Muss ich als Zeuge bei der Polizei aussagen?

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Im August 2017 wurden mehrere Vorschriften der Strafprozessordnung geändert. Häufig ist zu lesen, Zeugen müssten nun bei entsprechender Vorladung stets zur Polizei gehen und dort aussagen. In diesem Beitrag erklärt Strafverteidiger Dr. Maik Bunzel aus Cottbus, was sich im Vergleich zur bisherigen Rechtslage wirklich geändert hat. Das Wichtigste schon vorab: In der Regel muss auch heute niemand einer Vorladung durch die Polizei Folge leisten – weder als Beschuldigter noch als Zeuge.

Bisherige Rechtslage

Bislang galt: Wer eine Vorladung von der Polizei erhalten hat, konnte sie ignorieren. Weder der Beschuldigte noch der Zeuge musste zur Vernehmung erscheinen. Anders verhielt es sich, wenn es sich um eine Ladung zur richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Vernehmung handelte. Zu einer solchen Vernehmung musste man sowohl als Beschuldigter als auch als Zeuge hingehen.

Neue Rechtslage

Die Neufassung des § 163 Abs. 3 Satz 1 der Strafprozessordnung lautet: Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt. Wichtig ist der letzte Halbsatz: Es muss einen entsprechenden Auftrag der Staatsanwaltschaft geben. Die Regelung soll die Staatsanwaltschaft im Vergleich zur bisherigen Rechtslage entlasten: Anstelle einer Ladung zur staatsanwaltschaftlichen Vernehmung – bei der dann ein Staatsanwalt die Vernehmung selbst durchführen musste – kann nun die Polizei beauftragt werden, ebendiese Vernehmung allein durchzuführen.

Hiervon zu unterscheiden ist die Vorladung eines Zeugen durch die Polizei ohne Einbindung der Staatsanwaltschaft. Hier hat sich durch die neue Rechtslage nichts geändert: Gibt es keinen Auftrag der Staatsanwaltschaft, so gilt auch keine Pflicht zum Erscheinen für Zeugen. In der Praxis ist dies der absolute Regelfall, denn die meisten Ermittlungsverfahren werden bis zum Abschlussbericht ausschließlich durch die Polizei bearbeitet.

Generelle Vernehmungsaufträge sind rechtswidrig

Besonders zu beachten ist, dass der Staatsanwaltschaft auch nach neuem Recht die „Gesamtverantwortung für eine ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens“ obliegt – so steht es in der Gesetzesbegründung. Die Staatsanwaltschaft hat deshalb einzelfallbezogen über die Pflicht zum Erscheinen eines Zeugen bei der polizeilichen Vernehmung zu entscheiden. 

Hier hat die Staatsanwaltschaft etwa zu prüfen, ob der Zeuge – wie so häufig – evtl. schon nach Aktenlage faktisch Beschuldigter ist oder im Laufe der Vernehmung zum Beschuldigten werden könnte. In solchen Fällen ist ein Vernehmungsauftrag rechtswidrig. Ebenso rechtswidrig sind daher generelle Ermächtigungen für die Polizei etwa des Inhalts, in jedem Ermittlungsverfahren alle in Betracht kommenden Zeugen „im Auftrag der Staatsanwaltschaft“ zu vernehmen. Jeder Ladung durch die Polizei muss vielmehr ein einzelfallbezogener Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegen – dies steht auch im Abschlussbericht der Expertenkommission zur besagten Änderung der Strafprozessordnung.

Was tun, wenn die Polizei das neue Recht falsch anwendet?

Nicht auszuschließen ist, dass Polizeibehörden Zeugen – ungeachtet des Rechtslage – kraft generellen Auftrages der Staatsanwaltschaft vorladen und zur Vernehmung abholen, wenn der Vorladung nicht gefolgt wurde. Wer in diese Situation gerät, der sollte Folgendes wissen: Auch wenn die Vernehmung rechtswidrig erzwungen wird, ist nicht gewiss, dass die Angaben später unverwertbar sind. Das Recht der Beweisverwertungsverbote hierzulande ist komplex und oftmals nicht zum Vorteil des Betroffenen.

Wer nichts falsch machen will, sollte deshalb auch in einer durch Vorführung erzwungenen Vernehmung schweigen und stattdessen sofort die gerichtliche Entscheidung gemäß § 163 Abs. 5 der Strafprozessordnung beantragen. Hintergrund: Gemäß § 163 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 der Strafprozessordnung entscheidet die Staatsanwaltschaft, wer Zeuge ist und wer – auch als Zeuge – prozessuale Schweigerechte hat. Auch über Maßregeln bei Weigerung des Zeugen entscheidet die Staatsanwaltschaft. Fehlt es insgesamt an einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft – also am einzelfallbezogenen Auftrag zur Vernehmung – wird spätestens das Gericht dies erkennen und die Maßnahme für rechtswidrig erklären.

Wird zwischenzeitlich der Auftrag der Staatsanwaltschaft nachträglich eingeholt, fehlt es – wenn der Betroffene bereits vorgeführt wurde oder sich die Polizei zur Durchführung der Vernehmung bereits in der Wohnung oder am Arbeitsplatz des Betroffenen aufhält – an einer ordnungsgemäßen Ladung. Hier sollte der Betroffene darauf bestehen, zu einem neuen Termin geladen zu werden. Die Zeit bis zu diesem Termin sollte er ggf. nutzen, um anwaltlichen Rat einzuholen. In vielen Fällen ist es sinnvoll, einen Strafverteidiger als Zeugenbeistand zu wählen und mit diesem zur Vernehmung zu gehen.

Sie haben eine Vorladung als Zeuge erhalten und sind unsicher, ob Sie der Vorladung Folge leisten müssen? Rechtsanwalt Dr. Maik Bunzel aus Cottbus betreut Mandanten im gesamten Bundesgebiet und kann Ihnen helfen.


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