Leitfaden zur Unfallregulierung

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Dieser Leitfaden beschäftigt sich mit den rechtlichen Aspekten der Unfallregulierung nach einem Verkehrsunfall. Hinweise über das richtige Verhalten direkt an der Unfallstelle (Aufstellung Warndreieck, Organisation Abschleppung, Verständigung Polizei, Personalienaustausch usw.) erhalten Sie unter anderem auf adac.de.


1. Vorteile der Beauftragung eines Rechtsanwalts für Verkehrsrecht


Die Einschaltung eines Anwalts zur Wahrnehmung der eigenen Interessen bei
unverschuldeten oder teilverschuldeten Unfällen ist letztlich immer sinnvoll. Die beauftrage Anwaltskanzlei nimmt Ihnen den bürokratischen Aufwand (Schriftverkehr) ab und setzen Ihre Ansprüche gegenüber der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners durch.

Anwaltlich nicht vertretenen Geschädigten werden die Haftpflichtversicherungen so gut wie
nie Schadensersatz in vollem Umfang und voller Höhe leisten. Wurde der Unfall vom Gegner
verschuldet, muss die Versicherung des Gegners auch die Anwaltskosten in voller Höhe
übernehmen. Die anfallenden Anwaltskosten sind dann Teil des Unfallschadens und die anwaltliche Tätigkeit ist für den Geschädigten kostenlos.


2. Feststellung der Schadenshöhe (Kostenvoranschlag oder Gutachten)

Oft bietet Haftpflichtversicherung des Schädigers als vermeintliche als Hilfestellung die Einholung eines Schadensgutachtens durch einen eigenen Gutachter an. Auf dieses Angebot sollte man sich als Geschädigter nicht einlassen. Das Bestreben der gegnerischen Versicherung ist es stets den Schaden möglichst herunterzurechnen.

So gehen Sie richtig vor: Bei Schäden unterhalb von 1.500,- € ist die Einholung eines
Kostenvoranschlages einer Kfz Werkstatt in der Regel ausreichend. Beauftragen Sie bei
einem Kleinschaden dennoch einen Gutachter, dann verstoßen Sie gegen die
Schadensminderungspflicht und die Versicherung muss die Gutachterkosten nicht
übernehmen.

Bei Schäden über 1.500,- € ist die gegnerische Haftpflichtversicherung stets zur Übernahme
der Kosten des von Ihnen ausgewählten Gutachters verpflichtet. Sind sie unsicher ob der
Schaden über oder unter 1.500,- € liegt, so empfehlen wir zunächst die Einholung eines
Kostenvoranschlag

Ein Gutachten kann auch dann erforderlich werden, wenn ein Totalschaden im Raum steht.


3. Anspruch auf Erstattung des Fahrzeugschadens

Liegt kein wirtschaftlicher Totalschaden vor, d.h. liegen die Reparaturkosten unter dem Wert
(=Wiederbeschaffungswert) des verunfallten Fahrzeugs, so haben Sie die Wahl das
Fahrzeug entweder auf Kosten der gegnerischen Haftpflichtversicherung in einer
Fachwerkstatt reparieren zu lassen, oder sich den Netto-Betrag des Gutachtens/
Kostenvoranschlages auszahlen zu lassen (sog. fiktive Abrechnung). Bei der Auszahlung
kann jedoch nur der Netto-Betrag des Gutachtens beansprucht werden. Liegen die
Reparaturkosten weniger als 30% über dem Wiederbeschaffungswert, dürfen Sie das
Fahrzeug trotzdem reparieren lassen.

Achtung: Gelingt eine vollständige Reparatur zu einem Preis unterhalb des Gutachtens,
sollte diese Rechnung nicht der Haftpflichtversicherung vorgelegt werden, da dann nur der
geringere Reparaturbetrag von der Versicherung zu zahlen ist.

Bei übersteigen der 130% Grenze erfolgt die Abrechnung zwingend auf
Totalschadensbasis, d.h. nach der Formel „Wiederbeschaffungswert ./. Restwert“. Das
beschädigte Fahrzeug muss dann unrepariert zum Restwert verkauft werden. Sie dürfen das Pkw nach Ermittlung des Restwertes in dem von Ihnen eingeholten Gutachten zum dem im Gutachten genannten Wert verkaufen. Dies ist unproblematisch möglich. Präsentiert Ihnen die gegnerische Haftpflichtversicherung einen Käufer der einen höheren Kaufpreis bietet und den verunfallten Pkw auch bei Ihnen abholt, dann müssen Sie sich diesen Restwert anrechnen lassen. Dies jedoch nur dann, wenn Sie den Pkw nicht bereits vor Eingang des Agebotes der Versicherung verkauft haben.

4. Anspruch auf Mietwagenkosten oder Nutzungsersatz

Während der Dauer der Reparatur oder bei einem Totalschaden (für Zeitraum von 14 Tagen
nach Kenntnis des Vorliegens eines Totalschadens) können Sie auf Kosten der gegnerischen
Haftpflichtversicherung einen Mietwagen nehmen.


Wichtig: Mieten Sie das Fahrzeug entweder direkt bei Ihrer Reparaturwerkstatt an, oder
informieren Sie die Mietwagenfirma explizit darüber, dass es sich um die Anmietung eines
Unfallersatzwagens handelt. So stellen Sie sicher, dass Sie ein Fahrzeug der korrekten
Klasse erhalten. Wird Ihnen dann fälschlich von der Mietwagenfirma ein zu hochwertiges/
teures Fahrzeug als Mietwagen zur Verfügung gestellt, so muss nach der Rechtsprechung
die Mietwagenfirma auf die überhöhten Kosten verzichten und darf diese Kosten nicht an Sie
weiterreichen.


5. Anspruch auf Schmerzensgeld

Werden Sie oder Beifahrer von Ihnen bei dem Unfall verletzt, so empfehlen wir einen Arzt zu
konsultieren. Dies natürlich vor allem um die Diagnose und Versorgung sicherzustellen, aber
darüber hinaus auch um die Verletzungen gegenüber der Haftpflichtversicherung
nachweisen zu können. Wir fordern für Sie dann Atteste von den behandelnden Ärzten an und gleichen die Diagnosen mit einer Rechtssprechungsdatenbank ab, um das Schmerzensgeld möglichst
hoch zu beziffern und anschließend das Schmerzensgeld mit der Versicherung zu
verhandeln.


6. Anspruch auf Haushaltsführungsschaden

Wurden Sie verletzt und fallen daher als Arbeitskraft im Haushalt aus, steht Ihnen ein
Haushaltsführungsschaden zu. Diese Schadensposition wird von vielen Kanzleien oft
stiefmütterlich behandelt, kann aber durchaus ins Gewicht fallen. So geht man gemäß einer
vor Gericht anerkannten Tabelle aus „Der Haushaltsführungsschaden“ von Frank Pardey
davon aus, dass in einem 2-Personen-Haushalt je Woche ein Aufwand von 33 Stunden
anfällt. Hat man sich mit seinem Partner vor dem Unfall also die Haushaltsführung geteilt,
sind wöchentlich 16,5 Stunden zu entschädigen.


Wichtig: Diese Entschädigung muss nicht nur dann bezahlt werden, wenn eine Haushaltshilfe angestellt wird. Es erfolgt auch ohne Anstellung einer Haushaltshilfe eine pauschale Vergütung pro entfallene Arbeitstunde im Haushalt im Bereich zwischen 8,50 € und 12,- € (je nach Gerichtsbezirk). 


7. Sonstige Schadenspositionen

Zu den weiteren erstattungsfähigen Schadenspositionen gehören: Anwaltskosten,
Abschlepprechnung, Gutachter, Ab- und Anmeldung bei einem Totalschaden, Fahrtkosten zu
Ärzten, Werkstätten usw., Pauschale für Telefon oder Porto.


8. Kürzungen der Haftpflichtversicherungen

Fast immer kürzen die Versicherungen die eingereichten Gutachten und Rechnungen.
Unsere Aufgabe ist es für unsere Mandanten gegen unberechtigten Kürzungen vorzugehen.
Hier einige gängige Beispiele:


- Die Versicherung präsentiert einen höheren Restwertkäufer
Dadurch vermindert sich der von der Versicherung auszuzahlende Betrag. Aber: Hat
der Geschädigte sein Unfallfahrzeug bereits zum im Gutachten ausgewiesenen
Restwertbetrag veräußert, kommt der Hinweis auf ein höheres Restwertangebot zu
spät. Die Versicherung darf dann nicht das höhere Angebot ansetzen.


- Stundensätze der Werkstätten werden reduziert
Ist das Unfallfahrzeug jünger als 3 Jahre alt, oder wurde es stets in
markengebundenen Fachwerkstätten repariert und gewartet, so müssen die
Stundenverrechnungssätze der markengebundenen Werkstätten von der
Versicherung bezahlt werden. Ein Verweis auf günstigere freie Werkstätten ist dann
unzulässigLeitfaden zur Unfallregulierung


- Ersatzteilzuschläge werden abgezogen
Ersatzteilzuschläge sog. UPE-Zuschläge werden von den Werkstätten für das
Vorhalten von Ersatzteilen berechnet. Bei Auszahlung des Schadensbetrages (sog.
fiktive Abrechnung) werden diese Zuschläge oftmals von den Versicherungen
abgezogen. Im hiesigen Gerichtsbezirk sind die UPE-Zuschläge jedoch nach wie vor
als Schadensposition anerkannt und werden von den Gerichten den Geschädigten
zugesprochen.


- Verbringungskosten zur Lackiererei werden abgezogen

Ebenfalls bei fiktiver Abrechnung werden von den Versicherungen zumeist die Kosten
abgezogen, die für die Verbringung des Fahrzeugs zu einer Lackiererei anfallen.
Begründung der Versicherung: Viele Werkstätten verfügen über eine Lackiererei, so
dass diese Kosten nicht immer anfallen. Auch diese Abzüge werden jedoch vor
Gericht meist als unwirksam erachtet, da Gutachter regelmäßig bestätigen, dass die
meisten Werkstätten eben nicht selber lackieren. 

Trotz anwaltlicher Intervention kann natürlich nicht garantiert werden, dass die
Versicherungen (entgegen der Rechtsprechung) die unberechtigten Kürzungen
zurücknehmen. In diesen Fällen bleibt dann nur die Klageerhebung.


9. Besonderheiten bei Teilverschulden


Wendet die Versicherung eine Mitschuld von Ihnen ein, so ist zunächst zu prüfen, ob dieser
Einwand berechtigt ist. Liegt tatsächlich ein Mitverschulden vor, so stellt sich die Frage in
welcher Quote dieses anzurechnen ist. Verfügen Sie über eine Vollkaskoversicherung, so
macht bei Teilverschulden häufig die kombinierte Inanspruchnahme von gegnerischer
Haftpflichtversicherung und eigener Vollkaskoversicherung Sinn („Quotenvorrecht“).


10. Dauer der Regulierung


Oftmals glauben Mandanten ein Unfall sei innerhalb weniger Tage reguliert. Diese
Erwartungshaltung ist unrealistisch. Bei „durchschnittlichen“ Unfällen gesteht die
Rechtsprechung den Versicherungen eine Prüffrist von 4-6 Wochen ab Eingang der
relevanten Schadensunterlagen zu. Bei komplexen Sachverhalten verlängert sich diese Zeit
auf bis zu 3 Monate. In der Regel sollte man daher mit einer Regulierungsdauer von
durchschnittlich 2 Monaten rechnen. Vorher wäre eine Klageeinreichung riskant. Bei
verfrühter Klage läuft man Gefahr auf Gerichts- und Anwaltskosten „sitzen“ zu bleiben, wenn der Anspruch dann im Prozess von der Versicherung sofort anerkannt wird.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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