„Corona-Lockdown“ und gewerbliche Miet-/Pachtverträge

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Der Gesetzgeber greift vor dem Hintergrund der andauernden COVID-19-Pandemie wiederholt in mietrechtsrelevante Rechtsgrundlagen ein. Aktuell werden jedoch die Auswirkungen dieser Neuregelung auf Seiten von Mietern und Vermietern gewerblicher Mietobjekte (gilt auch für gewerbliche Pachtverträge) teilweise falsch eingeschätzt. Dies kann negative wirtschaftliche Auswirkungen für die Vertragsparteien haben. Eine Entscheidung über die verschiedentlich thematisierten Möglichkeiten, z.B. Mitminderung, Mietkürzung, Vertragsanpassung, die unveränderte Fortsetzung der Vertragsbeziehung oder eine gerichtliche Auseinandersetzung kann nur aufgrund fundierter Kenntnis der Rechtslage und Prüfung des konkreten Falles erfolgen.

 

Eine Regelung schien aus Sicht des Gesetzgerbers erforderlich, da Mietminderungen oder die Unmöglichkeitsregelungen (§§ 326 Abs.1, S.1 275 BGB) hier kaum greifen. Die Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs.1 BGB scheint der richtige Aufhänger für diese Problematik zu sein. Jedoch wird in der aktuellen Diskussion teilweise „übersehen“, dass die Anwendbarkeit des § 313 Abs.1 BGB noch von weiteren Tatbestandsmerkmalen abhängig ist.

Unter Art. 10 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung COVID-19-Pandemie bedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.2020 (Art. 10 dieses Gesetzes ist seit dem 31.12.2020 in Kraft) wird für Gewerbemietverträge der neue Art. 240 § 7 EGBGB eingeführt, welcher wie folgt lautet:

 

㤠7

Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen

  1. Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches, der zur Grundlage des Mietvertrages geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.

 

  1. Absatz 1 ist auf Pachtverträge entsprechend anzuwenden.“

 

Es entsteht in der Presseberichterstattung teilweise der Eindruck, dass damit die Voraussetzungen des § 313 BGB erfüllt sind. Tatsächlich wird durch die neue Norm lediglich die gesetzliche Vermutung eines von mehreren Tatbestandsmerkmalen des § 313 Abs. 1 BGB geregelt. Nach der neuen Regelung stellt die Nichtverwendbarkeit oder die erheblich eingeschränkte Verwendbarkeit von Gewerbemieträumen einen Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, welcher zur Grundlage des Mietvertrages geworden ist, dar, der sich nach Vertragsschluss verändert hat.

 

 

§ 313 BGB lautet wie folgt

Störung der Geschäftsgrundlage

(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.

(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.

 

Bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen des § 313 BGB wird eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ angenommen. Eine Vertragsanpassung kann verlangt bzw. gerichtlich durchgesetzt werden.

 

Unabhängig von der Frage, ob der neue Art. 240 § 7 EGBGB überhaupt einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhält, darf nicht übersehen werden, dass auch bisher (vor dieser neuen Regelung) von der Rechtsprechung bereits teilweise angenommen wurde, dass ein/e COVID-19-Pandemie bedingte/r Einschränkung bzw. Ausschluss der Nutzung von Gewerbemieträumen einen Umstand („große“ Geschäftsgrundlage; vergleichbar mit Naturkatastrophen, Hyperinflation, Krieg etc.) im Sinne des § 313 Abs.1 BGB darstellen kann. Die Neuregelung manifestiert somit den Willen des Gesetzgebers, bringt jedoch keine wesentliche Klärung bzgl. der im Rahmen von § 313 Abs.1 BGB weiteren problematischen Tatbestandsmerkmale.

Die Anwendbarkeit des § 313 Abs.1 BGB scheiterte in entsprechenden Konstellationen in der Rechtsprechung bisher überwiegend u.a. an dem Umstand, dass eine Unzumutbarkeit des Festhaltens am Mietvertrag für den Mieter nicht festgestellt werden konnte. Auch im Prüfungsrahmen des § 313 BGB verbleibt es grundsätzlich bei dem beim Mieter liegenden objektbezogenen Verwendungsrisiko. Folglich muss der Mieter eine Existenzgefährdung oder eine vergleichbare, zur Unzumutbarkeit führende, wirtschaftliche Beeinträchtigung darlegen und unter Beweis stellen Die Schließung eines Ladenlokals wegen des „Corona-Lockdowns“ reicht allein zur Begründung nicht aus. Es kommt zudem auf die tatsächlichen und konkreten Ausfälle, Höhe der laufenden Ausgaben, evtl. anderweitigen Verwendungsmöglichkeiten des Objektes, Onlinehandel, erhaltene oder durch Versäumnis nicht in Anspruch genommene staatliche Hilfen etc. an.

Sollte der Mieter die vorstehend beschriebene „Unzumutbarkeit“ darlegen und beweisen  können, stellt sich dann die Frage ob und ggf. welche andere Regelung die Mietvertragsparteien bei Kenntnis dieser oder entsprechender Umstände getroffen hätten. Hierbei wird auch der Inhalt der bestehenden vertraglichen Regelungen bei der Bewertung des Falles eine Rolle spielen. Sind im Mietvertrag evtl. krisen- oder umsatzabhängige Mietzinsklauseln bereits enthalten? Sind anderweitige mietvertragliche Regelungen vorhanden, welche bei einer Vertragsanpassung als Auslegungshilfe herangezogen werden können?

 

Die vorstehenden Ausführungen sollen Ihnen lediglich einen ersten Einblick in die sehr einzelfallbezogene und konkrete Problematik geben. Erst nach einer adäquaten Prüfung und Bewertung des Einzelfalles kann entschieden werden, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt das Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung eingegangen werden sollte, falls Vermieter und Mieter im konkreten Fall eine einvernehmliche Regelung und Vertragsanpassung als unsachgemäß / untragbar erachten bzw. keine Einigung erzielt wird und folglich die gerichtliche Geltendmachung von ausstehenden Mietzahlungen (Klage des Vermieters) oder die gerichtliche Feststellung der Vertragsanpassung (Klage des Mieters ?) in Erwägung gezogen wird.

Mithin besteht dringender Prüfungs- und Handlungsbedarf. Wir würden uns freuen Sie bei der Wahrnehmung Ihrer Interessen unterstützen zu können.



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