Die Widerspruchslösung im Strafrecht: Anforderungen an einen entsprechenden Widerspruch

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Der 1. Strafsenat beim Bundesgerichtshof (BGH) hatte bereits durch Beschluss vom 11. September 2007 die Anforderungen an die im 38. Band entwickelte „Widerspruchslösung“ (BGHSt 38, 214) insoweit verschärft, als dass seitdem verlangt wird, dass die Verteidigung nicht mehr nur abstrakt-generell der Verwertung eines rechtswidrig erhobenen Beweises widerspricht, sondern darüber hinaus die Angriffsrichtung des Widerspruchs konkret angibt im Sinne von begründet – BGH 1 StR 273/07

Zum Hintergrund unseres Falles:


Soweit ein Beweis im Ermittlungsverfahren unter Verstoß gegen Verfahrensvorschriften erhoben wurde, kann daraus ein Beweisverwertungsverbot resultieren. In der Strafprozessordnung (StPO) sind nur wenige Beweisverwertungsverbote ausdrücklich benannt. Dazu gehören nach § 136a Absatz 3 Satz 2 StPO insbesondere die unzulässigen Vernehmungsmethoden: Danach dürfen Aussagen, die unter Verletzung dieses Verbots zustande gekommen sind, sogar dann nicht verwertet werden, wenn der Beschuldigte ihrer Verwertung zustimmt (BGHSt 38,214).

In den weit überwiegenden Fällen knüpft die StPO allerdings an eine rechtswidrige Beweisgewinnung keine ausdrücklichen Folgen. Vielmehr wird in diesen Fällen von den Gerichten das staatliche Interesse an der Strafverfolgung im Einzelfall mit den Grundrechten des Betroffenen abgewogen, wobei die Schwere des Delikts beziehungsweise des Verfahrensverstoßes maßgeblich sind.

Im Zusammenhang mit der Vernehmung ohne vorangegangene Belehrung nach § 55 Absatz 2 StPO hatte der Bundesgerichtshof in Form des Großen Senats ursprünglich den unter dem Schlagwort: „Rechtskreistheorie“ bekannt gewordenen Ansatz entwickelt, wonach jeweils zu überprüfen sei, ob die Verletzung den Rechtskreis des Betroffenen wesentlich berühre (BGHSt 11, 213). Dieser Ansatz stellt in der modernen Strafrechtspraxis des 3. Jahrtausends nur noch die Grundlage für die Abwägung der Rechtsgüter dar.

Zwingend zu beachten ist in diesem Normenkomplex für die Verteidigung allerdings immer, dass ein Beweisverwertungsverbot in manchen Fällen eben disponibel ist, das heißt, dass der Verwertung des Beweises in der Hauptverhandlung widersprochen werden muss. Als letztmögliche Gelegenheit wurde dabei der Zeitpunkt des § 257 StPO fixiert: Erfolgt bis dahin kein Widerspruch, ist die Verwertung des Beweises – (auch) zum Nachteil des Angeklagten – möglich.

Mit diesem Postulat seiner Widerspruchslösung, die gesetzlich nicht verankert ist, sondern reine Rechtsfortbildung des Bundesgerichtshofs ist, steuert der BGH auf einen – zu Lasten der Verteidigung einseitig eingeschränkten – Parteiprozess nach anglo-amerikanischem Muster zu, da insbesondere nach wie vor die im US-Verfahrensrecht gewohnheitsrechtlich anerkannte Regel von den Früchten des vergifteten Baumes („fruit of the poisonous tree“) als erweitertes Verwertungsverbot für illegal gewonnene Beweise in der deutschen Rechtspraxis – bis auf Einzelfälle – nicht anerkannt ist. Für die Verteidigung tritt damit im Ergebnis ein Rechtsverlust ein.

Diese Verlagerung der Verantwortung auf die Verteidigung speist sich aus dem Gedanken, dass eine Verteidigung, die ihre Rechte nicht effektiv wahrnehme, sich selbst schade. Und da mit der Widerspruchslösung keine unzumutbaren Anforderungen einhergingen, sei im Ergebnis die Indienstnahme der Verteidigung für die Förderung des Verfahrens zulässig. 

Die Widerspruchslösung gilt nun aber auch nicht grenzenlos, sondern nur soweit der Rechtskreis des Angeklagten betroffen ist. § 257 Absatz 2 StPO bestimmt, dass auf Verlangen dem Verteidiger nach der Vernehmung des Angeklagten und nach jeder einzelnen Beweiserhebung Gelegenheit zu geben ist, sich dazu zu erklären. Spätestens hier ist dann der Widerspruch mit konkreter Angriffsrichtung anzubringen, bevor der Zeuge durch das Gericht entlassen und das Verfahren gemäß § 238 StPO mit neuen Anordnungen wie etwa der Verlesung von Protokollen (§ 251 StPO) oder von Behörden- und Ärzteerklärungen (§ 256 StPO) fortgesetzt wird.

Aus diesem Verständnis heraus ist es nicht erforderlich einen konkreten Widerspruch zu erheben, wenn etwa ein Zeuge von seinem Aussageverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen (§ 52 StPO) Gebrauch macht und anschließend das Gericht die Verlesung von Protokollen (§ 251 StPO) im Sinne von § 238 StPO anordnet. Gegen diese Verhandlungsleitung mag es – mit Blick auf die Revision (Verfahrensrüge) – geboten sein, zu remonstrieren und einen Gerichtsbeschluss nach § 238 Absatz 2 StPO herbeizuführen – mit der Widerspruchslösung hat das jedoch Nichts zu tun. Insbesondere gegen die Anordnung der Verlesung richterlicher Protokolle (§ 251 Absatz 2 StPO) ist nämlich schon keine Beschwerde (§ 305 Satz 1 StPO) möglich. 

Das konkrete Verfahren vor dem Schöffengericht im Oberlandesgerichtsbezirk (OLG) Frankfurt am Main hatten Frau Rechtsanwältin Blazevska und Herr Rechtsanwalt Philipp Berger für den Mandanten geführt. Dieser hatte in der Hauptverhandlung von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht, jedoch im Ermittlungsverfahren vor dem Untersuchungsrichter - ohne in diesem Verfahrensabschnitt anwaltlichen vertreten zu sein – zögerlich, vermeintliche Spontanäußerungen mit Selbstbelastungscharakter abgegeben.

Das Ausgangsgericht wollte daraufhin zum Inhalt seiner Angaben im Ermittlungsverfahren nunmehr den Untersuchungsrichter vernehmen. Dagegen hatten wir – unter Hinweis darauf, dass die Angaben des Mandanten wegen Belehrungsmängeln nach § 136 Absatz 1 Satz 2 StPO unverwertbar seien – unverzüglich der Vernehmung der Untersuchungsrichterin und auch der Verwertung ihrer konkreten Aussagen widersprochen. Das Gericht hat den Widerspruch zurückgewiesen und die Einlassungen des Mandanten im Ermittlungsverfahren gegen ihn im Urteil verwendet. Damit steht dem Mandanten nunmehr sowohl die Revision als auch die Berufung als Rechtsmittel zur Verfügung.

Sofern der Mandant nicht ausdrücklich eine Sprungrevision wünscht, ist die Berufung zum Landgericht – kleine Berufungskammer – regelmäßig das sicherere und damit übliche Rechtsmittel, da bei der Berufung gegen ein strafrechtliches Urteil eine umfassende Neuverhandlung der Sache sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht erfolgt, während bei der Revision das Urteil nur in rechtlicher Hinsicht überprüft wird. 

Vielmehr ist in der Revisionsinstanz der das Ermittlungsverfahren und die Hauptverhandlung erster Instanz beherrschende Kampf um den wahren Sachverhalt – Was ist geschehen; wer ist der Täter? – stets rechtlich irrelevant. Deshalb bietet die Berufung weitreichendere Möglichkeiten für den Mandanten und er erhält sich einen Instanzenzug.

 

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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