Die Auswirkungen zusätzlicher Nebentätigkeiten in der Krankentagegeldversicherung

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In der Krankentagegeldversicherung ist regelmäßig vereinbart, dass das Versicherungsverhältnis zum Ende des Monats endet, in dem eine Voraussetzung für die Versicherungsfähigkeit entfällt.

Das kann u. a. dann der Fall sein, wenn der Versicherte den Beruf oder die berufliche Tätigkeit wechselt, die nach dem bisher vereinbarten Tarif nicht versichert und nicht versicherbar ist. Zudem gehört zu den Obliegenheiten des Versicherten, den Wechsel des Berufes oder der beruflichen Tätigkeit sofort dem Versicherer anzuzeigen.

Kommt man als VN dieser Obliegenheit nicht nach, kann das zum Leistungsverlust bzw. zur berechtigten Rückforderung der in Unkenntnis des Berufswechsels vom Versicherer bereits gewährten Leistungen führen.

Zum Fall

Ein Gastronom, der nebenberuflich als Automatenaufsteller tätig war, war arbeitsunfähig erkrankt. Die ärztlichen Diagnosen lauteten Burnout und Depression.

Der Gastronom unterhielt eine Krankentagegeldversicherung und verlangte nun Leistung.

Der Krankentagegeldversicherer wollte nicht zahlen. Er ging hier angesichts der Nebentätigkeit des Gastronomen als Automatenaufsteller davon aus, dass der Vertrag nun geendet habe. Denn er wusste bis dahin nichts von der Nebentätigkeit und die Nebentätigkeit als Automatenaufsteller wäre beim ihm nicht versicherbar gewesen. Zudem glaubte er, dass der VN nicht zu 100 % arbeitsunfähig war. Also zahlte der Versicherer das Krankentagegeld nicht. 

Der Gastronom musste schließlich Klage erheben und erhielt über zwei Instanzen Recht.

Das Oberlandesgericht Hamm (im Folgenden: OLG) hat in seinem Urteil vom 29.08.2018 - 20 U 52/18 seine Entscheidung inhaltlich wie folgt begründet:

Unstreitig war es so, dass eine Tätigkeit als Automatenaufsteller bei dem Krankentageversicherer nicht versicherbar war. Dennoch, so das OLG, lag kein Berufswechsel vor. Denn die Tätigkeit des Klägers als Automatenaufsteller trat vielmehr, wie die Beweisaufnahme ergeben hatte, lediglich neben die nach dem Versicherungsvertrag versicherte Tätigkeit des Klägers als Gastronom. 

Die Tätigkeit als Automatenaufsteller bildete nicht einmal den Schwerpunkt, sondern wurde in gesunden Tagen allenfalls gleichberechtigt neben der bereits bestehenden Tätigkeit als Gastronom ausgeübt. 

Dass die Tätigkeit als Gastronom bis zu seiner Erkrankung weiterhin die Hälfte seiner beruflichen Tätigkeit ausmachte, konnte der Kläger gegenüber dem Gericht glaubhaft erläutern.

Das OLG verneinte also die Möglichkeit der Vertragsbeendigung und bejahte im Weiteren den Krankentagegeldanspruch des klagenden Gastronomen in etwa wie folgt:

Versicherungsfall ist in der Krankentagegeldversicherung die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen, in deren Verlauf 100 % -ige Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. 

Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung und endet, wenn nach medizinischem Befund keine Arbeitsunfähigkeit und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr bestehen. Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person ihre berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben kann, sie auch nicht ausübt und keiner anderweitigen Erwerbstätigkeit nachgeht. 

Der klagende Gastronom konnte die ihm obliegenden Beweise für den Krankentagegeldanspruch erbringen.

Es war unstreitig, dass der Gastronom arbeitsunfähig erkrankt war und zwar wegen einer Burnout- und Depressionserkrankung, die medizinisch notwendig behandelt wurde. Die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit und die Behandlungsbedürftigkeit des Gastronomen bestand weiterhin fort. Er konnte seine berufliche Tätigkeit nach medizinischem Befund vorübergehend in keiner Weise ausüben. 

Das OLG hat es offengelassen, ob als Anknüpfungspunkt für diese Beurteilung ausschließlich der im Zeitpunkt des Abschlusses des Versicherungsvertrages ausgeübte Beruf als Gastronom oder das zuletzt ausgeübte Nebeneinander der Tätigkeiten als Gastronom und Automatenaufsteller war.

Denn es stand zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger zunächst selbstständig als Gastronom tätig war und in dieser Zeit sämtliche damit verbundenen Verpflichtungen, wie die Erledigung der Einkäufe, die Bedienung der Gäste, die Reinigung der Räumlichkeiten, den Kassenabschluss und die allgemeine Buchführung erledigte. 

Ebenso war das OLG davon überzeugt, dass die Tätigkeit des Klägers im weiteren Verlauf in einem Nebeneinander der gastronomischen Tätigkeit und der Tätigkeit als Automatenaufsteller bestand, wobei zu letzterer insbesondere die Wartung und Reparatur sowohl eigener als auch fremder Geräte gehörte. 

Unabhängig davon, ob auf die Tätigkeit ausschließlich als Gastronom oder auf das Nebeneinander von Gastronomie und Automatenaufsteller abzustellen war, war der Kläger im betreffenden Zeitraum vollständig außerstande, seine berufliche Tätigkeit auszuüben.

Das Gericht hat hierzu ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige kam zum Ergebnis, dass die Angaben des Klägers für ihn aus medizinischer Sicht insgesamt stimmig seien und sich daraus, auch wenn die Bewertung im Nachhinein schwierig war, insgesamt doch das Bild einer zumindest mittelgradigen Depression ergab. 

Der Sachverständige gab auf Nachfrage, ob der Kläger nicht trotz seiner Symptome für 1 bis 2 Stunden buchhalterische Tätigkeiten ausüben könne, an, dass aus seiner Sicht er dem Kläger als behandelnder Arzt im Interesse eines möglichst schnellen Therapieerfolges jegliche Berufstätigkeit untersagt hätte.

Wegen dieser Darlegungen des Sachverständigen stand für das OLG fest, dass der Kläger eine auch nur stundenweise Tätigkeit nur unter Raubbau seiner Gesundheit hätte erbringen können, was ihm aber nicht zumutbar war.

Soweit der Versicherer dann noch einwarf, die Nichtangabe der Nebentätigkeit als Automatenaufsteller sei eine Obliegenheitsverletzung und er deshalb von der Leistung frei, wurde dies vom Gericht nicht bestätigt. Denn eine Obliegenheit sei hier nicht verletzt. 

Die Aufnahme einer Nebentätigkeit unter Beibehalt des versicherten Berufes sei kein Berufswechsel. Es spreche viel für die Auffassung, wonach von einem Berufswechsel dem Wortlaut nach nicht gesprochen werden kann, wenn der Versicherungsnehmer neben den fortbestehenden ursprünglichen Einsatz lediglich zusätzlich eine weitere Tätigkeit aufnimmt.

Was ist wichtig an dieser Entscheidung?

Die Aufnahme einer Nebentätigkeit ist in der Krankentagegeldversicherung kein Berufswechsel.

Die Ausübung der an sich nicht versicherten und versicherbaren Nebentätigkeit berechtigt den Versicherer nicht zur Beendigung des Versicherungsvertrages, solange die versicherte Tätigkeit neben der Nebentätigkeit ausgeübt wird.

Das gilt auch dann, wenn die Nebentätigkeit 50 % der versicherten beruflichen Tätigkeit ausmacht.

Die Nichtanzeige der Aufnahme der Nebentätigkeit beim Versicherer ist keine Obliegenheitsverletzung, wenn nur der Berufswechsel anzuzeigen ist.

Könnte der VN seinen Beruf noch geringgradig ausüben, ist er trotzdem zu 100 % arbeitsunfähig, wenn die Ausübung der Tätigkeit entgegen ärztlichen Rates erfolgt und Raubbau an der Gesundheit darstellen würde.

Von meiner Seite zu dieser Entscheidung nachzureichen ist das Folgende:

Selbst wenn der medizinische Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen wäre, 1 – 2 Stunden am Tag könne der Kläger noch die Buchhaltung führen, wäre dadurch der Krankentagegeldanspruch nicht entfallen. Denn die Arbeitsunfähigkeit i. S. d. MB/KT entfällt nicht, wenn der Versicherte lediglich zu einzelnen Tätigkeiten in der Lage ist, die im Rahmen seiner versicherten Berufstätigkeit zwar auch anfallen, isoliert aber keinen Sinn ergeben. 

So hat der BGH beispielsweise die Arbeitsunfähigkeit eines Rechtsanwalts trotz der ärztlich attestierten Möglichkeit, einzelne RA-typische Tätigkeiten zu erbringen, bejaht, wenn diesem die Fähigkeit zur umfassenden Bearbeitung der übernommenen Mandate und Vertretung fehlt (BGH, Urt. vom 03.04.2013 – IV ZR 239/11). Buchhaltung ohne Gaststättenbetrieb ergibt auch keinen Sinn.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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