauf dieser sechsmonatigen „Krankschreibungsphase“ wird selten seinen Aufwand wert sein, zumal die Leistungen auch rückwirkend ausgezahlt werden.

Mit dem Abwarten bis zum Erreichen dieses Zeitraums sind also keinerlei rechtliche Nachteile verbunden.

Deshalb ist es schlicht das zeit- und energiesparendste Vorgehen, sich von seinem behandelnden Facharzt (wenn noch nicht geschehen) schnellstmöglich krankschreiben zu lassen und diese Krankschreibung – wohlgemerkt wegen ein- und derselben Diagnose (!) – über einen Zeitraum von sechs Kalendermonaten „aufrechtzuerhalten“.

Diese Zeit kann genutzt werden, um den eigenen Leistungsantrag gründlich vorzubereiten und dann hat man bei Einreichung – aktenkundig, und ohne das dies groß in Frage gestellt werden kann – die Problematik der oft schwierigen Prognose bei Long COVID-Erkrankungen vergleichsweise elegant umschifft … 

4.
Alles in allem
sind also die mit der Neuheit des Krankheitsbildes einhergehenden Herausforderungen für Versicherte nicht unüberwindbar.

Im Gegenteil zeigen diverse von mir betreute Leistungsverfahren, dass man auch (oder gerade) mit einer Long COVID-Erkrankung Leistungen aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung erhalten kann – einige Beispiele finden Sie hier …)

Foto(s): Frank Breitkreutz

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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