Betriebsbedingte Kündigung bei Betriebsstilllegung und Restarbeiten: Stolperstein Sozialauswahl!

  • 2 Minuten Lesezeit


Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 09.01.2024 (Az. 3 Sa 529/23)

Der Arbeitgeber darf bei einer etappenweisen Betriebsstillegung nicht frei darüber entscheiden, wem er früher oder später kündigt.

Vielmehr müssen Arbeitgeber bei einer schrittweisen Betriebsstilllegung nach Auffassung des LAG vor dem Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen eine Sozialauswahl treffen. Bei erforderlichen Abwicklungsarbeiten sind grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu beschäftigen. Ohne eine ordnungsgemäße Sozialauswahl seien die Kündigungen der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unwirksam.

Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass die Sozialauswahl ein Stolperstein für viele Arbeitgeber bei dem Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung sein kann. Sollten trotz Betriebsstillegung noch Abwicklungsarbeiten durchzuführen sein, müssen die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmer Teil des Abwicklungsteams sein und mit den Abwicklungsarbeiten beschäftigt werden.


Sachverhalt:

Im konkreten Fall ging es um ein insolventes Unternehmen, das Aluminiumteile herstellte und vertrieb. In dem Unternehmen waren zuletzt knapp 600 Mitarbeiter tätig. Der Insolvenzverwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum Jahresende 2022 zu. Alle Mitarbeitenden, darunter der auch der Kläger, wurden ab Januar 2023 von der Arbeit freigestellt und zum 31. März betriebsbedingt gekündigt. Nur einem kleinen Teil der Mitarbeitenden wurde die Weiterbeschäftigung in einem Abwicklungsteam bis zum 30.06.2023 ermöglicht.

Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage und berief sich vor allem auf eine fehlerhafte Massenentlassungsanzeige des Arbeitgebers bei der Bundesagentur für Arbeit.


Entscheidung:

Das LAG erklärte die Kündigung für unwirksam. Fehler in der Massenentlassungsanzeige stellten jedoch keinen Unwirksamkeitgrund dar, da „der Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist“. Die Aussage des LAG Düsseldorf, Fehler im Massenentlassungsanzeigeverfahren seien für die Wirksamkeit einer Kündigung nicht relevant, ist interessant, denn diese Frage wird aktuell höchstrichterlich neu geklärt, vgl. BAG, Beschluss vom 14.12.2023 – Az. 6 AZR 155/21.

Vielmehr sei die Kündigung wegen fehlerhafter Sozialauswahl unwirksam, urteilte das LAG. „Bei einer etappenweisen Betriebsstilllegung hat der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher und später kündigt“, heißt es in dem Urteil. Grundsätzlich müssten die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten beschäftigt werden. Für die vorzunehmende Sozialauswahl müsse der Arbeitgeber Vergleichsgruppen anhand der bisher ausgeübten Tätigkeiten bilden und Anforderungsprofile für die Abwicklungsarbeiten erstellen. Dem sei der Arbeitgeber im Streitfall nicht hinreichend nachgekommen.


Hinweis:

Die Sozialauswahl richtet sich in diesem Fall darauf, wer am längsten beschäftigt bleiben muss. Auch diese Frage ist grundsätzlich anhand der im KSchG genannten Kriterien Lebensalter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung zu bemessen. Der Vergleichsmaßstab wird hierbei von den im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten bestimmt. Arbeitgeber müssen diese Grundsätze im Rahmen der Bildung von Vergleichsgruppen und der Auswahl derjenigen, die am längsten „an Bord“ bleiben, beachten. Ausnahmen sind über die so genannte Leistungsträgerregelung denkbar, müssen aber sauber begründet werden. Zu achten ist schließlich auf die Rechte der Betriebsratsmitglieder. Wird ein erheblicher Teil der Beschäftigten mit Abwicklungsarbeiten betraut, dürfte auch der Betriebsrat bis zum Ende der Abwicklung im Spiel bleiben. Er vertritt dann die Rechte der Beschäftigten im Abwicklungsteam.

Sollten Sie von einer Kündigung betroffen sein, stehe ich Ihnen gerne anwaltlich bei der Durchsetzung Ihrer Rechte zur Seite.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Bernd Gasteiger LL.M.

Beiträge zum Thema