Das Behindertentestament

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Mithilfe der Errichtung eines Behindertentestaments sollen dem behinderten Erben finanzielle Freiheiten gewährt und ein Rückgriff des Sozialhilfeträgers auf das geerbte Vermögen vermieden werden.


Häufig benötigen Menschen mit Behinderung Hilfe bei der Pflege oder sie leben gemeinsam mit anderen Menschen mit Behinderung in besonderen Wohnformen. Für die Beanspruchung dieser Leistungen fallen i.d.R. hohe Kosten an, die von den Trägern der Sozialleistungen oder der Eingliederungshilfe getragen werden.


Im Sozialrecht gilt der sog. Nachranggrundsatz, wonach Sozialleistungen erst dann gewährt werden, wenn das vorhandene Vermögen aufgebraucht ist oder das Einkommen für eine Grundversorgung nicht ausreicht. Mit anderen Worten fällt dem Menschen mit Behinderung aus einer Erbschaft Vermögen bzw. Einkommen im sozialrechtlichen Sinne zu, muss er dieses zunächst einsetzen.


Ist das Vermögen bzw. Einkommen verbraucht, übernimmt der Sozialhilfeträger die Leistungen wieder. Im Einzelfall sind zusätzlich bestimmte Schonvermögensfreibeträge zu berücksichtigen. Mit der Errichtung eines Behindertentestaments soll bezweckt werden, dass trotz des Erbfalls Sozialleistungen an den Menschen mit Behinderung erbracht werden und ein Lebensstandard über Sozialniveau erreicht wird.


Als „Geburtsstunde“ des sog. Behindertentestaments kann eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahre 1993 angesehen werden. In der Entscheidung hat der BGH festgestellt, dass die klassische erbrechtliche Gestaltung des Behindertentestaments nicht sittenwidrig ist. Diese Rechtsprechung hat der BGH sowie unterinstanzliche Gerichte wiederholt bestätigt.


Eine Verfügung von Todes wegen, mit der Eltern ihr behindertes, auf Kosten der Sozialhilfe untergebrachtes Kind nur als Vorerben auf einen den Pflichtteil kaum übersteigenden Erbteil einsetzen, bei seinem Tod ein anderes Kind als Nacherben berufen und dieses zum Vollerben auch des übrigen Nachlasses bestimmen, verstößt nicht gegen § 138 Abs. 1 BGB, auch soweit dadurch der Träger der Sozialhilfe Kostenersatz nicht erlangt.


In der Beratungspraxis wird häufig die Frage gestellt, besteht überhaupt die Notwendigkeit ein Behindertentestament zu errichten. Dies soll anhand eines typischen Beispielsfalls veranschaulicht werden.


Die Eheleute M haben einen gemeinsamen Sohn S und eine gemeinsame Tochter T. Die T ist aufgrund von Geburtskomplikationen geistig behindert. Sie wohnt in einer Einrichtung für geistig behinderte Menschen und bezieht Leistungen vom zuständigen Sozialhilfeträger. Der S ist bestellter Betreuer seiner Schwester. Therapieleistungen sowie die Aufwendungen für die Hobbies, die Ausflüge und die Reisen der Tochter werden von den Eheleuten M übernommen. Der Sohn S hat bereits zu seinem Hausbau eine Geldschenkung in Höhe von 25.000,00 Euro erhalten. Die Eheleute M haben bisher kein Testament errichtet und wollen sich von einem Rechtsanwalt beraten lassen, ob eine Testamentserrichtung überhaupt notwendig ist. Sie vertreten die Meinung, dass der längerlebende Ehegatte zunächst alleine erbt und die Erbschaft ihrer Tochter nicht dem Sozialhilfezugriff unterliegt.


In der Regel wird das Behindertentestament, wie das o.g. Beispiel zeigt, von Eltern mit einem behinderten Kind errichtet. Im Spannungsfeld zum Sozial- und Pflichtteilsrecht wird die Gestaltung des Behindertentestaments aufgrund seiner Komplexität mitunter auch als die „Hohe Schule“ der Testamentsgestaltung bezeichnet. Unter Ausnutzung der erbrechtlichen Gestaltungsmittel der Vor- und Nacherbschaft in Verbindung mit der Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung wird i.d.R. das klassische Behindertentestament entworfen.


Herzstück der Testamentsgestaltung bilden die Verwaltungsanordnungen des Verfügenden an den Testamentsvollstrecker, in denen festgelegt wird, welche Zuwendungen das behinderte Kind über die Leistungen des Sozialhilfeträgers erhalten soll. Dies können beispielweise Zuwendungen zu Geburtstagen, zur Einrichtung des Zimmers oder zur Ausübung von Hobbies und Freizeitaktivitäten sein. Die Zuwendungen an das behinderte Kind werden aus den Erträgen (Nutzungen) der Erbschaft geleistet.


Die Testamentsgestaltung muss auch darauf ausgerichtet sein, Pflichtteils- bzw. Pflichtteilsergänzungsansprüche des behinderten Kindes auszuschließen. Diese Ansprüche können auf den Sozialhilfeträger übergeleitet und von diesem geltend gemacht werden.


Im o.g. Beispielsfall ist den Eheleuten M die Errichtung eines Behindertentestaments zu empfehlen.


1. Erster Erbfall

Der längerlebende Ehegatte wird ohne Verfügung von Todes wegen nicht automatisch zum Alleinerben. Gemäß der gesetzlichen Erbfolge erbt der überlebende Ehegatte neben den beiden Kindern S und T. Mit dem Tod des Erstversterbenden hat die behinderte T ihre Erbschaft vor den Leistungen des Sozialhilfeträgers einzusetzen. Der überlebende Ehegatte ist daher im ersten Erbfall als Erbe einzusetzen. Die T ist im ersten Erbfall gestalterisch im Testament, beispielweise als nichtbefreite Vorerbin oder Vorvermächtnisnehmerin, zu berücksichtigen, um ihren Pflichtteilsanspruch auszuschließen. Dieser ist auf den Sozialhilfeträger überleitbar und kann von diesem ansonsten geltend gemacht werden. Um den weiteren Zugriff des Sozialhilfeträgers zu vermeiden, ist ein Dauertestamentsvollstrecker bzw. Vermächtnisvollstrecker mit konkreten Verwaltungsanweisungen einzusetzen. Etwaige Pflichtteilsergänzungsansprüche durch die lebzeitige Schenkung an den Sohn S können beispielweise durch die Anordnung eines Vorausvermächtnis ausgeschlossen werden.


2. Zweiter Erbfall

Als Schlusserben können die beiden Kinder der Eheleute M eingesetzt werden. Bei T bietet sich, wie im ersten Erbfall, eine vergleichbare Gestaltung der Verfügung von Todes wegen an.


Der Beispielsfall zeigt, dass in vielen Fällen Rechtsirrtümer über die gesetzliche Erbfolge und die Möglichkeit des Zugriffs des Sozialleistungsträgers auf die Erbschaft des Menschen mit Behinderung bestehen. Eine sorgfältige Gestaltung des Behindertentestaments gewährt dem Menschen mit Behinderung finanzielle Freiheiten und kann einen Zugriff des Sozialhilfeträgers vermeiden. Der juristische Berater benötigt bei der Beratung ein gewisses Fingerspitzengefühl und muss sich die notwendige Zeit nehmen, um dieses sensible Thema mit den Mandanten zu besprechen und einen entsprechenden Entwurf zu fertigen. Die im Beispielsfall vorgeschlagene Gestaltung ersetzt aufgrund der Komplexität des Behindertentestaments keine Einzelfallberatung, da die Regelungen in einem Behindertentestament grundsätzlich weitergehen.

Foto(s): www.erbrecht-stiftungsrecht.de

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