Einführung in die Verteidigung von Sexualdelikten

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Der Vorwurf eines Sexualdeliktes bringt rechtliche als auch gesellschaftliche Herausforderungen mit sich.

Auf der einen Seite wäre da die juristische Seite. Es ist zu erörtern, welche Verteidigungsstrategie anzuwenden ist, um sich von dem Vorwurf zu befreien oder die Konsequenzen abzumildern. Auf der anderen Seite – oftmals nicht weniger gravierend – steht die gesellschaftliche Vorverurteilung. Wer mit dieser Art von Vorwürfen konfrontiert wird, muss sich Meinungen stellen, zu Dingen, die noch nicht einmal bewiesen wurden. Die Stigmatisierung des bloßen Vorwurfs an sich genügt, um einen in den gesellschaftlichen Ruin zu treiben.

Um beiderlei Konsequenzen so gut wie möglich beseitigen oder abmildern zu können, braucht es juristische Hilfe. Solcherlei sensible Thematiken sollten Sie nicht sich selbst überlassen.


Aber erst einmal ganz von vorne:

Was sind Sexualdelikte?


Die Sexualdelikte sind in den §§ 174 ff. StGB geregelt und werden gesetzlich auch "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" genannt. Es sind die Delikte, bei denen jemand beispielsweise ungewollte sexuelle Handlungen durchführt oder verbotene Pornos besitzt.


Die unterschiedlichen Tatmöglichkeiten können für den Laien einigermaßen ähnlich klingen und werden daher häufig vertauscht.

Gesetzlich sind die Tathandlungen konkret festgelegt. Die Delikte, die sexuelle Handlungen beinhalten, können grob wie folgt eingeordnet werden:


Ein sexueller Übergriff im Sinne des § 177 Abs.1 StGB liegt vor, wenn eine sexuelle Handlung gegen den Willen des Opfers vorgenommen wird. Daneben kann gem. § 177 Abs.2 StGB eine sexuelle Handlung unter Ausnutzung einer besonderen Lage des Opfers vorgenommen worden sein (zB. Wenn ausgenutzt wird, dass eine Person in der Situation gar keinen Willen bilden konnte).

Spezielle Tatausprägungen sind dabei die Vergewaltigung nach § 177 Abs.6 StGB, bei der das Eindringen in eine Körperöffnung erforderlich ist, oder die sexuelle Nötigung gem. § 177 Abs.5 StGB, wobei die sexuelle Handlung unter einer Gewaltsituation, Bedrohungssituation oder einer Situation erfolgt, bei dem die schutzlose Lage einer Person ausgenutzt wird.

Der sexuelle Missbrauch ist im Gesetz in unterschiedlichen Varianten normiert. Hierbei sind bestimmte Opferkreise betroffen. Beispielsweise liegt ein sexueller Missbrauch von Kindern gem. § 176 StGB vor, wenn sexuelle Handlungen an Kindern durchgeführt werden.


In §177 VII, VIII sowie §178 StGB sind herausragend schlimme Formen der sexuellen Straftaten unter entsprechender Strafandrohung normiert. Darunter fallen insbesondere die Fälle, wenn in Folge einer bereits erörterten Handlung das Opfer getötet wird.

Auch Sexualdelikte gegenüber Kindern oder Hilfsbedürftigen werden gesetzlich besonders hervorgehoben und härter bestraft.


Da die unterschiedlichen Arten der Delikte oftmals fließend ineinander übergehen, ist es besonders schwierig, rechtlich trennscharf zu sein.


In §184i StGB ist die sexuelle Belästigung unter Strafe gestellt. Sexuelle Belästigung liegt nach dem Gesetzeswortlaut vor, wenn eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt wird.


Deutlich wird, dass im Gegensatz zu manch anderen Ländern hierdurch das allgemeine Konzept "nein = nein" gesetzlich festgelegt wurde:

Eine sexuelle Handlung ist dann verboten, wenn man kundtut, dass diese gegen den eigenen Willen geschieht. Andere Länder legalisieren sexuelle Handlungen erst nach ausdrücklichen Einverständnis (ja = ja).

Ausnahmsweise sind hier in Deutschland sexuelle Handlungen auch ohne Kundgabe des entgegenstehenden Willens unter Strafe gestellt, wenn besondere Begleitumstände vorliegen (vgl. §177 Abs.2 StGB oder Abs.5 StGB), also das Opfer insb. in dieser konkreten Situation nicht in der Lage war, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern. 



Besonderheiten von Sexualstrafverfahren


Die Besonderheit an diesen Strafverfahren ergibt sich vor allen Dingen daraus, dass in aller Regel die Delikte nur zwischen Täter und Opfer stattfinden und so bei den Beweisverfahren eine "Aussage gegen Aussage" Situation vorliegt. Selten sind andere Zeugen anwesend. Allerhöchsten können als zusätzliche Beweismittel körperliche Spuren oder Verletzungen angeführt werden. Auch Zeugen vom Hörensagen gibt es häufiger.

Verteidigungsansätze


Beweislage


Aus eben dieser besonderen Aussage-gegen-Aussage-Verfahrenssituation ergibt sich auch das oftmals stärkste Verteidigungsmittel: das Erschüttern der Beweislage. Der Zeugenbeweis gilt als unsicherstes Beweismittel, gerade weil eine Zeugenaussage eine subjektive Wahrheit widerspiegelt. Es können die Umstände wiedergegeben werden, die eine Person als Wahrheit erlebt und abgespeichert hat. Hierbei können der Inhalt und das Ergebnis der Aussage bewusst oder unbewusst verfälscht werden. Menschen nehmen Situation unterschiedlich wahr oder haben unterschiedliche psychische Aufnahmefähigkeiten. Abgespeicherte Inhalte können aus sich heraus falsch bewertet oder durch andere Menschen beeinflusst und bewertet werden. Diese aussagepsychologischen Hintergründe führen dazu, dass eine Zeugenaussage ihren Inhalt oder ihrer Entstehung nach angegriffen werden kann.

Wenn eine strafprozessuale Situation nun eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen vorweist, hängt von eben diesem subjektiven Belastungsbeweis alles ab.

„Im Zweifel für den Angeklagten“ kann dann jedoch nicht direkt und automatisch ein Freispruch ergehen. Vielmehr hat das Gericht in diesen Situationen ganz besonders zu begutachten, ob die Belastungsaussage zur Verurteilung ausreichen kann. Die Glaubwürdigkeit des Zeugen und die Glaubhaftigkeit der getätigten Aussage müssen dezidiert und in ganz besonderem Maße überprüft und bewertet werden. In der Regel wird hierzu ein aussagepsychologisches Glaubwürdigkeitsgutachten durch einen Sachverständigen eingeholt. Hieran kann sich das Gericht bei der Bewertung der Aussage orientieren. Es wird dabei genau erforscht, ob die Person eine erlebnisbasierte Aussage trifft oder die Aussage durch einen Irrtum oder eine Lüge verfälscht sein kann.

Der Bundesgerichtshof hat Bewertungskriterien einer Zeugenaussage entwickelt, an denen sich Richter orientieren können. Es wird beleuchtet, ob eine Aussage im Kerngeschehen konstant und in sich stimmig ist, ob Erläuterungen folgerichtig und widerspruchsfrei sind und ob eine Aussage detailreich ist. Weiterhin sind die Schilderungen von Kommunikation und Interaktion in Bezug auf die andere Person zu bewerten. Es wird darauf geachtet, ob die Wiedergabe eigenen Erlebens, Gefühle, Sorgen und psychischer Vorgänge geschildert wird. Es wird die Beziehung zur anderen Person bewertet und hieraus mögliche Belastungsmotive erforscht. Es muss erörtert werden, wie die Aussage entstanden ist und ob die Person überhaupt grundlegend ist der Lage ist, eine Aussage tätigen zu können.


Da diese Bewertung sehr anspruchsvoll ist, gibt dies der Strafverteidigung Angriffspunkte, um so zugunsten des Angeklagten auf den Prozess einzuwirken. Bei der Prüfung all dieser Punkte kann konkret herausgearbeitet werden, wieso eine Aussage an Stelle XY unglaubhaft sein könnte. Es kann herausgearbeitet werden, wieso an Stelle YZ nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Aussage auf einem psychologischen Irrtum oder sogar einer absichtlichen Lüge basiert. Durch Entwickeln von diesen Prüfungshypothesen wird dem Gericht die Aufgabe gegeben, hier noch genauer hinzuschauen. Für eine Verurteilung müsste durch das Gericht widerlegt werden, dass die Hypothesen die Aussage nicht unglaubhaft machen. Dieser strafprozessuale Vorteil, den die Strafverteidigung hat, hat sich aus der Unschuldsvermutung des Angeklagten heraus entwickelt.

Versierte Strafverteidigerinnen können Belastungsaussagen detailreich auseinandernehmen und mögliche Angriffspunkte herausarbeiten. Es erfordert besondere aussageanalytische Expertise, um die Schwachstellen erfühlen zu können.



Rechtslage


Auch hinsichtlich der Rechtslage selbst können sich Angriffspunkte ergeben. Lag tatsächlich eine sexuelle Handlung im Sinne des § 184h StGB vor? Was bedarf es für ein vorsätzliches Handeln? Wann geschieht rechtlich gesehen etwas, gegen den Willen einer Person?

Dort, wo mit dem Gesetz gearbeitet wird, ergeben sich Rechtsfragen. Denn das Gesetz ist absichtlich so offen wie möglich und so konkret wie nötig formuliert. Erfahrene Sexualstrafverteidigerinnen kennen die regelmäßig auftretenden rechtlichen Schwierigkeiten und Angriffspunkte und wissen diese vorzubringen.



Strafzumessung


Gibt es keine kluge Möglichkeit, den Vorwurf auf Beweisebene und Rechtsebene hinreichend zu entkräften, kann auf Ebene der Strafzumessung eine Abmilderung der Konsequenzen erarbeitet werden. Kriterien finden sich hierfür in der Person des Beschuldigten, der Ausführung der Tat oder weiteren Begleitumständen. Bei eben dieser Bewertung kommt es auf individuelle Gründe an, weswegen eine Strafe gemildert werden könnte und die entsprechende Argumentation. Oftmals ist die Erarbeitung von Milderungsgründen schon früh vorzubereiten.  



Einstellung wegen geringer Schwere der Schuld


Gem. § 153 f. StPO kann bei geringer Schwere der Schuld das Verfahren eingestellt werden. Das ist jedoch nur dann möglich, wenn der Vorwurf ein Vergehen umfasst. Vergehen sind gem. § 12 Abs. 2 StGB solche Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind. Kann sodann eine solche geringe Schwere der Schuld herausargumentiert werden, ergeht keine Verurteilung.

Fazit


Im Endeffekt ist das Kindchen noch nicht in den Brunnen gefallen, wenn der Vorwurf der Sexualdelikte im Raum steht. Entweder kann bereits im Ermittlungsverfahren eine diskrete Einstellung wegen unzureichender Beweislage oder Rechtslage angestrengt werden, oder in der Gerichtsverhandlung mit allem Handwerkszeug verteidigt werden. Zudem können strafmildernde Umstände herausgearbeitet werden oder eine geringe Schwere der Schuld angestrebt werden.

Sie sind nicht schutzlos, wenn der Schock kommt. Wir geben unser bestes, Ihr realistisches Verfahrensziel mit Ihnen zu entwickeln und eine entsprechende Strategie zu erstellen.  

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Rechtsanwältin Hannah Funke - Anwalt für Sexualdelikte

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Foto(s): Hannah Funke

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