Regulierungspraxis der Rechtsschutzversicherer

  • 7 Minuten Lesezeit

Regulierungspraxis der Rechtsschutzversicherer

Versicherungsbetrug mit umgekehrten Vorzeichen...!? Zu den Voraussetzungen des § 158 n VVG a.F./128 n VVG n.F. und Obliegenheitsverpflichtungen des VN.

Laut Statistik der BaFin, der Aufsichtsbehörde für Versicherungen, gehen jährlich rund 20.000 Beschwerden über Versicherer ein. Auch der Obmann der Deutschen Versicherungswirtschaft berichtet von rund 18.000 Eingaben pro Jahr, rechnet man sodann noch die Deckungsprozesse, die bundesweit betrieben werden hinzu, existieren nochmals zigtausende Fälle, in denen es zwischen Versicherungen und ihren Kunden Zoff gibt. Und dabei handelt es sich nur um die Spitze des Eisberges.

Das Image von Versicherungen ist, um es salopp auszudrücken, etwas ‚angekratzt', nicht zuletzt auch durch Regulierungspraktiken, die zuweilen bedenklich anmuten. Oder wie lässt es sich erklären, wenn ein eindeutiger Versicherungsfall nach Jahren noch nicht abgewickelt ist. Auch die Anwaltschaft bekommt das zu spüren.

Welcher Anwalt kennt die Regulierungsverweigerungs- und verzögerungsversuche nicht, mit denen der Rechtsschutzversicherer nach der erbetenen Deckungsschutzanfrage des Rechtsanwaltes zuweilen agiert. Mal herrscht wochenlang Funkstelle auf eine Deckungsanfrage, mal werden unnötige Nachfragen gestellt. Dann fehlen wiederum Informationen, um über den Deckungsschutz entscheiden zu können, schließlich wird auf fehlende Erfolgsaussichten verwiesen und auf die Vorlage eines Stichentscheids, der alsdann er übermittelt ist, natürlich völlig willkürlich getroffen ist und vom Versicherer nicht anerkannt wird. Kommt die RSV indes nicht darum herum, den Deckungsschutz zu erteilen, geht das Feilschen um die Streitwerthöhe und den Gebührenrahmen los.

Als Rechtsanwalt fühlt man sich dann oft in der Position eines „Bittstellers", um die einem nach dem RVG zustehenden Mindestgebühren zu erhalten.

In einem aktuellen Beschluss zu der Vorschrift des § 158 n VVG a.F./§128 n VVG n.F. hat das Oberlandesgericht Köln (Az. 9 W 59/08 vom 15.09.2008) nunmehr nochmals mit bemerkenswerter Eindeutigkeit klargestellt, dass der Versicherer, wenn er sich auf die fehlende Erfolgsaussicht einer beabsichtigten Klage berufen will, die Deckungsentscheidung in einer Rechtsschutzversicherung nicht nach Belieben aufschieben kann. Er ist vielmehr gehalten, sich zu entscheiden und gegebenenfalls Deckung zu verweigern. Nur so werde das Ziel erreicht, den VN alsbald in die Situation zu versetzen, eine Klärung gegebenenfalls durch die vertraglich vorgesehenen weiteren Schritte zu erreichen und auf Kosten des Rechtsschutzversicherers (entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen) z. B. einen Stichentscheid des für tätigen Rechtsanwaltes herbeizuführen:

„Erfolgen die Prüfung und die schriftliche Ablehnung nicht unverzüglich, so verliert der Versicherer das Recht, sich später auf fehlende Erfolgsaussicht oder Mutwilligkeit berufen zu können (BGH a.a.O., Urteil vom 19. März 2003, Az.: IV ZR 139/01, VersR 2003, 638, unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung im Urteil vom 16. Oktober 1985 - IVa ZR 49/84, VersR 1986, 132)."

Inhaltlich lag dem Deckungsprozess ein Arzthaftungsfall vor, in dem die DMB Rechtsschutzversicherungs AG eine Deckungszusage nicht erteilen wollte, ohne dass der VN im Vorfeld die zuständige Schlichtungsstelle der Ärztekammer bemühte, um gutachterlich klären zu lassen, ob die streitgegenständliche Behandlung lege artis erfolgt war, oder nicht. Der vermögenslose VN musste den Deckungsprozess mittels Prozesskostenhilfe führen. Gegen die vom erstinstanzlich zugebilligte, allerdings auf einen bestimmten Streitwert beschränkt erteilte Prozesskostenhilfe legte der Kläger Beschwerde ein, über die der OLG-Senat nunmehr zu entscheiden hatte.

Im Ergebnis stellt der Senat damit nochmals eindeutig, neben der nicht mehr zu thematisierenden Problematik, dass ein Medizingeschädigter gerade nicht verpflichtet ist, sich im Vorfeld eines arzthaftungsrechtlichen Vorgehens eines fachmedizinischen Gutachtens zu bedienen fest, dass ein Rechtsschutzversicherer gehalten ist, auf eine Deckungsanfrage eines Rechtsanwaltes unverzüglich den Deckungsschutz zu erteilen, oder abzulehnen. Bei dem Begriff der Unverzüglichkeit dürften die allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen heranzuziehen sein, so dass ein Zeitraum von 2 - 3 Wochen noch nicht als unbillig anzunehmen wäre.

Nach § 158 n Satz 3 VVG a.F. ist ein Rechtsschutzversicherer darüber hinaus verpflichtet, den VN im Falle einer Deckungsablehnung auf die entsprechenden Folgen hinzuweisen, nämlich ihn darüber zu belehren, dass er die ablehnende Entscheidung angreifen kann. Gibt er diese Belehrung nicht, verliert der Versicherer das Recht, Deckung wegen fehlender Erfolgsaussicht oder Mutwilligkeit der beabsichtigen Klage zu verweigern, wenn er dies dem Versicherungsnehmer nicht unverzüglich mitteilt (vgl. BGH Urteil vom 19. März 2003, Az. IV ZR 139/01, in VersR 200, 638):

„Die Versagung des Deckungsschutzes wegen fehlender Erfolgsaussicht muss mit einer zutreffenden und eindeutigen Belehrung über den vom Versicherungsnehmer anschließend zu beschreitenden Weg verbunden werden. Geschieht dies nicht, so ist eine spätere Berufung auf Mutwilligkeit oder fehlende Erfolgsaussicht nicht mehr möglich. Dies gilt auch für die Höhe der beabsichtigten Inanspruchnahme (vgl. OLG Köln, Urteil vom 16.04.2002, 9 U 129/01, in r + s 2002, 289)."

Der OLG-Senat trägt weiter vor:

„Ein Rechtsschutzversicherer kann seine Entscheidung nicht mit der Begründung aufschieben, die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung lasse sich nach wie vor nicht prüfen. Zumeist sehen die Bedingungen sogar ausdrücklich eine Pflicht des Versicherers zur unverzüglichen Entscheidung vor (vgl. § 18 I ARB 94/2000, abgedruckt bei Harbauer a.a.O. S. 929; Urteil des OLG Köln vom 11.10.2007, 9 U 187/04, ZMGR 2006, 76ff.)."

Mit anderen Worten: will ein Rechtsschutzversicherer den Deckungsschutz nicht erteilen, obgleich der Rechtsanwalt ihm die für den eingetretenen Rechtsschutzfall erforderlichen Informationen geliefert hat, muss er sofort agieren, nämlich indem er Deckungsschutz erteilt oder ablehnt. Keinesfalls kann er jedoch die Regulierung mutwillig in die Länge treiben und den VN damit in der Ungewissheit lassen, ob Deckung vorliegt oder nicht.

Für die Praxis ist diese Konstatierung einleuchtend: Gerade bei großen Streitwerten will der VN, mithin Mandant schnellstens wissen, ob er selber für die Anwaltskosten und im Prozessfalle die Prozesskosten aufkommen muss, oder seine Rechtsschutzversicherung hierfür eintrittspflichtig ist. Oftmals versieht der Mandant seinen Rechtsanwalt sogar mit der Maßgabe, nur dann für ihn tätig zu werden, wenn sichergestellt ist, dass ein Rechtsschutzversicherer zahlt, da ihm selber die finanziellen Mittel für ein Vorgehen fehlen. Wird nun mit dem Argument, der Versicherer könne die hinreichenden Erfolgsaussichten für ein Vorgehen aufgrund der erteilten Informationen nicht überprüfen, agiert, bleibt sowohl Mandant, als auch Rechtsanwalt im Unklaren über die finanzielle Seite des Mandates. Ja, der Anwalt befindet sich sogar in der Zwickmühle, da es ihm einerseits standesrechtlich verwehrt ist, vorzugehen (denn das will der Mandat gerade nicht, wenn keine Deckung vorliegt), andererseits der Rechtsschutzversicherer gerade dieses, um weitere Informationen zu erhalten, verlangt.

Besonders ärgerlich, und sogar regressträchtig wird es dann, wenn das Mandat mit Verjährungsproblematiken belegt ist. Soll der Anwalt dann sofort darauf hindrängen, verjährungshemmende- bzw. unterbrechende Maßnahmen im Wohle des Mandanten in die Wege leiten, auf die Gefahr hin, dass später ein Deckungsschutz nicht erfolgt, beziehungsweise darf er dieses überhaupt in berufsrechtlicher Hinsicht tun? Sobald er nach außen hin tätig wird, hat er Anspruch auf die ihm zustehenden Gebühren. Verlagert man den Zeitpunkt dieses Anspruches sodann noch auf denjenigen des Erhalts der Informationen, die ihm vom Mandanten naturgemäß bei Mandatsbeginn gegeben werden, wird es noch heikler.

Bereits das OLG Celle hatte sich in mehreren Entscheidungen eingehend zu den Obliegenheitsverletzungen des Versicherungsnehmers bei der Erteilung von Deckungsschutzzusagen befasst:

„So schuldet der VN dem Versicherer grundsätzlich eine umfassende Information und darf sich nicht auf das seiner Ansicht nach Notwendige beschränken (vgl. BGH VersR 2004, 1553; OLG Bamberg VersR 1994, 1100). Er muss sämtliche für Grund und Höhe des Anspruchs maßgeblichen Umstände mitteilen einschließlich etwaiger für ihn ungünstiger Behauptungen des Anspruchsgegners. Nur auf dieser Grundlage ist der Rechtsschutzversicherer in der Lage zu prüfen, ob ein bedingungsmäßiger Versicherungsfall vorliegt und in welchem Umfang dieser Leistungspflichten auslösen kann. Erst nach dieser umfassenden Informationserteilung beginnt die inhaltliche Prüfungspflicht des Versicherers (BGH VersR 2003, 638, 639).

Allerdings stellt diese Informationsobliegenheit keinen Selbstzweck dar, sondern muss sich daran orientieren, welche Angaben der Versicherer zur Beurteilung der Frage benötigt, ob die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Diese wortgetreue Übernahme der Voraussetzungen für die Notwendigkeit der Interessenwahrnehmung aus § 114 ZPO bringt zum Ausdruck, dass die Rechtsschutzversicherer Versicherungsschutz unter denselben sachlichen Voraussetzungen gewähren wollen, unter denen ein Partei Prozesskostenhilfe beanspruchen kann (BGH VersR 1987, 1186f). Die Interessenwahrnehmung bietet dann hinreichende Erfolgsaussicht, wenn der VN einen Rechtsstandpunkt einnimmt, der aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlage zutreffend oder zumindest vertretbar erscheint und wenn für den behaupteten Sachverhalt zumindest die Möglichkeit der Beweisaufnahme besteht... Unzulässig ist eine vom Rechtsschutzversicherer durchgeführte vorweggenommene Beweisaufnahme, wenn zulässige Beweismittel für die Richtigkeit der Sachdarstellung des Versicherungsnehmers angeboten worden sind." (OLG Celle, 8 U 159/05, Urteil vom 09. Februar 2006; OLG Celle 8 U 198/06, Urteil vom 18. Januar 2007).

Der Autor Dr. Dirk Christoph Ciper, Fachanwalt für Medizinrecht, ist seit 1995 zivil- und wirtschaftsrechtlich mit einem Tätigkeitsschwerpunkt auf dem Gebiet des Arzthaftungsrechtes tätig. Die Sozietät Ciper & Coll. vertritt jährlich etwa 800 Mandanten in Arzthaftungsfällen und hat in den vergangenen Jahren etwa 60 Deckungsschutzverfahren für ihre Mandanten erfolgreich bestreiten können.

RA Dr. Ciper ist u. a. Geschäftsführer der ‚Europäischen Anwaltskooperation' (EAK) - EWIV und Mitgeschäftsführer des ‚Institutes für die Begutachtung ärztlicher Behandlungen' GbR. Die Sozietät Ciper & Coll. ist bundesweit gegenwärtig an 12 Kanzleistandorten tätig, darüber hinaus ist der Autor auch am ‚Barreau de Paris' (Rechtsanwaltskammer von Paris) sowie dem ‚Ordine degli Avvocati' di Roma (Rechtsanwaltskammer von Rom) eingeschrieben. Vor und zu Anfang seiner anwaltlichen Tätigkeit war er 15 Jahre lang für den Westdeutschen Rundfunk (WDR) als ‚Fester freier Mitarbeiter' tätig und hat in dieser Zeit etwa 900 Hörfunk und TV-Beiträge für alle ARD-Sendeanstalten produziert.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. Dirk Christoph Ciper LL.M.

Beiträge zum Thema