Kann ich bei befristeter Erhöhung der Arbeitszeit auf eine Vollzeitstelle klagen?

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Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Bert Howald berichtet über eine wichtige Entscheidung, die das Landesarbeitsgericht München vor einigen Wochen gefällt hat. Danach war die vorübergehende Erhöhung der Wochenarbeitszeit einer Organistin im angestellten Kirchendienst unwirksam. Diese habe dem Beschäftigten die Grundlage für seine längerfristige Lebensplanung genommen.

Landesarbeitsgericht München, Urteil vom 20.10.2020, gerichtl. Akzenz. 6 Sa 672/20

Die in der Erhöhung der Arbeitszeit liegende Befristung einzelner Arbeitsbedingungen von 3,5 auf 39 Stunden habe eine nach §§ 305 ff. BGB zu überprüfende Allgemeine Geschäftsbedingung dargestellt, weil diese nicht im Einzelnen ausgehandelt worden sei. Diese Erhöhung sei unwirksam, da sie den Beschäftigten unangemessen benachteiligt habe. Im Rahmen der zu treffenden Abwägung seien die Interessen beider Vertragsparteien zu berücksichtigen. Das Interesse des Arbeitgebers überwiege, wenn aus denselben Gründen auch ein selbstständiger befristeter Arbeitsvertrag wirksam hätte abgeschlossen werden können.

Wie verhielt es sich im vorliegenden Fall?

Dazu erklärt Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Bert Howald:

Gegen die Befristung geklagt hatte eine diplomierte Kirchenmusikerin A., die seit 01.07.2016 bei einer Kirchengemeinde als 2. Organistin B. in Dienst stand. Die Arbeitszeit belief sich auf 3,5 Stunden pro Woche. Dann wurde mit der A. wegen Erkrankung der 1. Organistin, der B., am 25.08.2017 ein Änderungsvertrag geschlossen, dieser sah eine Erhöhung der Arbeitszeit auf 39 Wochenstunden vor, und zwar bis zur Wiederaufnahme der Tätigkeit der 1. Organistin, längstens aber bis 31.08.2018. Da die 1. Organistin länger erkrankt war, verlängerten die Parteien diese Abmachung dann im Juli 2018 bis zu deren Wiederaufnahme der Tätigkeit und längstens bis 31.05.2019. Die B. erhielt in der Folgezeit einen Rentenbescheid. Es stand also fest, dass B. nicht wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren würde. Weitere Kirchenmusiker erklärten, sie würden ebenfalls in Rente gehen, so dass die Parteien aufgrund einer weiteren Vereinbarung im Oktober vereinbarten, dass die A. aufgrund „betrieblichen Bedarfs“ bis längstens 31.05.2019 mit erhöhter Arbeitszeit arbeiten sollte.

Bis dahin hoffte die Kirchengemeinde, andere Kirchenmusiker zu verpflichten, so dass der Bedarf an erhöhter Arbeitszeit der A. bis dahin wegfallen würde. Der Arbeitgeber schrieb die Stelle der B., der 1. Organistin, zur Neubesetzung aus. Die A., die sich auf diese Stelle bewarb, erhielt die Stelle nicht, sondern ein externer Bewerber.

Daraufhin erhebt die A. Klage gegen die Kirchengemeinde mit dem Ziel, dauerhaft mit 39 Stunden/Woche beschäftigt zu werden. Das Arbeitsgericht Regensburg gibt ihr recht, der Arbeitgeber legt hiergegen Berufung ein.  

Wie entscheidet das Landesarbeitsgericht über die Berufung des Arbeitgebers?

Dazu berichtet Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Bert Howald:

Das Landesarbeitsgericht hebt die Entscheidung nicht auf, sondern bestätigt sie. Das Arbeitsverhältnis besteht damit als (unbefristetes) Vollzeitarbeitsverhältnis.

Die weiter befristete Änderung der Arbeitszeit von 3,5 auf 39 Wochenstunden sei nicht wirksam.

Sei die befristete Erhöhung zweck- und zeitbefristet abgeschlossen worden (hier: bis zur Wiederaufnahme der Tätigkeit der 1. Organistin, längstens bis 31. Mai 2019) so ende die Befristungsabrede mit Eintritt der 1. Organistin in den Ruhestand. Ab diesem Zeitpunkt liege kein "befristeter" Vertretungsbedarf mehr vor. Schließe die Arbeitgeberin jedoch trotz des Ruhestandseintritts der 1. Organistin einen weiteren Änderungsvertrag mit einer befristeten Erhöhung der Wochenarbeitszeit "bis 31. Mai 2019", so bestehe für diesen kein (befristeter) Vertretungsbedarf, weswegen er unangemessen benachteiligend sei. Sie nehme der Arbeitskraft damit die sozialpolitisch erwünschte Grundlage für eine längerfristige Lebensplanung. 

Was ist Kern dieser Entscheidung, was können wir der Entscheidung als Grundsatz entnehmen, der auch in anderen Fällen maßgeblich sein dürfte?

Dazu erläutert Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Bert Howald:

Zunächst ist von entscheidender Bedeutung für die Kontrolle von einzelnen befristeten Arbeitsbedingungen wie hier der vorübergehenden Heraufsetzung der Arbeitszeit, dass es sich um einen erheblichen Eingriff in den Arbeitsvertrag handelt. Eine Heraufsetzung von 3,5 Wochenstunden auf 39 Stunden ist ohne Zweifel ein erheblicher Eingriff.

Das liegt, so Dr. Bert Howald, laut Rechtsprechung an der damit verbundenen „erheblichen Veränderung der Einkünfte des Arbeitnehmers“ und der „Bindung seiner Arbeitskraft“. Für die Lebensplanung des Arbeitnehmers ist „regelmäßig die Höhe des von ihm erzielten und zu erzielenden Einkommens maßgebend, was wiederum u. a. vom Umfang seiner Arbeitszeit abhängt“. Das Interesse eines Arbeitnehmers an der unbefristeten Vereinbarung über den Umfang der Arbeitszeit sei umso mehr beeinträchtigt, je größer der Umfang der vorübergehenden Arbeitszeitaufstockung sei. Dann sei für den Arbeitnehmer, dessen Arbeitszeit befristet erhöht werde, der „Lebensstandard nicht an einem mit weitgehender Sicherheit kalkulierbaren, in etwa gleichbleibenden Einkommen auszurichten“. Zudem sei die befristete, jedenfalls die erhebliche befristete Aufstockung der Arbeitszeit der Sache nach kaum vom Abschluss eines zusätzlichen befristeten Arbeitsvertrags zu unterscheiden, welcher einer unmittelbaren Befristungskontrolle nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz unterfiele. Jedenfalls bedürfe die Befristung der Arbeitszeiterhöhung in einem erheblichen Umfang „besonderer berechtigter Belange auf Arbeitgeberseite“. An denen fehle es, wenn ein gesonderter Vertrag über die Arbeitszeitaufstockung insgesamt nicht zulässig hätte befristet werden können.

Der Einwand des Arbeitgebers, ein vollständiger Arbeitsvertrag hätte ja nach § 14 Absatz 2 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes auch mit der A. abgeschlossen werden können, ohne dass es in diesem Fall auf berechtigte Belange des Arbeitgebers angekommen wäre, also ohne Sachgrund für eine Befristung, ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend feststellt, im Rahmen der Inhaltskontrolle der Befristung einzelner Arbeitsbedingungen gerade nicht von Bedeutung. Vielmehr hätte der Arbeitgeber hier einen Sachgrund in Entsprechung von § 14 Absatz 1 des Teilzeit- und Befristungsgesetzes haben müssen, damit die letzte Befristung der Heraufsetzung der Arbeitszeit wirksam gewesen wäre.

Diesen Sachgrund sieht das Landesarbeitsgericht nach Eintritt der 1. Organistin in den Ruhestand gerade nicht mehr.

Bei einer Falle Nichtwiederaufnahme der Tätigkeit durch die B., bestehe zwar der Bedarf fort, die nunmehr unbesetzte Vollzeitstelle „zu vertreten“. Es handle sich dann aber nicht mehr um einen „befristeten“ Vertretungsbedarf, sondern um einen unbefristeten. Die Befristungsabrede sei daher bereits mit dem Ruhestandseintritt der 1. Organistin B. obsolet geworden.

Was folgt nun aus dieser Entscheidung?

Dazu meint Rechtsanwalt und Fachanwalt Dr. Bert Howald: Nach meiner persönlichen Überzeugung ist Vorsicht geboten: Die Kontrolle der befristeten Heraufsetzung der Arbeitszeit führt nicht immer zu einer unbefristeten Erhöhung der Arbeitszeit, sondern, wie das Gericht hier klar zum Ausdruck bringt, scheitert eine Befristung regelmäßig nach den Maßstäben des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, wenn die Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit „erheblich“ ist und der Arbeitgeber keine sachliche Rechtfertigung für die Befristung hat, etwa weil ein dauerhafter Bedarf vorliegt. Eine Arbeitszeiterhöhung in erheblichem Umfang liegt in der Regel vor, wenn sich das Aufstockungsvolumen auf mindestens 25 % eines entsprechenden Vollzeitarbeitsverhältnisses beläuft.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23.03.2016 – gerichtl. Aktenz. 7 AZR 828/13

Dr. Bert Howald

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Gaßmann & Seidel Rechtsanwälte PartmbB



Foto(s): Gerald Gaßmann

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