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Rechtsanwalt spontan ahnungslos – Nicht immer ein schlechtes Zeichen

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Mandanten bzw. Rechtsuchende haben oft das Anspruchsdenken, der Rechtsanwalt könne ihnen jede Rechtsfrage postwendend beantworten. Anwälte seien gar eine Art wandelndes Rechtslexikon. Dafür sind sie ja schließlich im Durchschnitt knappe 10 Jahre ausgebildet worden…

Mit Nichten! Mit den folgenden Zeilen will um Verständnis für die Anwaltszunft geworben werden.

Der fertige Jurist – ein Generalist?

Die Juristenausbildung – im Wesentlichen bestehend aus Jura-Studium und Referendariat – lässt sich vom Grunde her vergleichen mit der eines Mediziners.

Die Ausbildung hat zwar im Kern den Ansatz, zum Generalisten auszubilden. Gleichwohl bedeutet dies in praxi aber eher, dass man „bloß“ ein allgemeines Grundrüstzeug an die Hand bekommt, mit dem man sich später auch auf unbekanntem (Rechts-)Terrain zurechtfinden sollte.

Keineswegs aber wird man sich in der Mehrzahl der rechtlichen „Spezialmaterien“ qua juristischer Ausbildung als Experte bezeichnen dürfen. Plakativ: Wohl über 95 Prozent der deutschen Gesetze bzw. Paragrafen werden die meisten Juristen während ihrer gesamten Juristenlaufbahn – Studium und Arbeitsleben inkludiert – nie zu Gesicht bekommen. Dies dürfte kaum verwundern bei über 100.000 Einzelvorschriften.

Die Bandbreite des Rechts ist dermaßen vielgestaltig, dass die juristische Ausbildung vermutlich mehrere hundert Jahre dauern würde, so sie den Anspruch hätte, alle Spezialmaterien zu durchdringen. Man muss sich nur mal vorstellen: Bis vor ein paar Jahren gab es noch ein Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz. Da bedarf es wenig Fantasie, um zu erahnen, welch kleinteilige Rechtsmaterien der Gesetzgeber noch so alles herbeigezaubert hat.

Um die vorgenannte Analogie aufzugreifen: Beim „fertigen Mediziner“ würde man als Patient wohl auch kein behagliches Gefühl haben, wenn dieser frisch von der Uni weg einerseits Koronare Bypass-Operationen vornimmt, andererseits auch Rücken einrenken würde…

Der (berufs-)erfahrene Jurist – ein Spezialist?

Mit fortwährender Berufserfahrung erlangen selbst überzeugte „Feld-, Wald- und Wiesen-Anwälte“ ein gewisses Spezialwissen. Aber auch der größte Spezialist wird in seiner Spezialmaterie die Antwort nicht immer aus der Pistole schießen können. Dafür ist das Recht in seiner Gesamtheit schon zu sehr im Wandel.

Daher ist es auch kein Zeichen von mangelndem Spezialwissen, wenn sich auch der Spezialist im Rahmen seiner Spezialmaterie mal mit einem „dazu muss ich erstmal noch etwas recherchieren bzw. nachdenken“ auf die Erstanfrage des (potenziellen) Mandanten hin rückmeldet. Mitunter ist dies sogar eher Ausdruck von gewissenhafter Arbeit, die immer über dem (Experten-)Ego des Anwalts stehen sollte.

Freilich: Ein Anwalt wird seine spontane Unwissenheit nicht immer mit vorgenannten Argumentationsmustern rechtfertigen können. Wenn etwa ein spezialisierter Arbeitsrechtler nicht die elementaren Grundvoraussetzungen für das Greifen des Kündigungsschutzgesetzes „wie aus der Pistole geschossen“ nennen kann, darf der Rechtsuchende ob der Eignung des Anwalts dann doch mal ins Grübeln kommen.

Der aufrichtige Jurist – ein Realist!

Zugegeben: Es ist ein schwieriger Spagat. Gerade in dem Wissen, dass viele Rechtsuchende eine valide Antwort „wie aus der Pistole geschossen“ vom Anwalt erwarten, fällt es dem Anwalt umso schwerer, offen zu bekunden, dass er spontan keinen hinreichenden Rechtsrat leisten kann, sondern erstmal Rechtsprechung etc. wälzen muss.

So wird der Mandant dies mitunter als Inkompetenz oder auch geschäftstüchtige Taktiererei deuten. Nach dem Motto: „Der Anwalt schindet doch nur Zeit. Und Zeit ist Geld.“ Wobei Letzteres von vornherein schon nur selten zutreffend sein kann, wenn nicht gerade auf Stundenhonorarbasis abgerechnet werden soll.

Gleichwohl ist es aus betriebswirtschaftlicher Sicht erstmal egal, was stimmt und was nicht. Wenn der (potenzielle) Mandant nämlich in der Folge zum 'Kollegen Unaufrichtig' weiterzieht, der zwar ebenfalls spontan ahnungslos bzgl. der Rechtsfrage ist, gleichsam aber in aller Sprachgewandtheit irgendwelche juristischen Allgemeinplätze daher schwafelt (was der Rechtsunkundige kaum verifizieren kann), dann ist das Mandat für 'Anwalt Aufrichtig' erstmal weg.

Und zu allem Überfluss ggf. auch noch eine schlechte Internetbewertung vorprogrammiert. Tenor: „'Rechtsanwalt Unaufrichtig' hat mir sehr gut und sehr schnell weitergeholfen, wohingegen 'Kollege Aufrichtig' keinen Plan hatte und erstmal Bücher lesen wollte.“ 

Was man nicht weiß, das gib‘ nicht preis

Wie soll der Anwalt dem Dilemma also begegnen? Wohl einziger sinnvoller Ansatz: Für Aufklärung sorgen. Dahingehend soll auch dieser Beitrag verstanden sein.

Den Rechtsuchenden kann pauschal nur an die Hand gegeben werden: Was der Anwalt spontan nicht (sicher) weiß, weiß er ggf. später umso besser.

Wenn ein Anwalt spontan zum Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz referieren „kann“, sollten beim Rechtsuchenden jedenfalls alle Alarmglocken schrillen...

RA Robin Nocon, www.nocon-recht-digital.de


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