Die verfestigte Lebensgemeinschaft schon nach einem Jahr?

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Das AG Essen hatte mit Entscheidung vom 11.03.2009, A.z.:  106 F 296/08 folgenden aussagekräftigen Leitsatz aufgestellt:

Eine verfestigte Lebensgemeinschaft i. S. v. § 1579 Nr. 2 BGB n. F. ist jedenfalls seit Inkrafttreten der Unterhaltsreform entsprechend den geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen in der Regel schon nach einem Jahr anzunehmen. Hierzu wurde ausgeführt: Gemäß § 1579 Nr. 2 BGB n. F. ist ein Unterhaltsanspruch zeitlich zu begrenzen, soweit die Inanspruchnahme des Verpflichteten auch unter Wahrung eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes grob unbillig wäre, weil der Berechtigte in einer verfestigten Lebensgemeinschaft lebt. Das ist hier der Fall. Eine solche Gemeinschaft ist gegeben, wenn der Berechtigte zu einem neuen Partner ein auf Dauer angelegtes Verhältnis aufnimmt und das nichteheliche Zusammenleben gleichsam an die Stelle einer Ehe getreten ist. Maßgebend ist hierbei das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Seit dem Zusammenziehen ist die Beziehung beider in ihrem Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit an die Stelle einer Ehe getreten. Als weitere Voraussetzung wird vielfach eine Mindestdauer der eheähnlichen Lebensgemeinschaft von 2 bis 3 Jahren genannt (so etwa Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, 7. Aufl. § 4 Rz. 662). Diese Anforderung geht zurück auf die Entscheidung des BGH vom 21.12.1988, FamRZ 1999, 487, 491). Dieser begründet dies damit, vor Ablauf einer solchen Mindestgrenze werde sich im allgemeinen nicht verlässlich beurteilen lassen, ob die Partner nur "probeweise" zusammen leben, etwa um eine spätere Eheschließung vorzubereiten - ein Verhalten, das keinen Härtegrund i. S. von § 1579 Nr. 7 BB erfülle - oder ob sie auf Dauer in einer verfestigten Gemeinschaft leben und nach dem Erscheinungsbild der Beziehung in der Öffentlichkeit diese Lebensform bewusst auch für die weitere Zukunft gewählt hätten. Diese zeitlichen Voraussetzungen sind jedenfalls nach Inkrafttreten der Unterhaltsreform nicht mehr angemessen. 

Die Entscheidung des BGH erfolgte in einer historischen Entwicklung, in der zunächst Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehegatten nur dann untergingen, wenn dieser erneut heiratete. Weil aus diesem Grund in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen von einer neuen Heirat abgesehen wurde, hat die Rechtsprechung sodann diesen Umstand als weiteren Härtegrund i. S. v. § 1579 Nr. 7 BGB a. F. anerkannt (u. a. BGH FamRZ 1983, 569). Der Regelfall des Zusammenlebens war damals die Ehe, die Scheidungsrate war niedrig und die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften gering. Auf Grund dieses Ausgangspunktes stand die Frage nach einer künftigen Heirat oder verständigen Gründen für eine Nichtheirat im Vordergrund. Angesichts der geringen Verbreitung und geringen gesellschaftlichen Akzeptanz eines nichtehelichen Zusammenlebens erschien es sehr zweifelhaft, ob diese Lebensform für die weitere Zukunft auf Dauer gewählt sein würde. Daher wurde eine mehrjährige Dauer als nötig erachtet, um eine Ähnlichkeit mit der unter den damaligen gesellschaftlichen Verhältnissen regelmäßig lebenslang dauernden Ehe annehmen zu können. 

Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren wiederholt den geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung getragen, so etwa durch den Wechsel von der Anrechnungs- zur Differenzmethode hinsichtlich der Erwerbsarbeit nach Haushaltsführung oder Kinderbetreuung (BGH FamRZ 2001, 986) oder Berücksichtigung nachehelicher Veränderungen mittels des Begriffs der "wandelbaren ehelichen Lebensverhältnisse". In den vergangenen mehr als 20 Jahren sind die Zahl der Eheschließungen und die durchschnittliche Ehedauer erheblich zurückgegangen und die Scheidungsquote erheblich gestiegen. Die nichteheliche Lebensgemeinschaft hat eine breite gesellschaftliche Anerkennung erfahren und ist heute in einer Vielzahl der Fälle kein bloßes Durchgangsstadium zu einer neuen Ehe, sondern auf Dauer gewählte Lebensform. Anders als vor über 20 Jahren bestehen inzwischen kaum Hemmungen, eine fehlgeschlagene eheliche oder nichteheliche Lebenspartnerschaft nach kurzer Zeit zu beenden. Insoweit ist die Überlegung überholt, erst nach 2 bis 3 Jahren könne beurteilt werden, ob die Partner nur "probeweise" zusammen leben. 

Bei Auslegung des o. g. Tatbestandes ist ferner zu berücksichtigen, dass es nach § 1569 BGB jedem Ehegatten nach der Scheidung obliegt, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen. Das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs ist demgegenüber die Ausnahme, so dass nach der Gesetzessystematik die Ausnahmetatbestände eng bzw. die insoweit bestehenden einschränkenden Tatbestände weit auszulegen sind. Daher ist - wie im Rahmen von § 1578 b BGB n.F. - zu berücksichtigen, dass seit Beginn der neuen Partnerschaft eine zunehmende Entflechtung der mit dem früheren Ehegatten bestehenden gemeinsamen Lebensverhältnisse stattfindet. Schließlich verlangt auch der Zweck des § 1579 BGB, die bisherigen Anforderungen abzusenken. Die Vorschrift berücksichtigt, inwieweit es dem einen Ehegatten zuzumuten ist, aus nachehelicher Solidarität weiterhin Unterhalt zahlen zu müssen, während sich der andere durch ein dort genanntes Verhalten von den aus der früheren Ehe herrührenden Bindungen abgewendet hat. Auch insoweit haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse geändert. Es kann nicht mehr festgestellt werden, dass eine lebenslange Solidarität trotz beendeter Ehe als angemessen erachtet wird, vielmehr wird es - wie die o. g. Neuregelungen zeigen - als angemessen gewertet, dass sich die Eheleute nach einer kurzen Übergangsfrist auf die geänderten tatsächlichen Umstände einstellen. Bei deren Bemessung erscheint es gerechtfertigt, entsprechend § 7 Abs. 3 a SGB II nach einem Jahr eine verfestigte Lebensgemeinschaft anzunehmen (ebenso Klein, Das neue Unterhaltsrecht 2008, III 9 c aa).  

Dafür spricht zudem, dass auch schon zum früheren Recht in einer Reihe von neueren OLG-Entscheidungen bereits bei Hinzutreten weiterer Umstände bereits nach 1 bis 1 ½ Jahren eine derartige Verfestigung angenommen wurde (Nachweise Wendl/Staudigl, a.a.O. Fußn. 400) und der Unterhaltsanspruch bei Beendigung der Beziehung wieder aufleben kann. Auch wird so berücksichtigt, dass die Fortdauer der Unterhaltsbelastung einen nicht unerheblichen Eingriff in die Handlungsfreiheit und Lebensgestaltung des Unterhaltspflichtigen darstellt (BGH FamRZ 1984, 986, 987).

Auch das OLG Frankfurt stellte in seiner Entscheidung vom 19.11.2010 (Az.: 7 UF 91/09) fest: Eine verfestigte Lebensgemeinschaft benötigt keine Mindestdauer- Unterhalt entfällt mit Zusammenleben: Ein geschiedener Ehegatten verliert seinen Unterhaltsanspruch, wenn er in einer neuen gefestigten Beziehung lebt. Dazu ist es nicht notwendig eine bestimmte Zeitdauer für die Beziehung abzuwarten, sondern es hängt von den Einzelumständen ab. So kann auch bereits nach weniger als 1 1/2 Jahren eine verfestigte Beziehung entstanden sein.

Das OLG wiese die Berufung mittels Beschluss zurück, da der Unterhalt gemäß §1579 Nr. 2 BGB wegen einer verfestigten Lebensgemeinschaft verwirkt sei. Das OLG stellte zunächst fest, dass für die Feststellung einer verfestigten Lebensgemeinschaft immer auf den Einzelfall abgestellt werden müsse. Darüber hinaus muss auch keine Mindestdauer abgewartet werden; das Gesetz mach hierzu keine Angaben. Das führt das Gericht aus:" Da sich dem Wortlaut des § 1579 Nr. 2 BGB nicht entnehmen lässt, ab wann von einer verfestigten Lebensgemeinschaft auszugehen ist, hat die Beurteilung, ob sich eine Lebensgemeinschaft verfestigt hat, nach den Umständen des Einzelfalles zu erfolgen, was schon im Hinblick auf die Vielfalt der denkbaren Lebenssachverhalte geboten ist (...). Anhaltspunkte, die den Schluss auf eine verfestigte Lebensgemeinschaft im Sinne von § 1579 Nr. 2 BGB nahelegen, sind vor allem ein über einen längeren Zeitraum hinweg geführter gemeinsamer Haushalt, das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, größere gemeinsame Investitionen oder die Dauer der Verbindung (...). Es ist zwar zutreffend, dass in der Rechtsprechung als Eckpunkt gilt, dass eine Verfestigung i. S. von § 1579 Nr. 2 BGB nach spätestens 2-3 Jahren anzunehmen ist. Die Beurteilung darf allerdings nicht schematisch erfolgen, eine bestimmte Mindestdauer ist nicht Voraussetzung für eine Verfestigung. Deshalb ist das Vorliegen einer verfestigten Lebensgemeinschaft entgegen der offenbar von der Beklagten vertretenen Auffassung nicht ohne weitere Prüfung von vornherein zu verneinen, wenn diese nicht mindestens 2 bis 3 Jahre bestanden hat, weil nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes von einer an die Stelle der Ehe getretenen verfestigten Gemeinschaft stets erst nach diesem Zeitraum ausgegangen werden könne.

Den Entscheidungen des Bundesgerichtshofes ist allerdings keine eindeutige Tendenz in diese Richtung zu entnehmen: Urteil des XII. Zivilsenats vom 5.10.2011 - XII ZR 117/09. 

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt eine verfestigte Lebensgemeinschaft im Sinne des § 1579 Nr. 2 BGB eine gewisse Dauer der neuen Verbindung voraus, die allerdings von anderen, für eine besondere Nähe der Partner sprechenden objektiven Umständen beeinflusst wird (vgl. auch Schnitzler FF 2011, 290, 292). Die Dauer bis zur Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft wird durch objektive, nach außen tretende Umstände, wie etwa einen über einen längeren Zeitraum hinweg geführten gemeinsamen Haushalt, das Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit oder größere gemeinsame Investitionen wie den Erwerb eines gemeinsamen Familienheims beeinflusst. Ein allein intimes Verhältnis reicht dafür nicht aus (Senatsurteil vom 13. Juli 2011 - XII ZR 84/09 - FamRZ 2011, 1498 Rn. 27). 

Urteil des XII. Zivilsenats vom 8.6.2011 - XII ZR 17/09 

Der Senat weist darauf hin, dass eine verfestigte Lebensgemeinschaft nicht zwingend voraussetzt, dass die Partner einen gemeinsamen Haushalt unterhalten (vgl. etwa Senatsurteile vom 28. Januar 2004 - XII ZR 259/01 - FamRZ 2004, 614, 616 und vom 24. Oktober 2001 - XII ZR 284/99 - FamRZ)  Jedenfalls wird mit  Entscheidung des XII Zivilsenats vom 13. Juli 2011 (XII ZR 84/09) die klassische Rechtsprechung zu dieser Thematik nicht ausgehebelt, sondern bestätigt: Zweck der gesetzlichen Neuregelung in § 1579 Nr. 2 BGB ist es, rein objektive Gegebenheiten bzw. Veränderungen in den Lebensverhältnissen des bedürftigen Ehegatten zu erfassen, die eine dauerhafte Unterhaltsleistung unzumutbar er-scheinen lassen. Entscheidend ist deswegen darauf abzustellen, dass der unterhaltsberechtigte frühere Ehegatte eine verfestigte neue Lebensgemeinschaft ein-gegangen ist, sich damit endgültig aus der ehelichen Solidarität herauslöst und zu erkennen gibt, dass er diese nicht mehr benötigt. Kriterien wie die Leistungsfähigkeit des neuen Partners spielen hingegen keine Rolle.

Zu den Erfordernissen wird ausgeführt: Ein nach § 1579 Nr. 2 BGB beschränkter oder versagter nachehelicher Unterhaltsanspruch kann grundsätzlich wiederaufleben, wobei es einer umfassenden Zumutbarkeitsprüfung unter Berücksichtigung aller Umstände bedarf. Bei Beendigung der verfestigten Lebensgemeinschaft lebt ein versagter Unterhaltsanspruch regelmäßig im Interesse gemeinsamer Kinder als Betreuungsunterhalt wieder auf. Für andere Unterhaltstatbestände gilt dies nur dann, wenn trotz der für eine gewisse Zeit verfestigten neuen Lebensgemeinschaft noch ein Maß an nachehelicher Solidarität geschuldet ist, das im Ausnahmefall eine weitergehende nacheheliche Unterhaltspflicht rechtfertigen kann. 

Schon nach ständiger Rechtsprechung des Senats zum früheren Recht konnte ein länger dauerndes Verhältnis des Unterhaltsberechtigten zu einem anderen Partner zur Annahme eines Härtegrundes im Rahmen des § 1579 Nr. 7 BGB a.F. - mit der Folge der Unzumutbarkeit einer weiteren uneingeschränkten Unterhaltsbelastung für den Unterhaltspflichtigen - führen, wenn sich die Beziehung in einem solchen Maße verfestigt hatte, dass sie als ehe-ähnliches Zusammenleben anzusehen und gleichsam an die Stelle einer Ehe getreten war. Dabei setzte die Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft nicht zwingend voraus, dass die Partner räumlich zusammenlebten und einen gemeinsamen Haushalt führten, auch wenn eine solche Form des Zusammen-lebens in der Regel als ein typisches Anzeichen hierfür angesehen wurde. Unter welchen Umständen - nach einer gewissen Dauer, die im Allgemeinen zwischen zwei und drei Jahren lag - auf ein eheähnliches Zusammenleben geschlossen werden konnte, ließ sich nicht allgemein verbindlich festlegen.  

Letztlich oblag es der verantwortlichen Beurteilung des Tatrichters, ob er den Tatbestand des eheähnlichen Zusammenlebens aus tatsächlichen Gründen für gegeben erachtete oder nicht (Senatsurteile BGHZ 176, 150 = FamRZ 2008, 1414 Rn. 26; BGHZ 157, 395 = FamRZ 2004, 614, 616 und BGHZ 150, 209 = FamRZ 2002, 810, 811). Es wird also auf den Tatrichter ankommen, so auch im Fall des BGH der trotz des Fehlens eines gemeinschaftlichen Hausstandes: Der BGH führte aus: Zu Recht wurde in der Vorinstanz auch auf das Erscheinungsbild der neuen Lebensgemeinschaft der Beklagten in der Öffentlichkeit abgestellt.  

Dem Umstand, dass die Beklagte keinen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Lebensgefährten unterhielt, hat es dadurch Rechnung getragen, dass es eine verfestigte Lebensgemeinschaft erst ab Januar 2008, also nach 3 ¾ Jahren seit Aufnahme der neuen Partnerschaft, angenommen hat.  MJH Rechtsanwälte, Herr Rechtsanwalt Martin J. Haas meint: Damit sei der Rückschluss gestattet, dass es im Fall eines gemeinsamen Haushalts einer zeitlichen Mindestdauer nicht bedarf.


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