Falsche Krebsdiagnose: 325.000 Euro

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Mit Vergleich vom 16.05.2022 haben sich die Haftpflichtversicherungen von drei Krankenhäusern verpflichtet, an meine Mandantin für Schmerzensgeld, Haushaltsführungsschaden und materielle Schäden einen Betrag in Höhe von 325.000 Euro zu zahlen. Die Versicherung hat auch meine außergerichtlichen Gebühren mit einer 2,5-Geschäfts-, einer 1,2-Termins- und einer 1,5-Vergleichsgebühr übernommen.

Bei der Mutter der 1969 geborenen Angestellten wurde in der linken Brust die Diagnose eines östrogenrezeptor-positiven, duktal invasiven, niedrig differenzierten, bifokalen G3-Mammakarzinoms gestellt. In der Familie der Mutter lag mütterlicherseits eine deutliche Belastung für Brust- und Eierstockkrebs vor, mit drei zum Teil früh erkrankten Frauen an Brust- und Eierstockkrebs. Die bei der Mutter durchgeführte BRCA1-2 Mutationsanalyse ergab eine unklare Variante im BRCA2-Gen. Dieser Befund wurde in einem Privatlabor erhoben. Weil die Mutation in ihrer klinischen Bedeutung per se nicht sicher einzuordnen war, rieten der Ärzte der Mandantin zu einer prädiktiven Testung.

In der anschließenden genetischen Risikoberatung wurde der Mandantin wegen eines angeblich 85 %igen Erkrankungsrisikos eine prophylaktische beidseitige Brustdrüsen- und Eierstock-/Eileiterentfernung angeraten. Der Pathologe, welcher die genetische Beratung durchgeführt hatte, stufte die BRCA-Mutation als "wahrscheinlich pathogen" ein. Tatsächlich hatte die nachgewiesene BRCA2-Mutation unter Berücksichtigung der Einträge der entsprechenden Online-Datenbanken und unter Berücksichtigung der EDV-basierten Simulationsprogramme keine klinische Bedeutung. Sie war nicht als pathogen einzustufen. Es handelte sich tatsächlich um eine klinisch irrelevante Normvariante.

Ohne diese falsche Befundung zu hinterfragen, führten die Ärzte der drei Krankenhäuser eine Salpingoovarektomie durch (operative Entfernung der Eileiter und Eierstöcke). Es folge die beidseitige Mastektomie. Nach Durchführung der Entfernung beider Brüste mit Sofortrekonstruktion mit Silikonimplantaten kam es in der Folgezeit zu erheblichsten postoperativen Komplikationen, welche nach aufgetretener Kapselfibrose beidseits insgesamt 19 Revisionsoperationen nach sich zog.

Die Mandantin kam zusätzlich durch die Operationen vorzeitig in die Wechseljahre. Sie leidet unter einem Kraftverlust beider Arme durch die Brustmuskelverletzungen beidseits, unter Phantomschmerzen der Brüste, an Bauch, Gesäß und Oberschenkel. Sie hat Gefühlsstörungen und vor allem Schmerzen beim Strecken beider Arme nach oben, beim Tragen, beim Heben, Schieben und bei Drehbewegungen, ständige Schmerzen beim Treppensteigen im Bereich der hinteren Oberschenkel und in beiden Gesäßhälften, wo Hautentnahmen und Gewebe zum Einsetzen in die Brüste entnommen worden war.

Durch die Straffung der Oberschenkel wurde die Haut aus dem Genitalbereich zu den Oberschenkeln gezogen. Die Mandantin leidet unter einem kompletten Sensibilitätsverlust beider Brüste, des Bauches und hat Probleme beim Wasserlassen.

Ich hatte den Kliniken vorgeworfen, grob fehlerhaft und ungeprüft die Operationen durchgeführt zu haben, ohne die Einschätzung des Pathologen zu hinterfragen. Die Mandantin war eine gesunde Frau aus einer Familie, in der zwei Brust- und Eierstockkrebsfälle aufgetreten waren. Eine ursächliche genetische Veränderung war jedoch nicht nachzuweisen. Den Operateuren war grob fehlerhaft nicht bewusst, dass das Risiko der Mandantin, aufgrund der Genanalyse deutlich unter 50 % lag und zu keinem Zeitpunkt eine Indikation für prophylaktische Operationen bestand.

Zusammenfassend bewertete der Sachverständige diese Fehlbehandlung als eine Folge von grobem Missverständnis, grober Unkenntnis in der Bewertung genetischer Befunde sowie in der Kommunikation zwischen Genetiker und Kliniker. Es seien bei der Mandantin unnötige, mit schweren ernstzunehmenden Folgeschäden einhergehende prophylaktische Operationen durchgeführt worden.

Nachdem die Gutachterkommission diese Behandlungsfehler bestätigt hatte, haben sich die Haftpflichtversicherungen der verschiedenen Krankenhäuser bereit erklärt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 175.000 Euro sowie Haushaltsführungsschaden in Höhe von 150.000 Euro für Vergangenheit und Zukunft zu zahlen.

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht & Verkehrsrecht

Foto(s): adobe stock fotos


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