Geschwindigkeitsüberschreitungen – Vorsatz oder Fahrlässigkeit?

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Im Bußgeldverfahren stellt sich bei Geschwindigkeitsüberschreitungen um mehr als 25 km/h oft die Frage, ob der Verstoß noch fahrlässig begangen wurde oder Vorsatz unterstellt werden kann.

Bedeutsam ist dies einerseits deshalb, weil der Bußgeldkatalog bei Geschwindigkeitsverstößen grundsätzlich von fahrlässiger Begehungsweise ausgeht und daher die dort festgelegten Regelsätze nicht mehr zur Anwendung kommen müssen; vielmehr wird bei vorsätzlicher Begehungsweise die Regelbuße gemäß § 3 Abs. 4a BKatV (Bußgeldkatalog-Verordnung) verdoppelt. Andererseits ist bei nachgewiesenem Vorsatz ein Absehen vom Regelfahrverbot zusätzlich erschwert.

Der Vorsatz ist aber nach der Rechtsprechung allein durch die Angabe der prozentualen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nicht zu begründen. Das Ausmaß der Überschreitung ist lediglich ein Indiz für den Vorsatz.

In der Rechtsprechung ist gleichwohl die Tendenz zu erkennen, bei immer niedrigeren prozentualen Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine vorsätzliche Begehung festzustellen:

Treten neben dem Indiz des Ausmaßes der Geschwindigkeitsüberschreitung weitere Umstände wie z. B. ein höheres Motorengeräusch, ein erhöhter Bewegungseindruck oder eine schneller vorbeiziehende Umgebung hinzu, so soll der Rückschluss auf Vorsatz nicht zu beanstanden sein (Fromm in DAR 2014, 246).

Ein wichtiges Indiz ist auch die Örtlichkeit des Verstoßes und die dort gesetzlich festgelegte Höchstgeschwindigkeit, also 50 km/h innerorts oder 100 km/h außerorts. So hat das OLG (Oberlandesgericht) Bamberg am 27.03.2006 (DAR 2006, 464) ausgeführt, jeder Kraftfahrer wisse, dass innerorts nicht schneller als 50 km/h gefahren werden darf. Daher rechtfertige schon eine Überschreitung von 31 km/h (62 %) die Verurteilung wegen Vorsatzes. Auch der Bundesgerichtshof hatte bereits am 11.09.1997 (NZV 1997, 529) entschieden, dass sich bei einer erheblichen Überschreitung der allgemein gültigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h außerorts um 50 km/h (50 %) die Verurteilung wegen Vorsatzes aufdränge. Im konkreten Fall hatte sich der Betroffene dahingehend eingelassen, den Tempomat auf 120 km/h eingestellt zu haben.

Ebenso hat das OLG Hamm mit Beschluss vom 30.03.2005 (DAR 2005, 407) festgestellt, dass jedenfalls im Umfang der die allgemein zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h außerorts überschreitenden Höchstgeschwindigkeit Vorsatz vorliegt.

Im entschiedenen Fall war die Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h zwar durch ein Verkehrszeichen auf 70 km/h reduziert worden. Eine Messung ergab eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 170 km/h. Daher war zumindest hinsichtlich der allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung Vorsatz gegeben, weshalb ein insgesamt vorsätzlicher Geschwindigkeitsverstoß vorlag.

Ein weiteres Indiz für das Vorliegen von Vorsatz kann auch der Umfang der Beschilderung der Höchstgeschwindigkeit sein. Da jedoch stets die Möglichkeit besteht, ein (!) Verkehrszeichen zu übersehen, stellt dies ein eher schwaches Indiz dar, wenn tatsächlich nur ein Schild dort stand.

Dies wird beispielsweise in einem Beschluss des OLG Celle vom 28.9.2000 (DAR 2001, 38) deutlich, in dem das Gericht entschieden hat, dass eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Geschwindigkeitsüberschreitung zumindest mit der Begründung unzulässig ist, dass in geschlossenen Ortschaften „regelmäßig“ Tempo-30-Zonen eingerichtet sind. Das Gericht führt aus, dass dies in kleinen Ortschaften nicht zutrifft und auch in anderen Ortschaften Tempo-30-Zonen nur einzelne Straßenzüge betreffen.

Auch das Bayerische Oberste Landesgericht hatte bereits am 16.12.1993 (DAR 1994, 162) entschieden, dass eine Überschreitung der durch Verkehrszeichen angeordneten Geschwindigkeit von 80 km/h um 41 km/h auf einer Autobahn oder einer autobahnähnlich ausgebauten Straße nicht so gravierend ist, dass sie ohne Weiteres vorsätzlich begangen wurde.

Folgende Umstände können für einen vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoß herangezogen werden:

  • Termindruck,
  • große Fahrpraxis,
  • Abbremsen eines Ortskundigen bei Erreichen eines Geschwindigkeitsmessgeräts,
  • Geständnis.

Trotz des Vorliegens von Indizien muss jedoch der Vorsatz durch den Tatrichter festgestellt werden. Dies gilt auch bei einer Überschreitung in der Tempo-30-Zone um 35 km/h. Das OLG Hamm hat bei einer solchen Überschreitung in seiner Entscheidung vom 31.07.2008 (NZV 2007, S. 263) ausgeführt, dass die Annahme fahrlässigen Handelns der Feststellung besonderer Umstände bedarf.

Betrachtet man allein die prozentuale Überschreitung, so überrascht ein Beschluss des OLG Jena vom 29.10.2007 (DAR 2008, 35). Im zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 18,75 % bis 23,75 % überschritten. Da jedoch im Rennsteig-Tunnel wiederholt auf die Höchstgeschwindigkeit sowie auf Radarkontrollen hingewiesen wird und die festgestellten mehrfachen Geschwindigkeitsüberschreitungen des Betroffenen fast konstant waren, wurde hier vorsätzliche Begehungsweise angenommen. Dabei führt das Gericht aus, dass in Tunneln stets Geschwindigkeitsbeschränkungen gelten und hierüber allgemein Kenntnis bestünde. Dies überzeugt nicht, da sonst jeder Verkehrsverstoß bei vorhandener Beschilderung vorsätzlich begangen würde (so auch Zetzmann in DAR 2008, 37).

Das OLG Düsseldorf hatte mit Beschluss vom 08.01.2016 (DAR 2014, 149) die Auffassung vertreten, dass auch bei einer Überschreitung innerorts von 100 % ohne Hinzutreten weiterer Indizien kein Rückschluss auf eine Vorsatzfahrt möglich ist. Die Ausführungen des Tatgerichts zu Ausbauzustand der befahrenen Straße ließen für sich genommen den Schluss auf vorsätzliche Tatbegehung nicht zu.

Ähnlich sah dies auch das OLG Brandenburg im Beschluss vom 17.06.2014 (VRS 2014, 41). Bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf einer Bundesstraße um 34 km/h könne nicht in jedem Fall allein aus dem Ausmaß der Überschreitung auf vorsätzliches Handeln geschlossen werden.

Nunmehr hat das OLG Hamm mit Beschluss vom 10.05.2016 (DAR 2016, 397) entschieden, dass bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts von 28 km/h bereits von Vorsatz ausgegangen werden kann, weshalb die Regelgeldbuße des Bußgeldkatalogs keine Anwendung findet. Das Gericht geht davon aus, dass bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 % regelmäßig Vorsatz anzunehmen ist, weil dem Betroffenen die erhebliche Überschreitung wegen der Fahrgeräusche und der vorüberziehenden Umgebung nicht verborgen geblieben sein kann.

(Quelle: Juristische Zentrale des ADAC; Mitteilung Nr. 71/2016)

[Detailinformationen: RA Klaus Kucklick, Fachanwalt für Verkehrsrecht, ADAC-Vertragsanwalt]

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