„Querulanten“: Geister, die ich rief

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Pflege polarisiert. Sie ist ein kontroverses Thema, zu dem jedermann gern seinen Senf dazu gibt - innerhalb und außerhalb von Einrichtungen, privat wie in der Öffentlichkeit. An dieser Auseinandersetzung beteiligen sich manchmal auch aktuelle oder ehemalige Mitarbeiter mit missionarischem Eifer. Wie können Leitungskräfte mit solchen „Querulanten" umgehen?

 

Wird die Pflege in einer Einrichtung von Außenstehenden kritisiert, können wir sie von unserem Betreuungskonzept meistens doch noch überzeugen. Ist jedoch unter den eigenen Mitarbeitern ein heftiger Dissens über die Art und Weise der Pflege in der Einrichtung entstanden, kann es schwierig werden, den einzelnen oder mehrere darauf einzuschwören, den Anordnungen des Heimleiters oder der Pflegedienstleitung zu folgen. Verhallen die abweichenden Vorstellungen ungehört oder kommt es in diesem Zusammenhang gar zur Trennung von einem Beschäftigten, können die Probleme eskalieren. Unter Umständen muss eine Leitungskraft dann sogar plötzlich den eingeschalteten Medien Rede und Antwort stehen. Das kann fatale Folgen für die Einrichtung haben. Mögliche Schreckensszenarien reichen von einer kleinen „Imagedelle" mit temporären Belegungsfolgen bis hin zu unangemeldeten Überprüfungen durch den MDK oder die Heimaufsicht mit unabsehbaren Konsequenzen.

Solche Situation lassen sich vermeiden, wenn man sich früh genug mit den folgenden wesentlichen Problemkreisen beschäftigt:

1. Wie muss ich meine Mitarbeiter führen, damit es nicht zu Querelen kommt?

2. Welche Möglichkeiten habe ich, rechtskonform steuernd einzugreifen?

3. Wie kann ich eine entgleiste Situation, die unter massiver Medienbeobachtung

steht, wieder deeskalieren?

 

Wie entsteht Querulantentum?

Zuweilen reagieren Beschäftigte in Arbeitsorganisationen störrisch bis querulierend. Aber Vorsicht: Auch wenn „alle" finden, der oder die „spinne" doch nur, greift dieser Hinweis zu kurz. Vorgesetzte, die problematisches Verhalten einfach auf die Psyche des Mitarbeiters schieben, zeigen, dass sie die eigentliche Problematik nicht erkannt haben. Natürlich gibt es Mitarbeiter mit psychischen Problemen, aber der häufigste Grund für Querulantentum dürfte wohl doch der Führungsstil sein.

Leitungskräfte müssen ihren Mitarbeitern transparent machen, warum sie bestimmte Aufgaben wie angeordnet zu erledigen haben. Denn nur manche Beschäftigte folgen Anweisungen „blind", andere denken über ihren Sinn nach. Mag sein, dass gerade führungsschwache Vorgesetzte Mitarbeiter ohne Widerworte „pflegeleichter" finden als die anstrengenden notorischen „Hinterfrager", die oft als „störrisch" erlebt werden. Bleibt es jedoch bei Anweisungen ohne jede Erklärung, tut der „unbequeme" Mitarbeiter irgendwann nur noch das, was er für richtig hält - und der Dissens eskaliert. Das zeigt: Am Anfang des Konfliktes steht meistens ein massives Führungsproblem, das weitere Probleme vorprogrammiert.

Sinnvoller ist es, alle Mitarbeiter dort abzuholen, wo sie mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen stehen. Wer dazu die „Meckerei" in Anregungen ummünzt, nimmt erstens den Mitarbeiter ernst und stärkt sein konstruktives „Mitdenken" - und kann zweitens sein Wissen nutzen. (Gleiches gilt übrigens für externe Kritiker, deren Kritik auch nicht mit abschätziger Haltung abgewehrt werden sollte.) Wer sich dagegen aus „Zeitmangel" nicht mit seinem Gegenüber auseinandersetzt, wird irgendwann schmerzlich erfahren, wie viel Zeit und Energie erst die Reparatur der entstandenen Probleme kostet.

 

Rechtliche „Leitplanken"

Führung heißt für Leitungskräfte also vor allem Kommunikation, gleichwohl sollten sie wissen, in welchem rechtlichen Rahmen sie sich bewegen können.

Arbeitsrecht: Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben Haupt- und Nebenpflichten. Als eine Hauptpflicht muss der Arbeitnehmer seine geschuldete Arbeitsleistung persönlich erbringen und der Arbeitgeber die dafür vereinbarte Vergütung bezahlen. Daneben hat der Arbeitgeber das Recht, durch Weisungen innerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten den Arbeitsprozess zu konkretisieren und die betriebliche Ordnung zu regeln. Willkürliche Maßnahmen darf er nicht treffen; das Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliegt stets einer richterlichen Billigkeitskontrolle. Zu den Nebenpflichten des Arbeitnehmers gehört eine gewisse Loyalität gegenüber seinem Arbeitgeber, auch wenn der Beschäftigte wie jedermann das Recht hat, seine Meinung zu äußern und zu verbreiten. Dieses Recht wird allerdings durch den strafrechtlichen Ehrschutz, also insbesondere das Verbot von Beleidigungen und übler Nachrede, begrenzt.

Die zweite und in der Praxis bedeutsamere Grenze ergibt sich aus den allgemeinen Gesetzen - genauer aus der allgemeinen Rücksichtsnahme und Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers, deren Reichweite allerdings wiederum im Lichte des verfassungsrechtlichen Gewichts der Meinungsfreiheit zu bestimmen ist. Aus dieser Wechselwirkung folgt ein im Einzelfall am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu konkretisierendes Mäßigungsgebot für den Arbeitnehmer, das den Interessen beider Parteien Rechnung trägt. Der Arbeitnehmer muss jedenfalls solche Meinungsäußerungen unterlassen, die den Betriebsfrieden oder Betriebsablauf stören oder beeinträchtigen würden. Hält er sich nicht an diese Regeln, so kann er abgemahnt oder sogar gekündigt werden.

Diese rechtlichen „Leitplanken" bestimmen die Möglichkeiten der Mitarbeiter, ihre Meinung zu äußern. Sie zeigen zugleich, was Vorgesetzte dulden müssen, bzw. wann sie zur Disziplinierung und auch zum Schutze Dritter tätig werden können.

 

Presserecht: Beschäftigte wie Außenstehende können ihre Kritik an Pflegeeinrichtung und deren Vertreter nur innerhalb der in Artikel 5 GG festgelegten Grenzen der Meinungsfreiheit öffentlich vorbringen. Während Mitarbeiter wie erwähnt zusätzlich Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber wahren müssen, sind Externe (zu denen auch ehemalige Mitarbeiter zählen) hier ein ganzes Stück freier. Ihre Äußerung gegenüber Dritten (z.B. in der Presse) muss lediglich als Meinung gekennzeichnet sein.

Wer also auf Krawall gebürstet ist, kann unter dem Meinungsmäntelchen in allen Medien laut und deutlich Pflegeeinrichtung kritisieren. Dann könnte schon morgen in der Zeitung stehen: „Frau X, die jahrelang als Pflegekraft im Altenheim Y tätig war, ist der Meinung, dass man sich dort nicht ausreichend um die Senioren kümmere." Solche Sätze sind rechtlich kaum zu verhindern. Hieße es dagegen: „Das Pflegeheim Y vernachlässigt seine Senioren. Dies wurde nach einem Gespräch mit Frau X deutlich, die Jahrelang Pflegekraft in der Einrichtung war.", dann wäre dies eine unerlaubte Tatsachenbehauptung (der Redaktion). Im Bereich des Art. 5 GG kollidiert meistens der Persönlichkeitsschutz des Verletzten mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung des Schädigers.

Bei der konkreten Abwägung dieser beiden Rechtsgüter sind insbesondere vor dem Hintergrund der Meinungs- und Pressefreiheit Werturteile und Meinungsäußerungen einerseits und Tatsachenbehauptungen andererseits zu unterscheiden.

Bewusst unwahre Tatsachen oder Tatsachen, deren Unwahrheit im Zeitpunkt der Äußerung zweifelsfrei feststeht, fallen nicht unter den Schutz des Art. 5 GG. Wahre Tatsachen hingegen dürfen auch dann verbreitet werden, wenn sie eine Verletzung geschützter Bereiche verursachen. Anders ist es nur, wenn die Verletzung ungleich schwerer wiegt als das Interesse an der Verbreitung dieser Wahrheit oder sich nicht durch ein berechtigtes Interesse in der Öffentlichkeit an dieser Information rechtfertigen lässt. Ist zum Zeitpunkt der Äußerung der Wahrheitsgehalt einer Aussage ungewiss, so ist auch dann, wenn eine Äußerung ehrenrührig ist, in der Regel eine Güterabwägung vorzunehmen, wenn es um eine Angelegenheit geht, die die Öffentlichkeit besonders berührt oder interessiert.

Hier hat der Äußernde (in diesem Fall die Zeitung) nur die Verpflichtung, behauptete Tatsachen gewissenhaft zu recherchieren. Werturteile und Meinungsäußerungen hingegen genießen sowohl nach Inhalt als auch nach Form unabhängig von ihrer Qualität in aller Regel Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz.

Dieser kleine Exkurs zu Art. 5 GG zeigt: Tatsachenbehauptungen, Werturteile und Meinungsäußerungen voneinander zu trennen und gerichtlich genau abwägen zu lassen, welche Äußerung nun inkriminiert ist und welche man als betroffener Betreiber hinnehmen muss, ist ein schwieriges Unterfangen. Steht eine Führungskraft vor einer derart eskalierten Situation, sollte sie wegen möglicher „Nebenwirkungen" wohl einen Rechtsanwalt hinzuziehen.

 

Strategische Vorbereitung

Wer in einer Krise juristische Geschütze auffahren muss, steckt schon tief in der Klemme. Deshalb lautet das Gebot der Stunde: Bereiten Sie sich besser frühzeitig auf eine mögliche Krisenkommunikation z.B. mit der Presse vor - am besten dann, wenn noch gar keine konkrete Notwendigkeit dazu besteht. Die Krisenkommunikation samt den entsprechenden Ablaufplänen muss innerhalb der eigenen Einrichtung gezielt vorbereitet sein. Das beginnt schon bei so einfachen Fragen wie: Mit wem spricht ein Reporter zuerst, wenn er die Einrichtung betritt? Weiß der Empfang, was er zu sagen hat - oder besser: keinesfalls sagen sollte? An wen reicht man den Reporter weiter, wer begleitet ihn zu seinem Gesprächspartner, wer darf antworten (und wer nicht)? Und: Muss man jede Frage beantworten?

Man mag solche Vorbereitung für kleinlich, überflüssig und übertrieben halten. Aber Notfälle kündigen sich selten vorher an, sie ereignen sich plötzlich. Wie heißt es so schön? „Wenn du mit der Presse sprichst, denke daran, dass sie immer das letzte Wort hat." Das müsste für Leitungskräfte von Pflegeeinrichtungen noch mit dem Hinweis ergänzt werden. „Wenn du mit der Presse sprichst, gehe davon aus: Dein Berufsstand steht heute unter Generalverdacht." Es liegt ganz bei Ihnen, ob Sie sich dann noch tiefer in die „Schiete" hineinreiten - oder durch sorgfältige Vorbereitung professionell dieser Vorverurteilung entgegentreten können. Der DVLAB bietet Ihnen jedenfalls nicht nur Seminare für Ihre laufende Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch Strategien für eine mögliche Krisenkommunikation.

Dr. Jürgen Samland

Professor f. Arbeitsrecht und Personalmanagement an der Europ. Wirtschaftshochschule

ESCP-EAP in Berlin sowie Fachanwalt für Sozialrecht


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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