Jagdrecht: Urteil zur waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit

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Im Beschluss 1 B 85/23 vom 16.02.2023 befasste sich die 1. Kammer des Verwaltungsgericht Stade mit dem Begriff der Zuverlässigkeit aus § 5 WaffG sowie mit der Frage, wie ein „Umweg“ zu definieren ist, wann dieser im waffenrechtlichen Sinne noch unerheblich ist.


Was war passiert?


Das Gericht hatte über den Antrag eines Jägers auf einstweiligen Rechtsschutz zu entscheiden. Der Antragssteller war Pächter eines Jagdgebiets. Er verfügte unter anderem über einen Jagdschein, einen kleinen Waffenschein, mehrere Waffenbesitzkarten sowie eine Sammelwaffenbesitzkarte.

Eines Morgens im September 2022 führte der Antragssteller eine Fallenkontrolle durch. Dabei führte er einen ungeladenen Revolver mit sich. Nach der Kontrolle entschied der Antragssteller sich, zu seinem Augenarzt zu fahren, um ein Rezept abzuholen, obwohl die Arztpraxis nicht auf direktem Weg vom Jagdgebiet zu seinem Wohnort lag. Da der Augenarzt um diese Uhrzeit noch gar nicht geöffnet hatte, fuhr der Antragssteller noch ein wenig weiter zu einem Bäcker, um dort die Wartezeit von etwa 30 Minuten zu überbrücken. Er verstaute den Revolver in einem Rucksack, legte diesen hinter den Fahrersitz auf den Boden und bedeckte ihn mit einer Decke. Nachdem er ausgestiegen war, verspürte der Antragssteller Schmerzen, die auf einen Schlaganfall hindeuteten. Er begab sich zurück zum Auto und wählte den Notruf. Nachdem dieser angekommen war, machte er einen Sanitäter auf den Revolver aufmerksam und bat ihn, diesen der Polizei zu übergeben. Der Revolver wurde jedoch mit in das Krankenhaus verbracht, wo ihn die Polizei entgegennahm.

Im Dezember 2022 erklärte die zuständige Behörde, nach Anhörung des Antragsstellers, schließlich den Jagdschein für ungültig und ordnete neben der Einziehung des Scheins auch die sofortige Vollziehbarkeit an. Der Antragssteller habe sich als unzuverlässig herausgestellt, nachdem er gegen § 36 WaffG in Verbindung mit § 13 AWaffV verstoßen habe. Er habe die Waffe nicht ausreichend gegen Abhandenkommen oder unbefugte Ansichnahme gesichert.

Der Antragssteller reichte hiergegen Klage und den vorliegend zu entscheidenden Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners habe er nicht gegen die Aufbewahrungsvorschriften verstoßen. Ein Jäger dürfe im Zusammenhang mit der Jagdausübung eine Waffe auch in einem unverschlossenen Behältnis mit sich führen. Dies sei hier der Fall gewesen, da der Antragssteller sich auf dem Weg von der Jagd nach Hause befunden habe. Der Umweg zum Augenarzt sei allenfalls so gering, dass er als unerheblich zu betrachten sei. Zudem sei der Antragssteller juristischer Laie und kenne sich mit einzelnen Begriffen nicht ausreichend aus um sie richtig einordnen zu können.

Der Antragsgegner hielt dem entgegen, dass sich der Vorgang gerade nicht im direkten Zusammenhang mit der Jagdausübung stattgefunden habe. Um vom Jagdgebiet zum Augenarzt und anschließend wieder nach Hause zu gelangen hätte der Antragssteller mehr als die doppelte Zeit, nämlich etwa 29 Minuten, aufwenden müssen, als wenn er direkt vom Jagdgebiet nach Hause gefahren wäre. Damit sei die Fahrt zum Augenarzt als Umweg anzusehen, der so erheblich sei, dass die Fahrt insgesamt als eigener Vorgang zusehen sei und der Antragssteller die Waffe hätte sichern müssen.


Was entschied das Gericht?


Das Verwaltungsgericht Stade sah den Antrag als zulässig, aber unbegründet an.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genüge den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO. Der Anspruchsgegner habe das nötige besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung ausreichend begründet.


Zur Entscheidung:


Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei auch nicht § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen. Hier sei eine zwischen dem Vollziehungsinteresse der Behörde einerseits und dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragsstellers abzuwägen. Bei dieser Abwägung käme es auf die Erfolgsaussichten der Hauptsache, also dem Klageverfahren, an. Denn würde in der Hauptsache festgestellt werden, dass der Verwaltungsakt zulasten des Antragsstellers rechtswidrig sei, so könne es an diesem schon kein Vollziehungsinteresse geben. Sei der Verwaltungsakt jedoch nicht rechtswidrig, so sei weiter abzuwägen, ob ein besonderes öffentliches Interesse an der Vollziehung vorliegt.

Im vorliegenden Fall ging das Gericht nach einer summarischen Prüfung des Falls davon aus, dass der Antragssteller in der Hauptsache unterliegen würde und der Verwaltungsakt rechtmäßig sein.


Beurteilung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit im konkreten Fall


Rechtsgrundlage für Ungültigkeitserklärung und Einziehung des Jagdscheins sei § 18 Satz 1 BJagdG in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG und § 5 WaffG. Gemäß § 18 Abs. 1 BJagdG sei die Behörde in den Fällen des § 17 Abs. 1 BJagdG dazu verpflichtet, einen Jagdschein für ungültig zu erklären, wenn nach Ausstellung des Scheins Tatsachen bekannt würden, die eine Versagung rechtfertigten. § 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG verweise wiederrum darauf, dass ein Jagdschein nach § 15 Abs. 7 BJagdG nur an Personen ausgestellt werden darf, die im Sinne des § 5 WaffG als zuverlässig gelten. Dies bedeute, dass in Fällen, in denen sich eine Person als unzuverlässig im Sinne des § 5 WaffG herausstelle, der Jagdschein für ungültig erklärt werden und dessen Einziehung angeordnet werden darf.

So sei es im vorliegenden Fall gewesen. Zweck des Waffengesetzes sei es, die Allgemeinheit vor den Gefahren eines unsachgemäßen Gebrauchs einer Waffe zu bewahren. Vor diesem Hintergrund seien bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit alle gegebenen Tatsachen abzuwägen und eine Prognose zu erstellen. § 5 Abs. 1 Nr. 2 b) WaffG besagt dabei, dass Personen als unzuverlässig zu beurteilen seien, wenn sie Waffen oder Munition nicht sorgfältig verwahrten.


Negativprognose


Im gegebenen Fall hat das Gericht eine negative Prognose bejaht. Erlaubnispflichtige Waffen, so wie es der vom Antragssteller mitgeführte Revolver ist, seien gemäß § 36 Abs. 5 WaffG in Verbindung mit § 13 Abs. 1 und 2 AWaff in einem besonders gesicherten Behältnis aufzubewahren

Dies sei bei einer Aufbewahrung in einem Rucksack nicht gegeben gewesen. Das Gericht stellte dabei klar, dass es nicht darauf ankommt, ob der Antragssteller durch die plötzlich auftretenden Schmerzen unverschuldet einen Kontrollverlust erlitten hat. Er habe den Revolver bereits vor Eintritt der Schmerzen im Rucksack verstaut, um zum Bäcker zu gehen. Dies sei der für die Entscheidung relevante Zeitpunkt. Einen Ausnahmefall nach § 13 Abs. 9 AWaffV, in welchem der Antragssteller den Revolver etwa zur Jagd hätte, unverschlossen mit sich führen dürfen, verneinte das Gericht. 

Erforderlich hierzu wäre nämlich ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen Jagd und der gelockerten Verwahrung des Revolvers gewesen. Zwar würden kleinere „Abstecher“ etwa zum Tanken oder zu Post diesen unmittelbaren Zusammenhang nicht grundsätzlich durchbrechen. 

Dies gelte jedoch nur, wenn diese „Abstecher“ direkte Verlängerungen auf dem Hin- oder Rückweg seien. Der Antragssteller sei nach deR Jagd jedoch nicht in Richtung seiner Wohnung gefahren, sondern in die umgekehrte Richtung. Er habe im Vergleich zum Rückweg eine 2,5fache Wegstrecke in Kauf genommen. Dies sah das Gericht als wesentliche Unterbrechung zwischen Jagdsituation und Rückweg an. Dabei sei dem Antragssteller rechtlich richtiges Verhalten sowohl möglich als auch zumutbar gewesen. Wäre er erst nach Hause gefahren, um die Waffe sicher zu verstauen und dann zum Augenarzt, hätte er zwar mehr Zeit in Anspruch nehmen müssen. Gründe der Bequemlichkeit oder Praktikabilität stünden nicht der Unmöglichkeit gleich.


Einmaliger Verstoß genügt


Sodann stellte das Gericht klar, dass auch schon ein einmaliger Verstoß der Aufbewahrungsvorschriften eine negative Prognose begründen könnte. Dies sei mit der hohen Gefährlichkeit von Waffen und damit verbundenen Wichtigkeit der sicheren Aufbewahrung verbunden. Gerade die Aufbewahrungsvorschriften hätten einen überragenden Stellenwert für das Interesse der Allgemeinheit. Erschwerend kam für das Gericht vorliegend hinzu, dass der Antragssteller durchgängig die Ansicht vertreten hat, er habe sich rechtlich einwandfrei verhalten und keine Einsicht gezeigt hat. Am Ergebnis ändere auch nichts, dass der Antragssteller rechtlicher Laie sei. Als Jäger und Jagdpächter, insbesondere im Hinblick auf die langjährige Erfahrung des Antragsstellers, seien von ihm Kenntnisse der in diesem Rechtsgebiet relevanten Vorschriften zu erwarten.


Kein Ermessen durch die Behörde


Der Antragssteller sei gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 b) WaffG absolut unzuverlässig. Da diese Vorschrift kein Ermessen einräume, sei auch nicht auf Ermessensfehler- oder nichtgebrauch zu kontrollieren. Zudem bejahte das Gericht das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit. Dies überwiege das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers.


Was ergibt sich daraus?


Das Verwaltungsgericht Stade arbeitet im vorliegenden Urteil die überragende Bedeutung des Waffenrechts, insbesondere der Aufbewahrungsvorschriften heraus. Die hohe Gefährlichkeit, die gerade von erlaubnispflichtigen Waffen für Leib und Leben des Menschen ausgeht, rechtfertigt eine restriktive Auslegung der Vorschriften. Ausnahmegelungen spielen sich nur in einem kleinen, strickt vorgegebenen Rahmen ab. Das führt dazu, dass auch nach jahrzehntelangem Besitz eines Jagdscheins schon ein einmaliger Verstoß ausreichen kann die Erlaubnis zu entziehen.


LINDEMANN Rechtsanwälte

1891

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