BGH: Käufer kann einen Kaufvertrag noch in der Berufung widerrufen

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Der BGH hat mit Urteil vom 17.10.2018 – VIII ZR 212/17 eine für die Prozesspraxis sehr wichtige Entscheidung getroffen. Demnach sind Parteien nicht gezwungen, die ihnen zur Verfügung stehenden Gestaltungsrechte so früh wie möglich im Prozess auszuüben. Vielmehr können Gestaltungsrechte wie etwa Widerruf, Kündigung oder Rücktritt in einer späteren Instanz ausgeübt werden.

Des Weiteren klärt der BGH, unter welchen Voraussetzungen ein Wohnmobil als fabrikneu gilt.

Sachverhalt (vereinfacht)

Die Parteien streiten um die Kaufpreiszahlung eines Wohnmobils im Wert von 177.990 €. Der Beklagte hatte dieses von der klagenden Händlerin über das Internet erworben, wobei die Klägerin das Wohnmobil als fabrikneu bezeichnet hat. Der Beklagte leistete eine Anzahlung, tätigte aber keine weiteren Zahlungen, weshalb die Klägerin ihn auf den restlichen Kaufpreis verklagte und in der ersten Instanz Recht bekam.

Der Beklagte legte Berufung ein und erklärte hier erstmals den Widerruf des Kaufvertrags, da er diesen als Verbraucher außerhalb der Geschäftsräume der Klägerin geschlossen habe. Hilfsweise erklärte er den Rücktritt vom Kaufvertrag, da es sich bei dem Wohnmobil um kein Neufahrzeug handle. Er habe erfahren, dass das Wohnmobil bereits über 15 Monate vor dem Kaufvertrag an einen Vertragshändler ausgeliefert worden war.

Mit der Berufung verlangte der Beklagte die Abweisung der Klage und die Rückzahlung seiner geleisteten Anzahlung. Die Berufung hatte Erfolg, wogegen der Kläger Revision einlegte.

„Fabrikneu“ nur zwölf Monate nach Herstellung

Der BGH bestätigte seine Rechtsprechung zu den Voraussetzungen, nach denen ein Fahrzeug als fabrikneu gilt und hat diese auch für Wohnmobile anwendbar erklärt. Fabrikneu sind demnach nur solche Fahrzeuge, wenn und solange das Modell unverändert gebaut wird, wenn es keine standzeitbedingten Mängel aufweist und zwischen der Herstellung und dem Abschluss des Kaufvertrags nicht mehr als 12 Monate liegen (vgl. BGH Urt. v. 15.10.2003 – VIII ZR 227/02).

Dies gelte auch für Wohnmobile, da sie wie jedes andere Kraftfahrzeug einem Alterungsprozess durch infolge des Zeitablaufs eintretende Materialermüdung, Oxidation und anderen physikalischen Veränderungen unterliegen.

Gestaltungsrechte auch noch im laufenden Prozess

Für die Praxis interessanter ist aber Folgendes:

Der BGH entschied, dass eine Partei nicht verpflichtet ist, ein ihr materiell-rechtlich zustehendes Gestaltungsrecht wie das Widerrufsrecht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz auszuüben.

Auch ein erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung ausgeübtes Gestaltungsrecht ist in der Berufungsinstanz grds. zu berücksichtigen, und zwar unabhängig davon, ob die Erklärung des Gestaltungsrechts als solche von der Gegenseite bestritten oder zwischen den Parteien unstreitig ist.

Die Entscheidung ist bemerkenswert, da das Zivilprozessrecht die Parteien grundsätzlich zwingt, den relevanten Tatsachenstoff so früh wie möglich vorzutragen. Man könnte daher annehmen, dass die Erklärung eines Widerrufs oder eines Rücktritts nach Ende der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung als verspätet zurückgewiesen und nicht berücksichtigt wird. Nach Ansicht des BGH soll jedoch niemanden dazu gezwungen werden, früher als von dem Rechteinhaber gewünscht, ein bestehendes Rechtsverhältnis zu verändern.

Auswirkungen auf die Praxis

Durch die Entscheidung ist es Parteien möglich, auch im laufenden Prozess noch erheblich auf den Rechtsstreit Einfluss zu nehmen. Zu den Gestaltungsrechten gehören insbesondere Kündigung, Rücktritt und Widerruf. Damit haben die Parteien – bzw. deren Anwälte – über den gesamten Rechtsstreit genau zu prüfen, ob einer Partei etwaige Gestaltungsrechte zustehen. Das heißt, es ist zu prüfen, ob die Voraussetzungen für ein solches Recht vorliegen. Hier ist bspw. an die Fristen beim Widerruf und der Kündigung zu denken. Gerade im E-Commerce und Fernabsatzhandel sollten Verkäufer daher genau darauf achten, dass rechtmäßige Widerrufsbelehrungen erteilt werden. Andernfalls könnte der Käufer einen bereits sicher geglaubten Kaufvertrag nach langer Zeit widerrufen.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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