Pflichtverteidigung/Antworten auf häufige Fragen (FAQs)

  • 5 Minuten Lesezeit

Ein Anspruch auf einen Pflichtverteidiger besteht unabhängig von finanziellen Mitteln, wenn eine sogenannte notwendige Verteidigung vorliegt, wie in § 140 StPO geregelt. Eine notwendige Verteidigung liegt insbesondere vor bei Untersuchungshaft, Verhandlungen vor dem Schöffengericht, Landgericht oder Oberlandesgericht, bei Verbrechen mit einer Mindeststrafe von einem Jahr oder bei besonderer Schwere der Tat. Beschuldigte haben das Recht, ihren Pflichtverteidiger selbst zu wählen, um ihre Interessen vertrauensvoll verteidigen zu lassen. Bei Auswahl eines Pflichtverteidigers bei Untersuchungshaft empfiehlt sich eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit einem Strafverteidiger. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren ist auch vor einer möglichen Untersuchungshaft bei geplanter Vernehmung vorgesehen. Eine Kündigung des Pflichtverteidigers durch den Beschuldigten ist im Gegensatz zum Wahlverteidiger nur richterlich möglich. Die Kosten für den Pflichtverteidiger trägt zunächst die Staatskasse und werden im Falle einer Verurteilung dem Verurteilten als Teil der Gerichtskosten auferlegt. Der Artikel betont die Bedeutung der sorgfältigen Auswahl eines Pflichtverteidigers für den Verlauf des Strafverfahrens und ermutigt dazu, dieses Recht bewusst selbst in Anspruch zu nehmen.

Wer hat Anspruch auf einen Pflichtverteidiger?

Anders als bei der aus dem Zivilprozessrecht bekannten Prozesskostenhilfe ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht davon abhängig, ob jemand, der sich einem Strafverfahren ausgesetzt sieht, nicht die finanziellen Mittel hat, um einen Verteidiger zu bezahlen.

Allein entscheidend ist, ob eine sog. notwendige Verteidigung vorliegt. Nur dann, aber dann auch immer, ist die Mitwirkung eines Verteidigers für das Verfahren gesetzlich vorgeschrieben, ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn kein Wahlverteidiger beauftragt wird.

Die Voraussetzungen, wann eine notwendige Verteidigung und damit auch ein Fall der Pflichtverteidigung vorliegt, sind geregelt in § 140 StPO (= Strafprozessordnung).

Danach ist insbesondere dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen,

  • wenn Untersuchungshaft angeordnet wurde,
  • wenn die Hauptverhandlung im 1. Rechtszug vor dem Amtsgericht - Schöffengericht -, Landgericht oder Oberlandesgericht stattfindet,
  • wenn ein Verbrechen vorgeworfen wird, also ein Delikt, welches laut Gesetz mit Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr bestraft wird,
  • wenn zwar kein Verbrechen vorliegt, aber doch eine besondere Schwere der Tat gegeben ist oder eine besonders schwierige Sach- und Rechtslage, welche die Beiordnung eines Strafverteidigers erfordert.

Die Rechtsprechung in Bayern geht davon aus, dass diese Voraussetzungen jedenfalls dann vorliegen, wenn den Beschuldigten im Fall der Verurteilung eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr oder mehr erwartet – auch wenn diese sodann zur Bewährung ausgesetzt wird. Dieses 1 Jahr kann auch dadurch erreicht werden, dass ggfs. der Widerruf einer Bewährungsstrafe droht, welche sich sodann mit der (neuen) Freiheitsstrafe zu 1 Jahr addiert.

Wer wählt den Pflichtverteidiger aus?

Jeder Beschuldigte hat das Recht, sich einen Anwalt seines Vertrauens frei zu wählen. Auch wenn ein Fall der Pflichtverteidigung vorliegt, darf er sich selbst einen Anwalt wählen und er braucht sich diesen nicht durch Gericht oder Staatsanwaltschaft aufzwingen zu lassen.

Dies ist ein elementares Recht des Strafverfahrens, da nur dieses Verfahren existenzielle Eingriffe des Staates in das Leben eines Bürgers zulässt. Damit ein Beschuldigter zumindest eine Person an seiner Seite hat, der er sich voll und ganz anvertrauen kann, die zudem gesetzlich verpflichtet ist, ausschließlich seine Interessen wahrzunehmen, sieht das Gesetz die Möglichkeit für den Beschuldigten vor, sich seinen Strafverteidiger und somit auch einen Pflichtverteidiger selbst wählen zu können.

Wenn ein Angeschuldigter noch keinen Verteidiger hat und ein Gericht der Ansicht ist, dass ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, setzt es dem Angeschuldigten eine Frist zur Benennung eines Verteidigers. Wenn sich innerhalb dieser Frist kein Verteidiger für den Angeschuldigten meldet – entweder als Wahlverteidiger oder mit dem Antrag, als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden – sucht das Gericht einen Anwalt aus und ordnet diesen dem Angeschuldigten als Pflichtverteidiger bei.

Wie wählt man einen Pflichtverteidiger bei Anordnung von Untersuchungshaft aus?

Ein Beschuldigter kann bereits vor dem Termin beim Haftrichter, am besten unmittelbar nach seiner vorläufigen Festnahme, einen Strafverteidiger anrufen und um seinen Besuch bitten, um mit ihm die Übernahme seiner Verteidigung, auch als Pflichtverteidiger, zu besprechen.

Die Anordnung von Untersuchungshaft stellt einen massiven Einschnitt im Leben eines Betroffenen dar und ist mit erheblicher Aufregung und Angst verbunden, sodass sich viele Beschuldigte überfordert fühlen, in der Situation auch noch einen Strafverteidiger zu benennen, insbesondere wenn sie zuvor noch nie etwas mit dem Strafrecht zu tun hatten.

Der Beschuldigte hat daher das Recht, sich eine angemessene Frist einräumen zu lassen, um einen Verteidiger zu benennen. Diese sollte mindestens 10 Tage betragen.

Der Beschuldigte kann dann entweder selbst aus der Haft heraus einen Strafverteidiger anschreiben und um dessen Besuch bitten. Oder er ruft noch vom Gericht aus eine ihm nahestehende Person an und bittet diese, sich in seinem Namen um einen Strafverteidiger zu kümmern, welcher ihn besuchen soll, sodass er mit diesem die Übernahme der Pflichtverteidigung besprechen kann.

Neu:

Der Ermittlungsrichter muss nun bereits einen Pflichtverteidiger beiordnen, wenn vor einer evtl. Untersuchungshaft eine Vernehmung des Beschuldigten geplant ist. Auch in dem Fall darf der Beschuldigte selbst einen Verteidiger benennen. Tut er dies nicht – weil er zu aufgeregt ist, weil er in der Situation überfordert ist – sucht das Gericht einen Verteidiger aus. Der Beschuldigte hat aber das Recht, innerhalb von 3 Wochen die Beiordnung eines anderen Verteidigers zu beantragen, wenn nicht ein wichtiger Grund entgegensteht.

Ist die Kündigung des Pflichtverteidigers möglich?

Nein – im Gegensatz zum Wahlverteidiger, mit welchem ein Beschuldigter durch Vollmachtserteilung einen Vertrag schließt, wird ein Pflichtverteidiger durch eine richterliche Entscheidung beigeordnet. So kann die Beiordnung auch nur durch eine richterliche Entscheidung wieder aufgehoben werden.

Die Vollmacht eines Wahlverteidigers kann ein Beschuldigter jederzeit kündigen. Er braucht dafür nicht einmal Gründe anzugeben.

Wünscht er jedoch, dass die Beiordnung eines Pflichtverteidigers aufgehoben wird, so muss er dies bei Gericht beantragen und nachvollziehbar begründen, weshalb das Vertrauensverhältnis zu dem Pflichtverteidiger derart zerstört ist, dass ihm eine weitere Zusammenarbeit mit diesem nicht mehr zugemutet werden kann. Allein der Umstand, dass ein Beschuldigter nicht mit der Arbeit seines Pflichtverteidigers zufrieden ist, dass dieser ihn zu wenig oder gar nicht in der U-Haft besucht, dass dieser ihn nicht oder nicht ausreichend über den Akteninhalt und den Fortgang des Verfahrens informiert – all dies sind keine Gründe, damit eine Pflichtverteidigung aufgehoben wird. Auch kein Grund ist die Versäumung der durch das Gericht gesetzten Frist, innerhalb derer ein Pflichtverteidiger zu benennen ist.

Wer trägt die Kosten des Pflichtverteidigers?

Ein Pflichtverteidiger erhält Gebühren gem. dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (= RVG). Diese betragen nur einen Teil der gesetzlichen Wahlverteidigergebühren. Er rechnet diese Gebühren gegenüber der Staatskasse ab, welche diese sodann bezahlt.

Dadurch werden diese Gebühren zu einem Teil der Gerichtskosten. Im Fall einer Verurteilung muss der Verurteilte die Kosten des Verfahrens bezahlen. Es werden ihm sodann also die Gerichtskosten durch den Staat in Rechnung gestellt, mithin auch die Pflichtverteidigergebühren.

Ob ein Verurteilter sodann in der Lage ist, diese zu bezahlen, er ggfs. von der Staatskasse Ratenzahlung gewährt bekommt oder mangels Einkommens des Verurteilten die Kosten nicht weiter durch den Staat verfolgt werden, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab.

Fazit

Mit diesem Artikel möchte ich Fragen beantworten, welchen ich in meiner langjährigen Tätigkeit als Strafverteidiger immer wieder begegne.

Wichtig ist mir darüber hinaus, das Bewusstsein eines jeden zu schärfen, der sich einem Strafverfahren ausgesetzt sieht oder ggfs. befürchtet, dass ein solches auf ihn zukommen könnte. Die Wahrnehmung des Rechts, sich seinen Pflichtverteidiger selbst zu wählen, kann wesentlich sein für den gesamten weiteren Verlauf eines Strafverfahrens, insbesondere angesichts des Umstands, dass eine einmal erfolgte Beiordnung eines Pflichtverteidigers nur selten wieder aufgehoben wird.

Niemand sollte sein Recht, sich selbst einen Pflichtverteidiger seines Vertrauens zu wählen, leichtfertig hergeben, niemand sollte es den Behörden und Gerichten, welche die Strafverfolgung gegen ihn betreiben, überlassen, den Verteidiger für ihn auszuwählen.

Bei Vorliegen der Voraussetzungen übernehme ich Verteidigungen auch als Pflichtverteidiger, am Wochenende bin ich dazu über meinen Notdienst zu erreichen.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwältin Claudia Wüllrich

Beiträge zum Thema