Der Verlauf eines Erwerbsminderungsrentenverfahrens

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Immer wieder werde ich nach dem zu erwartenden Verlauf eines Rentenverfahrens gefragt. Daher nehme ich hier den Anlass, um das Verfahren kurz zu skizzieren. Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass es immer wieder Abweichungen geben kann und das ganz individuelle Verfahren nicht zwingender Weise alle Stadien durchlaufen muss:


Antragsverfahren/Vorverfahren

Die DRV wird auf Antrag tätig. Dieser Antrag ist sinnvoller Weise mit den von der DRV bereitgestellten Formularen zu stellen (nach einer gescheiterten Reha wird der Reha-Antrag in einen Rentenantrag umgedeutet). Die DRV wird dann das Verfahren aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes eröffnen und die behandelnden Ärzte anschreiben, um sich ein erstes Bild über den Antragsteller zu machen. Sie entscheidet dann, wie es weitergeht. Im Normalfall reichen die Befundberichte der behandelnden Ärzte nicht aus. Daher wird der Antragsteller/die Antragstellerin ggf. auch zu einer Reha geschickt. Grundsätzlich wird zumindest ein medizinisches Gutachten auf Kosten der DRV erstellt. Auf Grundlage dieses oder dieser Gutachten entscheidet die DRV dann über den Rentenantrag. Wird der Antrag abgelehnt besteht die Möglichkeit, innerhalb von einem Monat ab Zugang des Bescheids Widerspruch einzulegen. Der Widerspruch sollte begründet werden. Auch im Widerspruchsverfahren ist es möglich, dass die DRV erneut ein medizinisches Gutachten in Auftrag gibt. Anders als in anderen Verwaltungsverfahren gibt es bei der DRV keine eigenständige obere Behörde, die über den Widerspruch entscheidet, sondern lediglich eine sog. Widerspruchsstelle im eigenen Haus. Meist erstellt der den Antrag bearbeitende Sachbearbeiter eine Entscheidungsvorlage, die dann in den Ausschuss geht und durchgewunken wird. Als Abschluss des Verfahrens ergeht dann der Widerspruchsbescheid.


Klageverfahren

Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen und die Rente nicht gewährt, bestätigt der Widerspruchsbescheid die ablehnende Haltung der DRV. Hiergegen ist wiederum innerhalb eines Monats ab Zugang des Widerspruchs die Einreichung der Klage zum zuständigen Sozialgericht möglich (das zuständige Sozialgericht wird in der Rechtsmittelbelehrung am Ende des Widerspruchsbescheids benannt). Angegriffen wird damit der Ablehnungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids. Auch wie beim Widerspruch ist unbedingt auf die Einhaltung der Frist zu achten. Es genügt nicht die Aufgabe zur Post, sondern der Zugang bei Gericht. Dieser muss im Zweifel nachgewiesen werden können. Eine einfache E-Mail genügt ebenfalls nicht den Formerfordernissen. 

Nach Eingang der Klage (und ggf auch erst nach Eingang der Klagebegründung) werden an den Kläger/die Klägerin (Antragssteller/in im Rentenverfahren) Unterlagen übersandt. Hier soll er bzw. sie nochmals alle ihn/sie behandelnden Ärzte aufführen und eine Schweigepflichtsentbindungserklärung abgeben, damit die Ärzte dem Gericht gegenüber die von dort angeforderten Informationen auch erteilen dürfen. Nach Eingang der Befundberichte bei Gericht werden diese sowohl dem Kläger als auch der DRV zur Kenntnisnahme und ggf .zur Stellungnahme übersandt – je nachdem, wie sie ausfallen. Gleichzeitig schickt die DRV auch die Verwaltungsakte dem Gericht. Es gab eine Zeit, in der einige Sozialgerichte aus Kostengründen die im Verwaltungsverfahren von der DRV eingeholten Gutachten haben genügen lassen. Ein derartiges Verfahren ist mir indes aktuell nicht mehr bekannt, so dass das Gericht in den ganz überwiegenden Fällen ein gerichtliches Sachverständigengutachten auf medizinischem Gebiet einholen wird. Liegen die Beeinträchtigungen auf verschiedenen Gebieten, können auch mehrere Gutachten erfolgen. Diese Gutachten werden wiederum den Parteien zur Kenntnisnahme bzw. Stellungnahme übersandt. Geht aus dem Gutachten die rentenrechtlich relevante Leistungsminderung hervor, bekommt man das Gutachten meist nur zur Kenntnisnahme bzw. zur freigestellten Stellungnahme und die Gegenseite wird aufgefordert, dem Gutachten entgegen zu treten. Fällt das Gutachten negativ für den Kläger bzw. die Klägerin aus, ist es natürlich genau andersherum. Der entsprechende Schriftsatz wird der Gegenseite wiederum zur Stellungnahme übersandt. Werden Unstimmigkeiten im Gutachten aufgedeckt wird der Gutachter um Stellungnahme aufgefordert.

Ist der Sachverhalt für das Gericht ausreichend aufgeklärt, beraumt es einen Termin an. Im Normalfall handelt es sich hierbei um einen sog. Verhandlungstermin mit voller Besetzung des Gerichts (also mit einem Berufsrichter und zwei ehrenamtlichen Richtern). Geladen werden beide Parteien. Auch wenn der Kläger anwaltlich vertreten ist, will sich in den ganz überwiegenden Fällen der Richter ein persönliches Bild vom Kläger/von der Klägerin verschaffen, so dass er/sie persönlich erscheinen muss. Auch hier gab es in der Vergangenheit Tendenzen, den Kläger bzw. die Klägerin in Person nicht gerichtlich zu laden, da er von sich aus meist erschienen ist. Grund hierfür war, dass bei einer formellen Ladung die Kosten des Erscheinens von der Staatskasse zu tragen wären. Auch diese Tendenz hat sich nicht wirklich durchgesetzt.

In der mündlichen Verhandlung wird die Angelegenheit erörtert. Alle gesundheitlichen Beeinträchtigungen und ggf. Behandlungen werden genannt. Danach gibt der Vorsitzende Richter bereits eine erste Einschätzung ab und die Parteien erhalten die Gelegenheit, sich zu äußern. Wichtig dabei ist, dass die ehrenamtlichen Richter bei der Entscheidungsfindung das gleiche Stimmrecht wie der Vorsitzende haben. Zwar hat der Vorsitzende meist seine Ehrenamtlichen „im Griff“, mitunter kann es aber hilfreich sein, die Ehrenamtlichen auf den richtigen Weg zu bringen. Sodann zieht sich das Gericht zurück und verkündet eine Entscheidung. Das kann ein Urteil sein aber auch eine Beweisanordnung, wenn aufgrund der mündlichen Verhandlung das Gericht noch weiteren Aufklärungsbedarf sieht. 

Das Gericht muss aber nicht zwingend einen Verhandlungstermin anberaumen, sondern manchmal lädt das Gericht zu einem Erörterungstermin, in dem die Angelegenheit mit den Parteien erörtert werden soll und versucht wird, die Sache einvernehmlich zu beenden (z.B. durch Vergleich, Klagerücknahme oder Anerkenntnis). Hierbei ist nur der Vorsitzende Richter anwesend, nicht die Ehrenamtlichen, so dass der Richter weniger Schwierigkeiten hat, seine Rechtsauffassung durchzusetzen. 


Berufungsverfahren

Ergeht ein abweisendes Urteil, kann der Kläger innerhalb eines Monats nach Zugang des vollständig abgefassten Urteils (mit Begründung) wiederum innerhalb eines Monats Berufung zum Landessozialgericht einlegen. Diese Möglichkeit steht natürlich auch der DRV zu, sofern sie durch das Urteil zur Rentengewährung verpflichtet wurde, die Rente zu gewähren. Das Berufungsgericht setzt sich aus drei Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern zusammen. Einer von den drei Berufsrichtern ist sozusagen federführend. Das erstinstanzliche Urteil wird zunächst intern überprüft und sodann – im besten Fall aufgrund der Berufungsbegründung – der weitere Verfahrensverlauf festgelegt. Auch hier besteht die Möglichkeit, dass weitere Gutachten in Auftrag gegeben werden. Im Wesentlichen gleicht das Berufungsverfahren in seinem Ablauf dem oben ausgeführten Klageverfahren, an deren Ende nach einer Verhandlung das Berufungsurteil steht. 


Sowohl im Klageverfahren als auch im Berufungsverfahren kann der Kläger/die Klägerin ein „Gegengutachten“ gemäß § 109 SGG beantragen, dessen Kosen der Kläger/die Klägerin zunächst verauslagen muss. Wird die Rente aufgrund dieses Gutachtens gewährt, erstattet die Staatskasse die Kosten. 


Revisionsverfahren

Gegen das Berufungsurteil ist die Revision zum Bundessozialgericht möglich, soweit die Revision explizit im Berufungsurteil zugelassen ist. Das ist z.B. der Fall, wenn das Landessozialgericht von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abweichen will oder die Angelegenheit von allgemeiner Bedeutung ist. Wird die Revision nicht zugelassen, kann man hiergegen die sog. Nichtzulassungsbeschwerde einreichen. Der ganz überwiegende Teil (ca. 70 – 80 %) der Nichtzulassungsbescheiden werden jedoch vom Bundessozialgericht zurückgewiesen.


Foto(s): Carsten Hnida

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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