Berufsunfähigkeitsversicherung als modifizierte Erwerbsunfähigkeitsversicherung zulässig ? ​

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Der BGH hatte sich im Februar 2017 im Rahmen beanspruchter Leistungen aus einer BU-Versicherung mit folgender Klausel zu befassen, die er – das sei vorweggenommen – für vertragszweckgefährdend und intransparent hält und deshalb für unwirksam erklärt hat.

„Als versicherter Beruf im Sinne der Bedingungen gilt die vor Eintritt des Versicherungsfalls zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit mit der Maßgabe, dass sie zu mindestens 90 % als Schreibtischtätigkeit in Büro, Praxis oder Kanzlei ausgeübt wird. Im Falle einer BU – Leistungsprüfung erfolgt die Bemessung der Berufsunfähigkeit ausschließlich auf dieser Basis.“

1. Der BGH erklärte zum einen, er habe bereits erhebliche Bedenken, ob die oben zitierte Klausel gemäß § 307 Abs.2 Nr. 2 BGB nicht schon wegen unangemessener Benachteiligung des VN unwirksam ist. 

Diese Unwirksamkeit könnte sich aus einer Gefährdung des Vertragszwecks ergeben. Denn versichert werde nach o. g. Klausel lediglich eine sitzende Tätigkeit von mindestens 90 %. Diese Klausel löse sich damit von einer klassischen Berufsunfähigkeitsversicherung, sichere vielmehr lediglich das Risiko einer modifizierten Erwerbsunfähigkeit ab. Dies ist indes nicht Sinn und Zweck einer Berufsunfähigkeitsversicherung, die ja gerade der Absicherung der konkreten beruflich geprägten Lebensstellung dient.

2. Im Weiteren erklärt der BGH diese Klausel für intransparent. 

Es komme zunächst nicht darauf an, ob die Klausel das grundsätzlich der Inhaltskontrolle entzogene Preis-/Leistungsverhältnis betreffe. Aus § 307 Abs. 3 Satz 2 BGB ergibt sich nämlich, dass sich die Transparenzkontrolle auch auf das Hauptleistungsversprechen erstrecke. Nachdem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ist der Verwender allgemeiner Geschäfts- (hier: Versicherungs-) Bedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des Senats so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an.

Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer wird die eingetretene Berufsunfähigkeit mit der von ihm zuletzt konkret ausgeübten Berufstätigkeit in Verbindung bringen, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war. In diesem Verständnis wird er durch § 3 Abs. 2 der vereinbarten Bedingungen bestärkt. Von der bloßen Unfähigkeit der Berufsausübung in einem fiktiven Beruf wird er demgegenüber nicht ausgehen. Die Berufsunfähigkeitsversicherung soll für ihn erkennbar das Risiko abdecken, das ihm infolge eines Einnahmenverlustes entsteht, wenn er seinem tatsächlich zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf nicht mehr nachgehen kann. 

Will der BU–Versicherer dieses für den Versicherungsnehmer essentielle Interesse der Absicherung die Berufsunfähigkeit im zuletzt konkret ausgeübten Beruf nicht oder nicht vollständig übernehmen, so muss er dies dem Versicherungsinteressenten in unmissverständlicher Weise schon vor Abschluss des Vertrages deutlich machen. 

Dies ist durch die o. g. Klausel nicht geschehen:

In dieser wird in ihrem ersten Satz zunächst entsprechend der allgemeinen Regelung in § 3 Abs. 1 SBU darauf abgestellt, als versicherter Beruf gelte die vor Eintritt des Versicherungsfalls zuletzt ausgeübte Tätigkeit. Das wird durch den zweiten Halbsatz indes dahin eingeschränkt, dies gelte lediglich mit der Maßgabe, dass die Tätigkeit zumindest zu 90 % als eine Schreibtischtätigkeit in Büro, Praxis oder Kanzlei ausgeübt werde. In welchem Verhältnis diese beiden Satzteile zueinanderstehen, wird dem Versicherungsnehmer nicht hinreichend verdeutlicht. Dies geschieht auch nicht durch den weiteren Satz, wonach im Falle einer Leistungsprüfung die Bemessung der Berufsunfähigkeit ausschließlich auf dieser Basis erfolge. 

Es bleibt sogar unklar, so der BGH, welches die Basis für die Prüfung von Ansprüchen aus der Versicherung sein soll. So wird sich dem Versicherungsnehmer nicht ohne weiteres erschließen, dass er nur dann einen Anspruch auf Leistung aus der Berufsunfähigkeitsversicherung haben kann, wenn ihm aus gesundheitlichen Gründen eine mindestens 90 prozentige Schreibtischtätigkeit nicht mehr möglich ist, er eine derartige aber gar nicht ausübt, und infolgedessen in seinem bisherigen konkret ausgeübten Beruf weder berufsunfähig ist, noch entsprechende Einkommensverluste hinzunehmen hat.

Wollte der Versicherer überhaupt nicht mehr auf die konkret vom Versicherungsnehmer im Zeitpunkt seiner Erkrankung ausgeübte Tätigkeit abstellen, sondern auf einen rein fingierten Beruf einer zu 90 % sitzend ausgeübten Schreibtischtätigkeit, so hätte er dies deutlicher herausstellen und im Besonderen klarstellen müssen, dass durch diese Klausel von der allgemeinen Regelung in § 3 Abs. 1 SBU abgewichen wird.

In der Sache will der Versicherer hier keinen konkret ausgeübten Beruf mehr versichern, sondern eine abstrakte Schreibtischtätigkeit mit einem bestimmten Prozentanteil. Insofern handelt es sich nicht mehr um eine klassische Berufsunfähigkeits-, sondern um eine mit bestimmten Modifikationen ausgestaltete Erwerbsunfähigkeitsversicherung. Dies führt zur Unwirksamkeit der Klausel, da sich das dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer – ungeachtet der oben angesprochenen Frage, ob eine solche Regelung auch auf inhaltliche Bedenken stößt – jedenfalls nicht mit der für das Transparentgebot erforderlichen Deutlichkeit erschließt. 

3. Was folgt daraus? 

Folgt man den umfassenden Darlegungen des BGH allein zur Frage der Transparenz, so ist es dem Versicherer grundsätzlich nicht verwehrt, solche Klauseln zu vereinbaren. Aber er muss dies bereits vor dem Abschluss des Versicherungsvertrages als Besonderheit und Abweichung von einer üblichen BU-Versicherung besonders kennzeichnen und dem Interessenten deutlich machen. Dass der Versicherer dies in ausreichendem Maße getan hat, wird immer seiner Darlegungs- und Beweislast obliegen, wie ein im Streitfall angerufenes Gericht dieses Problem immer einer besonderen Prüfung unterziehen wird.

Dessen ungeachtet hat der BGH leider nicht ganz abschließend entschieden, ob eine modifizierte Erwerbsunfähigkeitsversicherung nicht ohnehin den Vertragszweck einer Berufsunfähigkeitsversicherung gefährdet, also eine solche als Berufsunfähigkeitsversicherung gar nicht erst deklariert und verkauft werden darf. Hier bleibt die weitere Rechtsprechung abzuwarten. 



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