Bundesgerichtshof korrigiert Europäischen Gerichtshof?

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Dies ist und war der sogenannte 

1.) EuGH-Widerrufsjoker:

Mit Entscheidung vom 26.03.2020, Az.: C‑66/19 hatte der europäische Gerichtshof die Kaskadenverweisung in Widerrufsbelehrungen einer Sparkasse für europarechtswidrig eingestuft. Dies im Fall eines Darlehens, welches grundpfandrechtlich abgesichert war (also typ. Immobilienfinanzierung). Insbesondere steht die Kaskadenverweisung der europäischen Richtlinie über Verbraucherkreditverträge (RL 2008/48/EG) entgegen.

2.) Dies war die Korrektur durch den BGH:

Bereits mit Entscheidung vom 31.03.2020, Az.: XI ZR 581/18 war der Bundesgerichtshof dieser Entscheidung des EuGH entgegengetreten. Unter Verweisung auf seine ursprüngliche Rechtsauffassung hat er damit die Rechtsprechung des EuGH in diesen Angelegenheiten selbst als völlig belanglos übergangen. In seinem Beschluss vom 19.03.2019, Az.: XI ZR 44/18 wies der BGH zuvor bereits darauf hin, dass das LG Saarbrücken zu Unrecht den EuGH angerufen hatte, da eine Auslegung von Unionsrecht von vornherein nicht in Betracht kommt.

3.) EU-Rechtsprechung kollidiert mit BGH-Rechtsprechung wg Gesetzgebungskompetenzen?

Es zeigt sich einmal mehr, dass Gesetzgebungskompetenzen der Bundesrepublik Deutschland mit denjenigen der Europäischen Union kollidieren kann, was im vorliegenden Fall voraussichtlich nicht nur unzählige Gerichte, sondern auch politische Entscheidungsträger beschäftigen wird und auch beschäftigen sollte. Meines Erachtens sind die genannten Entscheidungen vor allem für die einzelnen Darlehensnehmer von grundpfandrechtlich abgesicherten Darlehen, die im Rahmen ihrer Widerrufsbelehrung eine Kaskadenverweisung besitzen, von Bedeutung. Natürlich für die anderen Verbraucherdarlehen auch (auch hier sieht der BGH aber wohl keine Zuständigkeit des EuGH, wenn der deutsche Gesetzgeber tätig war).

4.) Konsequenz in der Praxis:

Für unsere Mandanten mit entsprechenden Fallkonstellationen geht es nun darum, den Richter eines in Deutschland tätigen Gerichts aufgrund der bei dem Richter für den Einzelfall alleinig liegenden Entscheidungskompetenz davon zu überzeugen, dass trotz der ablehnenden Haltung des Bundesgerichtshofes der Europäische Gerichtshof in dem von ihm zu entscheidenden Einzelfall angerufen werden soll.

Dabei ist der Richter in Deutschland gem. Art. 97 Abs. 1 GG weder an die Rechtsprechung des BGH noch an die des EuGH gebunden. Wie es im Grundgesetz steht, sind Richter in ihrer Entscheidungsfreiheit unabhängig und letztendlich nur dem Gesetz unterworfen.

Was ein deutscher Richter allerdings kaum nach meiner Einschätzung der Sach- und Rechtslage machen wird,  ist die Sache nicht zum EuGH vorzulegen und selbst über die Frage zu entscheiden, ob europarechtliche Vorschriften und deren Auslegung zu dem gleichen Ergebnis führen, wie dies der EuGH in dem Sparkassenfall zu Gunsten der dortigen Parteien entschieden hat. Dies schlichtweg, weil ein deutscher Richter eben nicht über europarechtliche Fragestellungen zu entscheiden hat, sondern dies die Aufgabe des EuGH darstellt.  

Sobald der Richter einen einheitlich europäischen Verbraucherschutz letztendlich für seine Entscheidung im Rahmen einer richterlichen Abwägung höher bewerten will und die europäische Verbraucherschutzrichtlinie oder vielmehr eine auf europäischer Ebene „stehengebliebene“ Regelungslücke zur europäischen Verbraucherschutzrichtlinie und deren Behandlung im Rahmen einer europarechtlichen „Analogie“ anwenden will, wird der deutsche Richter wohl auch zum EuGH vorlegen.

Immerhin ist es jedenfalls nach dem Rechtsempfinden vieler unerträglich, eine EU-Richtlinie für Verbraucherdarlehen als existierend zu wissen, die eine sehr grundlegende rechtliche Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland besitzt, und die darauf in einem Einzelfall gestützte Rechtsprechung des EuGH als bedeutungslos zu akzeptieren.

5.) Die rechtliche Behandlung durch den BGH ,bisher und gegenwärtig:

Der Bundesgerichtshof erwehrt sich aber auf der anderen Seite mit dem zitiertem Urteil einer Rechtsauffassung, die letztendlich beinhaltet, dass der Inhalt eines Verbraucherkreditvertrages und seiner Widerrufsbelehrung die Frage der Auslegung europarechtlicher Vorschriften ist. Dies, wenn eben Inhalt eines Verbraucherkreditvertrages und seiner Widerrufsbelehrung, wie nun in den Fällen, die der BGH entschieden hat, der Inhalt der Widerrufsbelehrung auf Grundlage des Schaffens des deutschen Gesetzgebers, also der Umsetzung der Verbraucherkreditlinie und einer Musterbelehrung auf Grundlage einer deutschen Rechtsverordnung existiert, die über den Inhalt der ursprünglichen EU-Richtlinie sogar hinausgeht.

6.) Signalwirkung der Rechtsprechung des EuGH:

Dabei ist und wird aus Sicht der Banken unklar bleiben, ob und wie viele Gerichte wie das LG Saarbrücken handeln und dem EuGH ihre Fälle zur Entscheidung vorlegen wird oder eben nicht.

Insgesamt ist damit sehr wohl eine positive Signalwirkung der Entscheidung des EuGH für den gewünschten europarechtliche einheitlichen Verbraucherschutz nicht abzusprechen. Dennoch war es in der Vergangenheit eine Minderheit deutscher Gerichte, die sich zu einer Vorlage veranlasst gesehen hatten. Wir hoffen, dass sich dies in der Folge nach dem Erlass der EuGH-Entscheidungen für die Verbraucher ändert.

Aufgrund der bestehenden Gesetzeslage ist es somit nach meiner Ansicht  für einen deutschen Anwalt, der einen Darlehensnehmer mit der aus Sicht des EuGH „unzulässigen Kaskadenverweisung“ gegenüber der Bank vertritt, im Zweifel eben nicht ausreichend die EuGH-Rechtsprechung zu zitieren, um Eindruck zu hinterlassen. Außer ihm gelingt es überzeugend mit einer gerichtlichen Antragstellung zur Vorlage an den EuGH zu drohen, wenn er gegen Banken vorgeht. 

Allerdings besitzen viele Verbraucherdarlehen eben in ihren Widerrufsbelehrungen vielfältige Fehler, die tatsächlich auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung deutscher Gerichte zum Widerruf berechtigen und somit im Einzelfall zu sehr hohen, rechtlichen Erfolgsaussichten führen können, die die Rückabwicklung des Darlehensverhältnisses und damit eine anwaltliche Empfehlung gegen die Bank nach Ausübung des Widerrufsrechts begründen.

Deshalb ist es durchaus richtig und auch zulässig, weiterhin mit Verweis auf den Widerrufsjoker des EuGH betroffenen Anleger zu empfehlen, deren Widerrufsbelehrungen überprüfen zu lassen und die Vorteile eines Widerrufs für sich in Anspruch zu nehmen.

Übersenden Sie uns also gerne weiterhin einen SCAN Ihrer Widerrufsbelehrung und Ihres Darlehensvertrages um im Rahmen einer kostenfreien Ersteinschätzung ein Angebot für Ihre rechtliche Interessenvertretung zu erhalten.

Foto(s): haas@kanzlei-haas.de

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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