Grenzen der Allmacht des Insolvenzverwalters; weg von der Ohnmacht verunsicherter Schuldner

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Zuweilen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass einige Insolvenzverwalterinnen/Insolvenzverwalter (nachstehend einheitlich mit „IV“ bezeichnet) die in § 97 InsO generell statuierte Mitwirkungs- und Unterstützungspflicht dahingehend fehlinterpretieren , sie seien berechtigt, diverse unliebsame, zeitaufwändige und schwierige Maßnahmen jenseits von Recht und Gesetz allein zur eigenen Arbeitserleichterung auf den Schuldner abzuwälzen. In der Regel wird derartiges (rechtswidriges) Verlangen gegenüber dem Schuldner auch noch garniert mit der Androhung empfindlicher Übel für den Fall des „Ungehorsams“ („bringen sie Ihre Restschuldbefreiung in große Gefahr“ … lass ich Ihre Tiere schlachten … werde ich Sie räumen lassen“). Dass dieses Verhalten nicht nur in menschlicher Hinsicht verachtenswert ist, sondern zudem gleichzeitig den Straftatbestand einer Nötigung iSd. § 240 StGB erfüllt, scheint niemanden zu interessieren.

Im Folgenden soll auf der Grundlage selbst gemachter Erfahrungen und gewonnener Erkenntnisse aus ca. 3.200 Insolvenzverfahren in den vergangenen 16 Jahren eine Art Ranking typischer rechtswidriger IV-Anordnungen gegenüber Schuldnern skizziert werden.

Es beginnt häufig bei der fehlerhaften Behauptung, der Schuldner müsse den IV umfassend bevollmächtigen zum zügellosen Aushorchen von verschwiegenheitspflichtigen Personen. Dass dies unstreitig nicht so ist, wird auch jeder dies fordernde Insolvenzverwalter einräumen, „aus Praktikabilitätsgründen sei dies aber sinnvoll und deswegen in Ordnung“. Nein, ist es ganz und gar nicht.

Die damit verbundene erhebliche Arbeitserleichterung für den IV ließe sich nämlich in fast allen Fällen auch dadurch erreichen, dass der IV dem Schuldner die Situation erklärt und ihn darüber aufklärt, zur Abgabe der Schweigepflichtsentbindungserklärung zwar nicht verpflichtet zu sein, aber er, der IV, den Schuldner gleichwohl im Interesse schnellerer Bearbeitung um dessen – eingeschränkte – Abgabe bittet.

Leider kommt einigen IVs eine derartige Bitte nur schwer über die Lippen. Stattdessen wird der mit der unwahren Verpflichtungsbehauptung einhergehende Rechtsbruch seelenruhig in Kauf genommen.

Damit gebührt dieser ungerechtfertigten IV-Forderung auf der ohne Anspruch auf Vollständigkeit vom Unterzeichner selbst erstellten „Quälliste“ Platz 1.

Weiter geht es mit einer ebenso üblichen wie falschen IV-Forderung, der Schuldner müsse seine Steuerklärung pünktlich und ggf. rückwirkend für die vergangenen Jahre auf eigene Kosten selbst anfertigen und einreichen. Besonders Letzteres ist deswegen so dreist, weil hier mal eine echte und zeitaufwendige Leistung, die unstreitig dem IV obliegt, aus „Praktikabilitätserwägungen“ (O-Ton IV) vorsätzlich rechtswidrig dem Schuldner aufgebürdet wird, meist noch unter Hinweis auf seine Mitwirkungspflicht und die ansonsten eintretenden empfindlichen Übel für den Fall des Ungehorsams, was allein dadurch jedes Ermittlungsverfahren wegen Verdacht des Verstoßes gegen § 240 StGB rechtfertigen würde.

Nach Insolvenzeröffnung bis zu deren Aufhebung ist gemäß § 80 InsO in Verbindung mit § 34 Abs.3 iVm. Abs.1 AO allein der IV berechtigt und verpflichtet, die Steuererklärungen für den Schuldner anzufertigen und einzureichen (BGH ZInsO 2004, 970) Dabei gilt diese Erstellungspflicht ggf. sogar für mehrere vergangene Jahre, in denen keine Erklärungen vom Schuldner abgegeben worden sind. (BFH v. 19.11.2007 – VII B 104/07 –). Nach jüngster Rechtsprechung des BGH (ZInsO 2013, 2511) darf der IV in durchschnittlichen Fällen hierzu noch nicht mal einen Steuerberater hinzuziehen, jedenfalls nicht auf Kosten der Masse.

Der Schuldner selbst muss und kann gegenüber dem Finanzamt nicht mehr auftreten (BGH ZInsO 2004,970). Er ist allerdings verpflichtet, dem Insolvenzverwalter die für die Erstellung der Erklärungen benötigten Auskünfte zu erteilen und die erforderlichen Unterlagen in geordneter Form vorzulegen. Ein Verstoß gegen diese – und zwar nur gegen diese – Mitwirkungspflicht in Form der Beibringungsverpflichtung im Rahmen schuldnerischer Möglichkeiten kann zur Versagung der Restschuldbefreiung führen, (BGH v. 18.12.2008 – IX ZB 197/07–)

Selbst die in der Praxis üblichen Erstellungsschwierigkeiten angesichts mangelhafter Buchführung oder fehlender BWAs entbinden den IV grundsätzlich nicht von der Steuererklärungspflicht. Allerdings wird das Finanzamt in derartigen Fällen eine Schätzung nach § 162 AO vornehmen und den sich danach ergebenen Betrag zur Tabelle anmelden.

Insgesamt hat sich dieses IV-Verhalten, also das konsequente Leugnen eigener Erstellungs- und Erklärungspflichtigkeit, nach Art, Häufigkeit und Intensität einen achtbaren Platz 2 auf der „Quälliste“ redlich verdient.

Wenn schon nicht allgemein dann doch spätestens im Falle einer Vorgehensweise des IV nach § 35 II InsO wird in aller Regel dem Schuldner freudig mitgeteilt, gerade deswegen (wegen der Freigabe) nun wieder selbst zur Abgabe der Steuererklärungen verpflichtet zu sein.

Leider ist auch diese Behauptung so nicht zutreffend.

Die steuerlichen Pflichten des IV reichen gem. § 34 Abs. 3 AO allerdings tatsächlich nur soweit, als seine Vermögensverwaltung insgesamt reicht. Hat also der IV eine selbständige Tätigkeit des Schuldners oder ein Mietzins erwirtschaftendes Grundstück des Schuldners gem. § 35 Abs.2 InsO aus der Insolvenzmasse freigeben, ist insoweit die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis wieder auf den Schuldner übergegangen und damit grundsätzlich auch die Verpflichtung zur Abgabe von Steuererklärungen.

Aber halt, so einfach ist es denn noch nicht.

Denn das Steuerverfahrensrecht hat derartige Fälle weder vorgesehen noch extra geregelt. Insbesondere bei der Einkommensteuer ergeben sich Probleme. Erzielt der Schuldner Einkünfte sowohl im insolvenzbefangenen als auch im insolvenzfreien Bereich, so werden sowohl das zu versteuernde Einkommen als auch die sich ergebende jährliche Einkommensteuer nur einheitlich ermittelt. In der Praxis muss also dann (doch wieder) der IV die Einkommensteuererklärung für den Schuldner erstellen, allerdings ohne die insolvenzfreien Einkünfte. Der Schuldner seinerseits ist aber verpflichtet, selbst eine Gewinnermittlung hinsichtlich der insolvenzfreien Einkünfte vorzulegen und beim Finanzamt eine sog. „Teilsteuererklärung“ einzureichen. Das Finanzamt fügt die beiden Teilerklärungen dann zusammen und erstellt einen Einkommensteuerbescheid. Die sich daraus ergebende einheitliche Steuer ist im Anschluss jedoch wieder in einen insolvenzbefangenen und einen insolvenzfreien Teil aufzusplitten. Soweit die Steuer aus dem insolvenzfreien Vermögen resultiert, ist sie gegen den Schuldner persönlich als neue Verbindlichkeit festzusetzen, im Übrigen gegenüber dem IV bzw. der Insolvenzmasse.

Da dieses Differenzierungserfordernis bei der Feststellung der Abgabepflicht von Steuererklärungen zwar nur bei „geeigneten“ Fallkonstruktionen vorkommt, andererseits von IVs unter Berufung auf § 35 II InsO zu Gunsten allumfassender Steuererklärungspflicht des Schuldners in der Regel auch dort mit keinem Wort erwähnt wird, wo es notwendig sein würde, ist insoweit eine weitere Falschforderung zu konstatieren, die hier jedoch wohlwollend als Annex zu Platz 2 behandelt werden soll.

Neuerdings verlangen viele Insolvenzverwalter von den Schuldnern umfassende Jahreserklärungen über deren wirtschaftliche und finanzielle Verhältnisse. In dieser Form ein klarer Verstoß gegen das Übermaßverbot, jedenfalls wenn sich in den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Schuldners im letzten Jahr nichts geändert hat. Der Schuldner muss nicht seine unverändert gebliebenen Verhältnisse Jahr für Jahr aufs Neue wieder und wieder darstellen, sondern lediglich Veränderungen mitteilen, soweit diese sich mittelbar oder unmittelbar auf die Insolvenz auswirken können. M.a.W: Ein Schuldner, der nur die Veränderungen dem IV mitteilt und ansonsten die darüber hinaus gehenden Anordnungen des IV ignoriert, handelt rechtmäßig. Die uneingeschränkte, generelle Anordnung zum Erstellen seitenlanger Jahresberichte, garniert mit den üblichen Drohungen für den Fall des „Ungehorsams“, muss hingegen als rechtswidrig angesehen werden. Platz 3 der Quälliste.

Platz 4 auf der Liste der Grausamkeiten belegen die vielfältigen individuellen Nötigungsversuche gegenüber den Schuldnern, die bewirken sollen, dass dieser etwas tut, duldet oder unterlässt, was er tatsächlich nicht machen muss.

Exemplarisch: So wird etwa dem Schuldner gerne mal contra legem suggeriert, er müsse die Innenbesichtigung seines zu versteigernden oder zu veräußernden Hauses dulden, andernfalls werde er durch den IV geräumt (wieder ein Fall von § 240 StGB), oder der tränenüberströmten Pferdewirtin, die händeringend nach Möglichkeiten sucht, Ihre geliebten Pferde vor der „Verwertung“ durch den IV zu retten, wird mitgeteilt, da sie sich nicht in der vom IV gewünschten Weise kooperativ benehme, „werde er morgen die Pferde schlachten lassen“.

Leider könnte die Liste der individuellen Gemeinheiten und Niederträchtigkeiten noch recht lange fortgesetzt werden.

Insgesamt scheint es jedenfalls so zu sein, dass IVs zuweilen ohne jedes Unrechtsbewusstsein nicht davor zurückschrecken, die Mitwirkungspflicht aus § 97 InsO als Allzweckwaffe gegen den ungehorsamen Schuldner einzusetzen, der sich weigert, die oft allein der schlichten Arbeitserleichterung und/oder der Vermögensmehrung des IV dienenden Anordnungen zu befolgen.

Diejenigen IVs, die es betrifft, müssen endlich begreifen, dass sie lange genug im fast rechtsfreien, kaum überprüften Raum gewirkt haben, nicht selten mit Billigung desinteressierter Insolvenzrichter, und dies nun ein Ende haben muss und haben wird.

Auch die Schuldner haben Rechte, die vor allem von den IVs zu achten und zu beachten sind. Das Rechtsinstitut des sog. „Besondere Gewaltverhältnis“ mit dem dazu gehörigen Über- Unterordnungsverhältnis mit stark reduziertem (Grund-)rechtsschutz ist seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts obsolet und bedarf keiner Renaissance durch IVs.

Besonders hässliche Drohgebärden werden jedenfalls künftig zur Anzeige gebracht und strafrechtlicher als auch berufsrechtlicher Überprüfung anheimgestellt.

Gez. Egerland // 21.September 2015


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