Keine generelle Pflicht des Unfallgeschädigten zur Inanspruchnahme der eigenen Vollkaskoversicherung

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 17.11.2020, Az.: VI ZR 569/19, entschieden, dass der Geschädigte eines Verkehrsunfalls grundsätzlich nicht dazu verpflichtet ist, die eigene (Voll-)Kaskoversicherung auf Behebung des Unfallschadens in Anspruch zu nehmen, um die Zeit des Nutzungsausfalls und damit die Höhe der diesbezüglichen Ersatzverpflichtung des Schädigers und dessen Haftpflichtversicherers möglichst gering zu halten.

Sachverhalt:

Die unfallgeschädigte und bezüglich ihres Pkw´s vollkaskoversicherte Klägerin begehrte von dem beklagten Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers weitere Nutzungsausfallentschädigung anlässlich eines Verkehrsunfalls. Der Unfall ereignete sich am 16.2.2017. Die Klägerin erteilte noch am Unfalltag den Auftrag zur Erstellung eines Schadensgutachtens; das Gutachten lag am Folgetag vor. Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.2.2017 meldete die Klägerin ihre Ansprüche bei der Beklagten an, zugleich und erneut mit weiterem Schreiben vom 6.3.2017 wies sie die Beklagte darauf hin, aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse nicht in der Lage zu sein, die Kosten für die notwendige Reparatur ihres bei dem Unfall beschädigten Fahrzeugs vorzufinanzieren. Ebenfalls am 6.3.2017 forderte die Klägerin ihren Kaskoversicherer zur Regulierung auf. Am 20.3.2017 erteilte die Klägerin den Reparaturauftrag; ihr Fahrzeug wurde daraufhin vom 20. bis zum 29.3.2017 repariert. Im Rahmen der vorgerichtlichen Regulierung des Unfallschadens erstattete die Beklagte der Klägerin einen Nutzungsausfallschaden für 15 Tage (zehn Tage Reparaturdauer zuzüglich zwei Tage für die Beauftragung und Erstellung des Gutachtens zuzüglich drei Tage Überlegungsfrist). Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin den Ersatz von Nutzungsausfallschaden für weitere 27 Tage (Gesamtzeitraum 16.2. bis 29.3.2017 = 42 Tage abzüglich regulierter 15 Tage) zu je 43 Euro. Sowohl in I. Instanz (AG Berlin-Mitte), als auch in II. Instanz (LG Berlin), blieb die Klägerin erfolglos. Die Revision der Klägerin vor dem BGH war indes erfolgreich.

Entscheidung:

Im Gegensatz zu AG und LG verneinte der BGH einen Verstoß der Klägerin gegen die ihr obliegende Schadenminderungspflicht, indem diese ihre Kaskoversicherung nicht gleich nach Erstellung des Sachverständigengutachtens in Anspruch genommen hat. Es sei, so der BGH, grundsätzlich Sache des Schädigers, die Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Geschädigte hat Anspruch auf sofortigen Ersatz und ist unter Umständen berechtigt, grundsätzlich aber nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen. Nach diesen Maßstäben ist der Geschädigte eines Verkehrsunfalls grundsätzlich nicht verpflichtet, den eigenen Kaskoversicherer auf Behebung des Unfallschadens in Anspruch zu nehmen, um die Zeit des Nutzungsausfalls und damit die Höhe der diesbezüglichen Ersatzverpflichtung des Schädigers und dessen Haftpflichtversicherers möglichst gering zu halten. Schließlich, so der BGH weiter, sei es nicht Sinn und Zweck der Kaskoversicherung, den Schädiger zu entlasten. Der Versicherungsnehmer einer Kaskoversicherung erkaufe sich den Versicherungsschutz vielmehr für die Fälle, in denen ihm ein nicht durch andere zu ersetzender Schaden verbleibt.

Bedeutung für die Praxis:

Grundsätzlich zeigt dieser Fall einmal mehr, dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes selbst im Falle eines gänzlich unverschuldeten Unfalls ratsam ist. Die Kosten hierfür muss im Übrigen gleichsam der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners tragen. Zudem erhält der Geschädigte mit der vorbenannten Entscheidung ein weiteres „Druckmittel“ gegenüber dem Haftpflichtversicherer, um eine schnellstmögliche Regulierung zu erreichen. Dabei ist es ratsam, den Versicherer -wie im streitgegenständlichen Fall- darauf aufmerksam zu machen, dass man zur Beseitigung des Schadens auf eine vorherige Regulierung des Versicherers angewiesen ist. Im Übrigen: Im vorliegenden Fall hat die Unfallgeschädigte die Zahlung von Nutzungsausfallentschädigung für den Zeitraum geltend gemacht, in der ihr das Fahrzeug unfallbedingt nicht zur Verfügung stand. Gleiches dürfte indes auch für den Fall geltend, dass ein Unfallgeschädigter für diesen Zeitraum einem Mietwagen in Anspruch nimmt und die Erstattung der Mietwagenkosten begehrt.

Martin Volkmann

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Fachanwalt für Versicherungsrecht


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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