Raus aus Anlagegenossenschaften – Beitritt digital?

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Bei sog. Anlagegenossenschaften (vgl. BGH, Urt. v. 1. März 2011 – II ZR 298/08, Rz. 16) wollen Verbraucher überwiegend zum Zweck der Kapitalanlage und/oder Steuerersparnis Mitglied werden, wobei eine wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich ist. Will sich ein Anleger von der Genossenschaft lösen, so existieren im Zusammenhang mit dem Beitritt zur Genossenschaft viele Fallstricke, etwa die Fragen nach der Erforderlichkeit einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung, nach der Qualität der vorvertraglichen Aufklärung, einer etwaigen Prospektpflicht oder der Wirksamkeit bestimmter Ratenzahlungsvereinbarungen (vgl. Blazek/Scheffler, ZIP 42/2021, 2170 ff.).

I. Grundsätzlich keine Rückabwicklung

Besonders tückisch aus Sicht des Anlegers sind auch die sog. Grundsätze zum fehlerhaften Gesellschaftsbeitritt. Sie bewirken im Fall der vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung, der arglistigen Täuschung, der Sittenwidrigkeit oder im Fall des Widerrufs, dass keine Rückabwicklung erfolgt und auch der sog. große Schadensersatz ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Urt. v. 19. November 2013 – II ZR 383/12, Rz. 12; Urt. v. 7. Juli 2011 – II ZR 186/08, Rz. 10 [im Anschluss an EuGH, Urt. v. 15. April 2010 – C-215/08, ZIP 2010, 772 Rz. 48 f.]; Beschl. v. 16. März 2009 – II ZR 138/08, Rz. 10; Beschl. v. 5. Mai 2008 – II ZR 292/06, Rz. 12; zuletzt auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 19. Februar 2024 – 14 U 79/22 m.w.N.).

Der Anleger erhält also grundsätzlich nicht sein Geld von der Genossenschaft zurück. Vielmehr findet eine gesellschaftsrechtliche Auseinandersetzung statt, bei welcher die Durchsetzung gegenseitiger Einzelforderungen gesperrt ist und deren Ergebnis (gemäß Auseinandersetzungsbilanz) entweder in einem Guthaben besteht oder in einem Fehlbetrag, je nach wirtschaftlichem Stand der Gesellschaft bzw.  des Anteilswerts. Bei Genossenschaften gilt § 73 GenG.

Fraglich bleibt insoweit allerdings, ob nicht ein ergänzender Schadensersatzanspruch des Anlegers besteht in Höhe der Differenz zwischen Abfindungsanspruch und gezahlten Einlagen, wie der Bundesgerichtshof – mit gewisser Einschränkung – zu mehrgliedrigen stillen Gesellschaften entschied (vgl. BGH, Urt. v. 19.11.2013 – II ZR 383/12). Das ist derzeit in der Rechtsprechung offen.

II. Ausnahmen: Formunwirksamer Beitritt und Schadensersatz nach dem VermAnlG

Demgegenüber entschied das OLG Hamm, dass eine Schadensersatzpflicht der Genossenschaft unabhängig von den Grundätzen zum fehlerhaften Gesellschaftsbeitritt bestehen kann, wenn die Voraussetzungen der §§ 20, 21 VermAnlG erfüllt sind (OLG Hamm, Urt. v. 19.07.2021 – 8 U 184/20). Denn Anteile an Anlagegenossenschaften sind Unternehmensbeteiligungen im Sinne von § 1 Abs. 2 Nr. 1 VermAnlG, für welche dann eine Prospektpflicht besteht, wenn für den Vertrieb eine erfolgsabhängige Vergütung gezahlt wird, §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 6 ff. VermAnlG.

Eine andere wichtige Ausnahme ist diejenige des formunwirksamen Beitritts. Damit die Grundsätze zum fehlerhaften Gesellschaftsbeitritt überhaupt greifen, muss u.a. der Beitritt zu einer Genossenschaft „in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise“ gemäß § 15 GenG erfolgt sein (BGH, Urt. v. 11. März 1976 – II ZR 127/74, Gründe 2; RGZ 97, 307, 309; 137, 74, 76; Beuthien, GenG, Kommentar, 16. Aufl. 2018, § 15 Rn. 24; Holthaus/Lehnhoff, in: Lang/Weidmüller, GenG, Kommentar, 40. Aufl. 2022, § 15 Rn. 19). Die fehlerhaft gegründete Gesellschaft oder der fehlerhaft vollzogene Beitritt setzen einen (mangelhaft zustande gekommenen und vollzogenen) Gesellschaftsvertrag voraus (BGH, Urt. v. 14. Oktober 1991 – II ZR 212/90, Gründe 2. b)), den es ohne Willen und Vertragserklärung (Beitritt) nicht gibt. Dieser wiederum muss in der gesetzlich vorgeschriebenen Weise gemäß § 15 GenG erfolgen, weil andernfalls der Zweck des Gesetzes vereitelt würde, wenn man aus formlosen Verpflichtungserklärungen einen Zwang zum Beitritt herleiten könnte.

Gelegentlich bieten Genossenschaften den Anlegern einen Online-Beitritt oder einen solchen in digitaler Form an. Solange es sich dabei jedoch nicht um eine qualifizierte elektronische Signatur (§ 126a BGB) handelt, genügt dies nicht den gesetzlichen Beitrittsanforderungen. Es liegt dann kein Beitritt vor, der die Anwendung der Grundsätze zum fehlerhaften Gesellschaftsbeitritt bzw. die Annahme einer faktischen Gesellschaft rechtfertigen würde. Rechtsfolge ist, dass die an die Genossenschaft gezahlten Beträge ohne Beitritt und Geltung der Satzung geleistet wurden und gemäß § 812 Abs. 1 BGB vom vermeintlichen „Genossen“ zurückgefordert werden können unter Berücksichtigung der Regelungen zur Verjährung.

III. Fazit

Die Rückabwicklung von Zahlungen an eine Genossenschaft scheitert grundsätzlich an den sog. Grundätzen zum fehlerhaften Gesellschaftsbeitritt. Es gibt jedoch Ausnahmen. Eine ist die Konstellation eines formunwirksamen Online-Beitritts. Eine andere Ausnahme besteht in der etwaigen Schadensersatzpflicht gemäß §§ 20, 21 VermAnlG.

Daniel Blazek, BEMK Rechtsanwälte PartGmbB, 23. April 2024



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