Der Unterschied zwischen Mord und Totschlag – von Systembrüchen, Tätertypen und absoluten Strafen

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Vorgedanken:

Jeder weiß, es gibt Mord und es gibt Totschlag. Nur wenige wissen, was der Unterschied ist. Meist sind das Juristen oder deren Angehörige oder unmittelbar Betroffene und deren Angehörige.

Allgemeine Meinung scheint zu sein, dass es sich um Mord handelt, wenn eine Tötung vorsätzlich verwirklicht wurde. Das ist allerdings weit gefehlt. Wer ohne Vorsatz tötet, macht sich im Zweifel wegen fahrlässiger Tötung strafbar nach § 222 StGB und hat mit ähnlicher Strafe zu rechnen, wie ein Taschendieb – oder ein Cannabis-Käufer.

Totschlag, § 212 StGB:

„Wer einen anderen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.“

Hier zeigt sich schon der erste Systembruch. Alle sind sich einig, dass Mord schlimmer ist als Totschlag. Warum also bezieht sich der Gesetzestext zur Definition auf die schwerere Tat? Das gibt es sonst nirgends im Gesetz!

Das Gesetz geht also davon aus, dass Totschlag die nicht ganz so schlimme Tötung ist. So in etwa. Ist also Mord der besonders schlimme Totschlag? Nein! Denn § 212 S. 2 StGB lautet:

„In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.“

Mord ist also nicht der besonders schwere Totschlag, sonst würde der zitierte Satz keinen Sinn ergeben.

Man muss vom Mord ausgehen, um den Totschlag zu verstehen.

Mord, § 211 StGB:

Bereits an dieser Stelle der nächste Systembruch. Alle anderen Straftatbestände sind von „unten nach oben“ aufgebaut. Erst kommt das einfache Delikt, dann kommen die zusätzlichen Merkmale, die die Strafen erhöhen. § 242 StGB zum Beispiel ist Diebstahl, § 243 StGB ist besonders schwerer Fall des Diebstahls, § 244 StGB ist Diebstahl mit Waffen und so weiter. Je weiter man das Gesetz liest, desto übler werden die beschriebenen Taten.

Die Straftaten gegen das Leben hingegen beginnen mit dem schlimmsten denkbaren, nämlich mit dem Mord, um dann immer nachvollziehbarere Handlungen zu umschreiben, bis am Ende die bereits erwähnte „Fahrlässige Tötung“ das Kapitel fast versöhnlich schließt.

In § 211 StGB steht zunächst:

„Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“

Der nächste Systembruch! Die Strafandrohung wird ausschließlich an dieser Stelle im Gesetz vorangestellt. Überall sonst wird zunächst die Straftat beschrieben, um sodann eine Strafe anzudrohen. Nur der Mordparagraf fällt gleich mit der Tür ins Haus.

Und noch ein Systembruch findet sich. „Der Mörder“ benennt den Menschen. Auch das gibt es sonst nirgends im Gesetz. „Der Dieb“, „Der Räuber“, „Der Brandstifter“ läuft bestimmt irgendwo durch die Republik, aber das Gesetz kennt sie nicht. Es kennt für die Bestimmung der Taten eben nur Taten, keine Täter.

Dies ist ein Hinweis auf die längst abgelegte „Lehre von den Tätertypen“ – aber dazu später mehr.

§ 211 S. 2 StGB schafft endlich Klarheit:

„Mörder ist, wer

aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niederen Beweggründen,

heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder

um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken

einen Menschen tötet.“

Das Gesetz kennt also täterbezogene Mordmerkmale, tatbezogene Mordmerkmale und vor allem den sogenannten „Verdeckungsmord“.

Unter all dem kann sich jeder etwas vorstellen und wer es genauer wissen will, wird fündig.

Absolute Strafandrohung:

Wir haben gesehen, das Gesetz kennt an dieser Stelle keinen Spaß. Mörder werden mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Punkt. Sobald der Mord nachgewiesen ist, ist die Sache klar.

Manchmal führt das zu unbilligen Ergebnissen. Wer zur Tötung Gift benutzt, handelt heimtückisch und ist deshalb immer auch ein Mörder. Eine Frau, die einen Mann töten will, wird meistens Gift benutzen und ist dann eine Mörderin.

Männer bringen sich dauernd gegenseitig um, ohne Mörder zu sein.

Um dieser Unbilligkeit zu begegnen, hat der BGH die Möglichkeit eröffnet, einen „minder schweren Fall“ des Mordes anzunehmen mit der Folge, trotz Mord auf eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe zu kommen.

Aber auch das ist wieder ein Systembruch. „Mord im minder schweren Fall“ klingt falsch. Das wäre doch dann Totschlag? – Nicht in unserer Rechtsordnung!

Der Hintergrund:

Warum also ist das Gesetz an dieser Stelle so bizarr? Die Antwort darauf ist einerseits erschreckend, andererseits werden alle Bundestage seit Gründung der Bundesrepublik dadurch ein bisschen entschuldigt:

§ 211 StGB wurde 1941 in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Federführend war ein Jurist, dessen Name auch heute noch vielen bekannt sein dürfte, dem aber in diesem Text nicht die Ehre einer Erwähnung zukommen soll.

Zu der Zeit war die „Lehre von den Tätertypen“ sehr beliebt. Danach hat jede Straftat eine bestimmte Gruppe von Tätern mit immer ähnlichen Charakterzügen, durch die sie begangen wird. Der verwerflichste dieser Tätertypen ist der Mörder, weshalb das Gesetz in Wirklichkeit nicht den Mord, sondern den Mörder beschreibt, der sich vom Totschläger nun mal unterscheidet.

Die Idee war, dass der Richter sich überlegen soll, ob ein derart verwerflicher Täter vor ihm sitzt, dass er unweigerlich den Tod verdient hat (das war damals die Strafdrohung), oder ob hier nicht doch „nur“ über einen Totschläger geurteilt wird.

Nun sind sich alle Rechtsanwender einig, dass die Tätertypenlehre zu verwerfen ist, aber der „Mörder“ steht als solcher noch im Gesetz – der Totschläger als sein Gegenstück übrigens auch.

Zusammenfassung:

Mord ist nicht der besonders schwere Totschlag, denn der ist gesondert geregelt. Vielmehr ist Totschlag eine Tötung ohne Mordmerkmale.

Der Mörder und der Totschläger sind die einzigen zwei Tätertypen, die sich aus längst vergangenen Tagen in der Rechtsanwendung gehalten haben. Der Totschläger nur deshalb, weil der Mörder sich gehalten hat und man ihn zur Unterscheidung braucht.

Das Gesetz an dieser Stelle unterscheidet sich von allen anderen Gesetzestexten der Bundesrepublik Deutschland und keine andere Norm ist so umstritten, wie der „Mordparagraf“. Reformbemühungen werden immer mal wieder behauptet.

Nach meiner persönlichen Einschätzung wird der derzeitige Mordparagraf solange Bestand haben, wie das Strafgesetzbuch Bestand hat. Vor allem wir Juristen sind nicht wirklich an einer Änderung interessiert, denn, wenn das Gesetz an dieser Stelle logischer oder „besser“ wäre, würden wir eines unserer meistgefragten Themen verlieren.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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