Ermittlungsverfahren – Vorwurf des sexuellen Übergriff, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung § 177 StGB

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Sexueller Übergriff, sexuelle Nötigung; Vergewaltigung

Im November 2016 ist der neu gefasste § 177 StGB In Kraft getreten. Dieser stellt den sexuellen Übergriff, die sexuelle Nötigung und die Vergewaltigung unter Strafe. Der § 177 StGB soll die sexuelle Selbstbestimmung einer Person schützen, d. h. die Freiheit der Person gewährleisten über Zeitpunkt, Art, Form und Partner sexueller Betätigung nach eigenem Belieben zu entscheiden. Der Neufassung lag die Konzeption zugrunde, jede (sexuelle) Handlung gegen den Willen einer Person unter Strafe zu stellen: „Nein heißt Nein“. 

Der Tatbestand des sexuellen Übergriffes

Ein sexueller Übergriff liegt vor, wenn der Täter eine sexuelle Handlung am Opfer vornimmt, eine sexuelle Handlung vom Opfer am Täter oder an sich selbst vornehmen lässt oder der Täter das Opfer bestimmt, die Handlung eines Dritten am Opfer zu dulden. Eine sexuelle Handlung wird dabei als solche verstanden, wenn das äußere Erscheinungsbild der Handlung die Sexualbezogenheit nach objektiven Maßstäben erkennen lässt. 

Erforderlich für die Erfüllung des Tatbestandes des § 177 I StGB ist ferner jedoch der entgegen stehende Wille des Opfers. Dieser muss – für einen objektiven Dritten – erkennbar zum Ausdruck gebracht worden sein. Ein bloß innerer Vorbehalt ist nicht maßgeblich. Auf eine nötigende Handlung (Gewalt, Drohung) kommt es für einen sexuellen Übergriff ebenso nicht an. 

Der Missbrauchstatbestand

Der Gesetzgeber hat den entgegenstehenden Willen des Opfers, wie oben bereits angedeutet, als zentrales Kriterium der Strafbarkeit ausgerufen. So ist der Tatbestand des § 177 II, Nr. 1 – 4 StGB geschaffen worden für Fälle, in denen der entgegenstehende Wille des Opfers aus unterschiedlichen Gründen nur eingeschränkt gebildet werden kann oder dem Opfer gar gänzlich die Fähigkeit zur freien Willens- und Äußerungsfähigkeit fehlt.

Der Missbrauchstatbestand setzt daher synonym zum sexuellen Übergriff zwar ebenso die Vornahme einer sexuellen Handlung voraus, verlangt aber in den verschiedenen Tatvarianten der § 177 II Nr. 1 – 4 StGB zusätzlich das Ausnutzen der Willens- oder Äußerungsunfähigkeit (§ 177 II Nr. 1 StGB), das Ausnutzen eingeschränkter Willens- oder Äußerungsfähigkeit (§ 177 II Nr. 2 StGB), das Ausnutzen eines Überraschungsmoments (§ 177 II Nr. 3 StGB) oder das Ausnutzen einer Lage, in der dem Opfer bei Weigerung ein „empfindliches Übel“ droht (§ 177 II Nr. 4 StGB). Das „empfindliche Übel“ bzw. die erhebliche Verschlechterung der Lage des Opfers in zuletzt genannter Tatvariante muss dabei letzten Endes vom Täter ausgehen, ohne dass dieser das Opfer im Vorfeld ausdrücklich bedrohen muss (dazu sogleich). Gemeint sind Situationen wie beispielsweise das Alleinlassen an einem einsamen Ort, das Verlassen in schutzloser Lage, der Entzug notwendiger Hilfe oder der Wegnahme von erforderlichen Hilfsmitteln, nicht aber bereits allgemeine Situationen des Lebensalltags, in denen beispielsweise mit Konsequenzen auf das Arbeitsverhältnis, die Partnerschaft, die Ehe oder die Mitgliedschaft in Gruppierungen oder Vereinen zu rechnen wäre.

Der Tatbestand der sexuellen Nötigung

Von sexueller Nötigung spricht man zum einen in den Fällen, in denen der Täter die sexuelle Handlung durch ausdrückliche oder konkludente Drohung mit einem „empfindlichen Übel“ durchsetzt, dem Opfer die Konsequenzen seiner Weigerung also sprachlich oder durch schlüssiges Handeln vor Augen führt (§ 177 II Nr. 5 StGB). Zum anderen etwa in den Fällen, in denen der Täter gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet (§ 177 V Nr. 1 StGB). Als Gewaltanwendung kann im Einzelfall beispielsweise das Festhalten des Opfers, etwa der Hände oder der Arme, das Auseinanderdrücken der Beine, das Auf-ein-Bett-Stoßen, das Verabreichen von K.O.-Tropfen aber auch etwa schon das Verriegeln der Tür eines Pkw angesehen werden.

Erschwerend wirkt es sich in jedem Falle aus, wenn der Täter eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt oder verwendet (§ 177 VII, VIII StGB).

Vergewaltigung

Von einer Vergewaltigung spricht man, wenn die sexuelle Handlung (s.o.) mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist (§ 177 VI Nr. 1 StGB). Dabei handelt es sich um einen besonders schweren Fall der bereits aufgezählten Tatvarianten des § 177 StGB ebenso wie ähnlich erniedrigende sexuelle Handlungen oder die gemeinschaftliche Begehung (§ 177 VI Nr. 2 StGB). 

Welche Strafe droht mir, wenn ich wegen sexuellen Übergriffs, sexueller Nötigung; Vergewaltigung verurteilt werde?

Als Strafe sieht der § 177 StGB in jedem Falle Freiheitsstrafe vor. Die Straferwartung bei einer Verurteilung nach dem § 177 StGB ist je nach Tatvariante jedoch höchst unterschiedlich, mitunter aber erheblich. Sie reicht von einer Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten (§ 177 I, II StGB) bis hin zu einer Mindestfreiheitsstrafe von fünf Jahren (§ 177 VIII StGB). Bei einer Vergewaltigung (§ 177 VI Nr. 1 StGB, s.o.) ist mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren zu rechnen, aus welchem Grund die Strafe nicht bewährungsfähig ist und der Strafantritt in einer Justizvollzugsanstalt unumgänglich ist.

Was ist zu tun, wenn ich des sexuellen Übergriffs, der sexuellen Nötigung; Vergewaltigung beschuldigt werde?

Dringend ist Ihnen zu raten, nicht unbedacht der Vorladung zu einer Beschuldigtenvernehmung bei der Polizei nachzukommen, sondern einen Strafverteidiger zu beauftragen. 

Der bevollmächtigte Rechtsanwalt kann dann Akteneinsicht beantragen. Sobald die Akteneinsicht gewährt wurde, kann der Verteidiger die Tragweite des Vorwurfs abschätzen. Mit Hilfe einer Verteidigungsschrift, die auf den Angaben des Mandanten beruht und mit der zu den erhobenen Vorwürfen Stellung bezogen wird, kann das Verfahren in die richtige Richtung gesteuert werden.

Auf keinen Fall sollten Sie dem Irrglauben erliegen, die „Wahrheit“ werde schon „ans Licht“ kommen, gleichwohl Sie in der Situation aus der die Beschuldigung herrührt, kein fehlerhaftes Verhalten ihrerseits wahrgenommen haben. Versäumnisse während des Ermittlungsverfahrens können weitreichende Folgen haben und nur selten wieder korrigiert werden. Bei einem so erheblichen Vorwurf ist die Beauftragung eines Rechtsanwalts nicht nur von Vorteil, sondern oberstes Gebot, um sich gegenüber den Vorwürfen wirksam zu verteidigen. Entgegen der sozialen und medialen Vorverurteilung im Zuge eines derartigen Vorwurfs, stellt die Beauftragung eines Rechtsanwalts dabei in keinem Falle ein Schuldeingeständnis dar, sondern ist gerade wirksamstes Mittel, um die Vorwürfe „aus der Welt zu schaffen“.

Vorsicht!!! Da die konkrete Situation sich meist lediglich zwischen vermeintlichem Opfer und vermeintlichem Täter abgespielt hat, der Vorwurf sich daher häufig auf die Angaben des Opfers stützt, sollten Sie sich gleichgültig ob gegenüber der Polizei oder gegenüber Freunden, zu keinen spontanen Äußerungen verleiten lassen, die Ihnen im weiteren Verlauf des Verfahrens vorgehalten werden könnten.

Sollten Sie eine Vorladung zur polizeilichen Vernehmung als Beschuldigter erhalten, gilt Folgendes: 

1. Nehmen Sie Kontakt mit einem Rechtsanwalt auf. Versuchen Sie nicht, die Sache selbst zu regeln. Gehen Sie nicht zum Vernehmungstermin, um sich einen Überblick zu verschaffen.

2. Ich zeige Ihre Verteidigung gegenüber der Polizei und der Staatsanwaltschaft an und beantrage Akteneinsicht.

3. Einen Vernehmungstermin nehmen Sie nicht wahr. Sollte dieser noch ausstehen, wird dieser durch mich abgesagt. Der Schriftverkehr, die Korrespondenz mit Polizei und Staatsanwaltschaft läuft ausschließlich über mein Büro.

4. Meistens wird innerhalb von vier bis zwölf Wochen Akteneinsicht gewährt. Die Akteneinsicht erhalte ich, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind. Nicht selten dauern Ermittlungsverfahren zwischen vier und acht Monaten. Im Ermittlungsverfahren werden Sie automatisch durch mich informiert, wenn mir Neuigkeiten bekannt werden. 


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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