Coronavirus und Arbeitsrecht: Lohnfortzahlung, Urlaub, Freistellung, Kurzarbeit & Kündigungen

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I. Unter welchen Voraussetzungen müssen Arbeitgeber aktuell den Lohn fortzahlen?

Hier sind unterschiedliche Fallkonstellationen zu unterscheiden:

1. Erkrankung/Quarantäne

Ist ein Arbeitnehmer am Corona-Virus erkrankt und damit arbeitsunfähig, gelten keine Besonderheiten: grundsätzlich erhält der Arbeitnehmer Lohnfortzahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz.

Anders verhält es sich, wenn der Arbeitnehmer nicht erkrankt ist, sondern von den zuständigen Gesundheitsbehörden abgesondert wurde, also unter Quarantäne steht. Grundsätzlich müsste der Arbeitgeber in dieser Situation keinen Lohn fortzahlen und der Arbeitnehmer bekäme eine Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz. Allerdings enthält § 56 IfSG eine Sonderregelung: Gemäß § 56 Abs. 5 S. 1 IfSG muss der Arbeitgeber anstelle der Gesundheitsbehörde die Entschädigung in Höhe des Arbeitsentgelts für die Dauer von sechs Wochen weiterzahlen und die ausgezahlten Beträge werden ihm erstattet. 

2. Kinderbetreuung

Grundsätzlich gewährt § 616 BGB einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung, wenn der Arbeitnehmer "für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird". Zunächst kann der Fortzahlungsanspruch aus § 616 BGB allerdings durch Arbeits- oder Tarifvertrag ausgeschlossen werden. 

Unabhängig von einem dort enthaltenen Ausschluss ist die Anwendbarkeit des § 616 BGB auf die notwendige Kinderbetreuung im Zuge der Corona-Krise generell fraglich. § 616 BGB setzt nämlich einen in seiner Person liegenden Grund voraus. Damit greift § 616 BGB dann nicht, wenn objektive Leistungshindernisse bestehen, von denen eine unbestimmte Vielzahl von Dienstpflichtigen in gleicher Weise betroffen sind. Dies ist indessen bei den Schließungen von Kindergärten und Schulen eigentlich der Fall. Allerdings wird gerade für den Fall von Pandemien auch die Auffassung vertreten, dass es sich bei den aus einer Pandemie ergebenden Betreuungspflichten nicht um ein Alltagsrisiko handelt, das jeden Arbeitnehmer treffen kann, sondern das besondere Risiko der zur Personensorge verpflichteten Eltern.  

Des weiteren gilt § 616 BGB von vorneherein nur für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit. Die insoweit von der arbeitsrechtlichen Literatur angenommenen Zeiträume schwanken zwischen sechs und zehn Arbeitstagen. Eine mehrwöchige Kinderbetreuung wird der Arbeitgeber damit nicht zu vergüten haben.

3. Lohnfortzahlung bei Betriebsschließung

Viele Unternehmen sehen sich aktuell auch behördlichen Anordnungen ausgesetzt, welche die Schließung ihrer Betriebe anordnen. Vor allem Teile des Einzelhandels und der Gastronomie sind hiervon betroffen. Müssen bei einer solchen Betriebsschließung die Löhne weiterbezahlt werden?

§ 615 S. 3 BGB bestimmt hierzu, dass der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern auch dann den Lohn zahlen muss, wenn er "das Risiko des Arbeitsausfalls trägt". Behördlichen Schließungen sind jedenfalls dann dem Betriebsrisiko zuzuordnen, wenn das Verbot durch die besondere Art des Betriebs bedingt wird und einzukalkulieren ist. Hiervon kann bei der aktuellen Lage sicherlich nicht die Rede sein. Anerkannt scheint aber der Umstand zu sein, dass auch ganz grundsätzlich die Einstellung des Betriebes im Anschluss an eine behördliche Anordnung dem Betriebsrisiko unterfallen kann. Ob diese Aussage auch für Betriebsschließungen infolge des Corona-Virus gilt, werden die Arbeitsgerichte zu entscheiden haben. 

II. Urlaub, Überstundenabbau und Freistellungen

Jenseits der Lohnfortzahlung stellt sich die Frage, inwieweit Arbeitgebern ihren Mitarbeitern Urlaub oder Überstundenabbau verordnen dürfen, um Umsatzrückgängen oder etwaigen Lohnfortzahlungen trotz Betriebsschließungen zu begegnen.

1. Anordnung von Urlaub

Urlaub wird grundsätzlich durch eine Erklärung des Arbeitgebers gewährt, mit welcher er den Arbeitnehmer für eine bestimmte Zeit von der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung befreit. Damit kann der Arbeitgeber zunächst einseitig eine Urlaubsbestimmung gegenüber seinen Arbeitnehmern vornehmen. Allerdings ist der Arbeitnehmer nicht ohne weiteres gehalten, die Bestimmung des Urlaubszeitraums hinzunehmen. Er kann vielmehr grundsätzlich ein Annahmeverweigerungsrecht ausüben, indem er gegenüber seinem Arbeitgeber einen anderweitigen Urlaubswunsch äußert. Urlaubswünsche des Arbeitnehmers sind gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 BUrlG allerdings dann nicht zu berücksichtigen, wenn dringende betriebliche Belange, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang verdienen, entgegenstehen. 

Wenn demgemäß durch die Beurlaubung der Mitarbeiter die Einführung von Kurzarbeit oder sogar betriebsbedingte Kündigungen vermieden werden können, werden Arbeitgeber insbesondere für den Fall von vollständigen Betriebsschließungen ihren Mitarbeitern Urlaub auch gegen ihren Willen erteilen können. 

2. Anordnung von Überstundenabbau

Ob der Arbeitgeber statt Urlaub auch den Abbau von aufgebauten Überstunden anordnen kann, muss zunächst anhand der Vereinbarungen im Arbeitsvertrag sowie anhand etwaiger geltender Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen überprüft werden. Grundsätzlich gilt, dass ohne eine entsprechende Vereinbarung aufgebaute Überstunden zu vergüten sind. Ohne ausdrückliche Regelung im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder in Betriebsvereinbarungen besteht für den Arbeitgeber damit keine Möglichkeit, bezahlten Freizeitausgleich zu gewähren. Allerdings kann eine entsprechende Vereinbarung auch noch nachträglich getroffen werden. 

Ist der Arbeitgeber grundsätzlich berechtigt, dem Arbeitnehmer zum Ausgleich für geleistete Überstunden bezahlt von der Arbeit freizustellen, hat die Freistellungsanordnung billigem Ermessen im Sinne von § 315 BGB zu entsprechen. Vor allem bei Betriebsschließungen und/oder erheblichen Umsatzrückgängen im Zuge der Corona-Pandemie werden diesbezüglich die Belange des Arbeitgebers überwiegen.

3. Die Freistellung von Arbeitnehmern

Die Frage nach einer potentiellen Freistellung stellt sich für Arbeitgeber natürlich auch jenseits von Betriebsschließungen und Umsatzrückgängen jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber z.B. die Einschleppung der Infektion durch Mitarbeiter in sein Unternehmen und die damit einhergehenden Maßnahmen der Gesundheitsbehörden befürchtet. Kommt eine Freistellung durch die Gewährung von Urlaub oder eine Freistellung zum Abbau von Überstunden nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht in Betracht, verbleibt dem Arbeitgeber möglicherweise die einseitige Freistellung unter Fortzahlung der regulären Dienstbezüge. Allerdings hat jeder Arbeitnehmer einen grundsätzlichen Beschäftigungsanspruch, womit eine einseitige Freistellung des Arbeitgebers nach freiem Belieben ausgeschlossen wird. Insoweit ist eine Abwägung zwischen dem Interesse des Arbeitgebers und dem Beschäftigungsanspruch des Angestellten vorzunehmen. 

III. Kurzarbeit

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben gem. § 95 SGB III Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn die Voraussetzungen der §§ 96 - 99 SGB III vorliegen. 

Ein erheblicher Arbeitsausfall gemäß § 96 SGB III liegt vor, wenn der Arbeitsausfall auf wirtschaftlichen Gründen oder auf einem unabwendbaren Ereignis beruht, wenn er vorübergehend ist, wenn er nicht vermeidbar ist und im jeweiligen Kalendermonat mindestens ein Drittel der in dem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 % ihres monatlichen Bruttogehalts betroffen ist. 

Haben Arbeitgeber infolge der Corona-Pandemie mit erheblichen Auftragsrückgängen zu kämpfen oder wurde ihr Betrieb sogar durch behördliche Anordnungen stillgelegt, werden diese Voraussetzungen regelmäßig gegeben sein. Damit ist der Weg zur Beantragung von Kurzarbeit grundsätzlich eröffnet, wenn das Unternehmen mindestens einen Arbeitnehmer hat (§ 97 SGB III)

Allerdings: Der Arbeitgeber kann Kurzarbeit nicht ohne weiteres einseitig anordnen. Vielmehr braucht der Arbeitgeber für die Einführung der Kurzarbeit eine besondere Rechtsgrundlage. Diese kann sich aus einem Tarifvertrag, einer Betriebsvereinbarung, aus einer Vereinbarung mit dem einzelnen Arbeitnehmer oder aus einer Änderung des Arbeitsvertrages aufgrund einer rechtswirksam gewordenen Änderungskündigung ergeben. Erforderlich ist außerdem gegebenenfalls die Mitbestimmung des Betriebsrates (vergleiche Linck in Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 16. Auflage 2015, § 47 Rn. 2).

Liegen die Voraussetzungen zur Einführung von Kurzarbeit vor, kann auch „Kurzarbeit-Null“ eingeführt werden, durch die die Arbeitnehmer insgesamt von ihrer Arbeitspflicht befreit werden. Dies dürfte insbesondere für Betriebe des Einzelhandels und der Gastronomie in Betracht kommen, die von aktuellen Anordnungen zu Betriebsschließungen betroffen sind. 

IV. Kündigungen

Findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung, muss die Kündigung gemäß § 1 KSchG sozial gerechtfertigt sein. Dies kommt mit Blick auf die Corona-Pandemie vor allem mit Blick auf dringende betriebliche Erfordernisse in Betracht. Im Rahmen einer solchen, betriebsbedingten Kündigung ist allerdings zu beachten, dass die Möglichkeit zur Beantragung von Kurzarbeit gegenüber betriebsbedingten Kündigungen generell eine mildere Maßnahme darstellt. 

Zudem dürften gerade jetzt zu Beginn der Corona-Pandemie die Voraussetzungen für betriebsbedingte Kündigungen noch nicht gegeben sein, weil der Arbeitgeber im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung um die Rechtmäßigkeit der Kündigung beweisen muss, dass ein dauerhafter Rückgang der Arbeitsmenge eingetreten ist. Diese Prognose wird zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gelingen, zumal Kurzarbeit beantragt werden kann.

Fehlt es hierbei an einer Grundlage und verweigern einzelne Arbeitnehmer ihre Zustimmung zur Kurzarbeit, kann der Arbeitgeber auf eine Änderungskündigung zurückgreifen. 


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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