Berufsunfähigkeitsversicherung und Raubbau an der Gesundheit

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Im Jahr 2015 sollen 22 Prozent aller Deutschen gegen die Risiken einer Berufsunfähigkeit privat versichert gewesen sein. Damit verbunden ist der Gedanke, im Falle einer schweren Erkrankung gegen die damit verbundenen finanziellen Ausfälle abgesichert zu sein.

Werden Versicherte dann tatsächlich krank, hoffen sie zu Recht auf Berufsunfähigkeitsrente, für die sie zum Teil jahrzehntelang Prämien gezahlt haben. Für viele kommt dann jedoch das große Erwachen: Nachdem sie sich durch den Papierwahnsinn, der mit einem Antrag auf Leistungen aus einer privaten Berufsunfähigkeitsversicherung verbunden ist, durchgekämpft haben, lehnt der Versicherer die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente ab. Gründe für solche Ablehnungen gibt es viele, wobei ein Grund für den Betroffenen besonders perfide ist. Geht der Betroffene nämlich trotz seiner Erkrankung aus Loyalität gegenüber seinem Arbeitgeber oder seinen Kollegen, aus purem Pflichtbewusstsein oder aus Sorge um sein selbstständig geführtes Unternehmen weiterhin arbeiten (wenn auch in geringerem Umfang), so dreht ihm der Versicherer hieraus gerne einen Strick. Denn seiner Auffassung nach kann nicht berufsunfähig sein, wer weiterhin arbeiten geht.

Zum Glück für Versicherte ist die Rechtslage an dieser Stelle jedoch nicht ganz so einfach, wie es sich der Versicherer in solchen Fällen wünscht.

Berufsunfähigkeit im Sinne der privaten Berufsunfähigkeitsversicherung liegt regelmäßig vor, wenn die versicherte Person ihren zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Beruf nicht mehr zu mindestens 50 % ausüben kann. Übt der Versicherte seine bisherige Tätigkeit trotz behaupteter mindestens 50-prozentiger Berufsunfähigkeit in einem diesen Prozentsatz übersteigenden Umfang dennoch aus, ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (u. a. BGH, Urteil vom 11. Oktober 2000 – IV ZR 208/99) trotzdem Berufsunfähigkeit anzunehmen, wenn dies auf einem sogenannten „überobligationsmäßigen Verhalten“ beruht. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Gefahr einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes besteht. In juristischen Fachkreisen spricht man hier von „Raubbau an der Gesundheit“.

Werden Betroffene von ihren Berufsunfähigkeitsversicherern „im Stich gelassen“, ist es für sie dringend ratsam, sich an einen Fachanwalt für Versicherungsrecht zu wenden. Nur bei einem entsprechend qualifizierten Fachanwalt kann der Betroffene davon ausgehen, dass sich der Rechtsanwalt in der komplexen Materie des Rechts der Berufsunfähigkeitsversicherungen auskennt. Er kann dem Betroffenen womöglich helfen und die Angelegenheit zum Erfolg führen. Einen solchen Erfolg konnte auch die Klägerin in dem vom Oberlandesgericht Hamm am 27. April 2018 (I – 20 U 75/17) entschiedenen Fall verzeichnen. Die Klägerin, die in gesunden Tagen in ihrem vom Vater geerbten Unternehmen umfassende unternehmensleitende Tätigkeiten mit einem Arbeitspensum von mindestens 10 Stunden täglich an sechs Tagen in der Woche ausgeübt hatte, war trotz einer schweren Depression weiterhin für wenige Stunden am Tag ins Büro gegangen, um unterstützend tätig zu sein. Diese unterstützenden Tätigkeiten bedeuteten jedoch nach den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen eine konkrete Gefahr für die Gesundheit der Klägerin, weshalb dennoch von Berufsunfähigkeit auszugehen war. Der Klage wurde stattgegeben.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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