EuGH und der Widerrufsjoker bei Verbraucherdarlehen

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Von Rechtsanwalt Dr. Marc Laukemann und einer Kollegin

In einem spektakulären Urteil zum Widerruf von privaten Krediten hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH, Az.: C-66/19) entschieden, dass eine weit verbreitete Klausel, der sogenannte Kaskadenverweis, in der Widerrufsbelehrung von privaten Krediten nicht mit europäischem Recht vereinbar sei.

Das Urteil wurde vielfach so interpretiert, als könne es den deutschen Bankensektor durcheinanderwirbeln. Denn eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung berechtigt den Kunden zum Widerruf eines Darlehens. Und zwar auch dann, wenn der Kredit schon vor etlichen Jahren abgeschlossen wurde oder gar nicht mehr läuft. Für die Banken kann dies zu einem existentiellen Problem werden. Gerade bei Baufinanzierungen, wo die Zinsen meist über mindestens zehn Jahre festgelegt werden, ist der Widerruf ein handfester Vorteil für die Kunden. Sie können sich dadurch von teuren Darlehen lösen und zu den aktuellen Niedrigzinsen günstig umschulden. Die Banken bleiben in diesen Fällen auf den Verlusten sitzen.

Wir beantworten die wichtigsten Fragen infolge des Urteils:

Was ist die Kernaussage des EuGH? Verbrauchern ist es nicht zumutbar die Modalitäten der Berechnung der Widerrufsfrist aus mehreren Vorschriften in verschiedenen Gesetzen zu ermitteln!

Der BGH hatte noch 2016 entschieden, dass der sogenannte „Kaskadenverweis“ zulässig ist. Mit Kaskadenverweis wird der Verweisung gemäß § 492 Abs. 2 BGB auf Artikel 247 §§ 6–13 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch und von dort zurück in das Bürgerliche Gesetzbuch bezeichnet. Viele Verbraucherkreditverträge verweisen auf § 492 Abs. 2 BGB: Nach Schätzungen sind im Bereich der Immobilien- und Baufinanzierung Kredite mit einem Kreditvolumen von Euro 1,2 Billionen betroffen.

Grundsätzlich steht Darlehensnehmern bei einem Verbraucherimmobilienkreditvertrag ein Widerrufsrecht gemäß § 355 BGB nur innerhalb von 14 Tagen zu. Voraussetzung ist jedoch, dass der Verbraucher die vollständigen Pflichtangaben gemäß Verbraucherkreditrichtlinie erhält. Im oben genannten Fall, den der EuGH zu entscheiden hatte, wurden hinsichtlich der Pflichtangaben auf § 492 Abs. 2 BGB verwiesen, der seinerseits auf Vorschriften des EGBGB verweist. Seit dem Juni 2010 findet sich die Formulierung, die der EuGH nun als nicht klar und prägnant eingestuft hat, um die 14-tägige Widerrufsfrist beginnen zu lassen in Verbraucherverträgen, verwendet wird sie teilweise bis heute.

Wie gehe ich vor, wenn ich mein Darlehen widerrufen will?

Checkliste: Voraussetzungen der Widerrufsmöglichkeit

1. Zeitlich

Vertragsschluss zwischen dem 11.06.2010 und dem 20.03.2016

2. Inhaltlich

Der Darlehensvertrag enthält eine Widerrufsbelehrung mit der Formulierung, dass die Widerrufsfrist "nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Abs. 2 BGB erhalten hat" zu laufen beginnt.

3. Finanziell

hohe Vorfälligkeitsentschädigung oder Ausstiegswunsch aus zu teurerem Kreditvertrag

4. Funktionell

kein Verbrauch durch bereits erklärten Widerspruch

5. Chancen

Der Widerruf ermöglicht es den betroffenen Verbrauchern sich von einem ungeliebten Kreditvertrag zu trennen. Ersparnisse bei Immobilienkrediten können erheblich sein, nach Berechnung der Verbraucherzentrale bei einem Kreditvolumen von Euro 18.000,- bis zu Euro 24.000,- bei einer Restlaufzeit von 4,5 Jahren. Abhängig ist die Ersparnis von der Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung und dem Zinssatz im Vergleich zu dem jetzigen Zinssatz.

6. Risiken

  •  Anschlussfinanzierung

Nicht alle Kreditinstitute bieten sogenannte Umschuldungskredite an, zur Übersicht https://www.test.de/Immobilienkredite-So-kommen-Sie-aus-teuren-Kreditvertraegen-raus-4718800-4764951/

  •  hohe Prozesskosten, hoher Zeitaufwand

Kann ich alle Verbraucherdarlehen widerrufen? 

Der BGH ist rechtzeitig in der Corona-Krise den Kreditinstituten mit zwei Entscheidungen zu Hilfe geeilt. Zunächst behauptet der BGH (Az.: XI ZR 581/18), dass das jüngste EuGH-Urteil nicht auf Immobiliendarlehen anzuwenden sei, womit der BGH wesentliche Aussagen des EuGH wohl faktisch ignoriert. Immerhin handelte es sich bei dem Fall, über den das europäische Gericht zu entscheiden hatte, um eine Baufinanzierung. Es zeigt sich aber, dass die deutschen Gerichte wie auch die Banken nicht gewillt sind, die Rückabwicklung ohne langwierigen Rechtsstreit zu akzeptieren.

Gerne prüfen wir für Sie in einem Schnellcheck, ob die Widerrufsbelehrung fehlerhaft ist und Sie auf der Basis der EuGH-Rechtsprechung den Darlehensvertrag widerrufen können.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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