Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort – Regressanspruch des Kfz-Haftpflicht- oder Kaskoversicherers

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Sie hatten kürzlich mit Ihrem Wagen einen Unfall? Jemand behauptet, Sie hätten sich unerlaubt vom Unfallort entfernt? Der Staatsanwalt hat ermittelt? Ein Gericht musste bemüht werden? Und nun kommt auch noch der eigene Kfz-Haftpflichtversicherer und verlangt einen Teil des von ihm an den anderen Unfallbeteiligten gezahlten Schadensersatzes von Ihnen im Regressweg zurück, weil etwaig keine Feststellungen zu Ihrem Alkoholkonsum zum Unfallzeitpunkt getroffen wurden?

Dann sollten Sie sich erstmal die Versicherungsbedingungen ansehen und im Weiteren diesen Artikel lesen.

Wer sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, macht sich gemäß § 142 StGB strafbar. Das weiß man. Aber nicht nur das, sondern der eigene Haftpflichtversicherer darf nach „Unfallflucht“ ganz oder teilweise, oft begrenzt bis zu einem bestimmten Höchstbetrag, bei seinem Versicherungsnehmer Regress nehmen, wenn er für den beim Unfall eingetretenen Schaden am anderen Fahrzeug oder an anderen Sachen des Geschädigten zahlen musste. Jedenfalls dann, wenn durch den Mangel an Aufklärung durch den VN dem VR die Regulierung des Schadens erschwert wurde.

Der VN hat im Schadensfall (als auch davor) Obliegenheiten zu beachten. Welche das sind, findet sich in den Versicherungsbedingungen. Verstößt der VN gegen eine oder mehrere, kann es teuer werden. Besonders dann, wenn Vorsatz im Spiel war, kann der VR die Leistung mitunter ganz und gar verweigern.

Nun haben sich im Laufe der Zeit die Formulierungen bei den vereinbarten Aufklärungsobliegenheiten beim Verkehrsunfall erweitert und verschärft, was besonders junge Kfz-Versicherungsverträge betrifft. Und hier gilt es, Vorsicht walten zu lassen. Der Versicherer hat nicht immer Recht! Die aktuelle Rechtsprechung hat zugunsten der Versicherungsnehmer den erweiterten Aufklärungsobliegenheiten eine Absage erteilt.

Wie war es bisher?

Für die früheren Fassungen der sogenannten AKB war anerkannt, dass die vertraglichen Aufklärungsobliegenheiten des VN mit den Pflichten, deren Einhaltung das Strafgesetz im Fall eines Verkehrsunfalls verlangt, deckungsgleich sind.

Wie alle motorisierten Verkehrsteilnehmer wissen, sanktioniert § 142 StGB das Verhalten eines Unfallbeteiligten, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht oder eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen. Man wird auch bestraft, wenn man sich nach Ablauf einer angemessenen Wartezeit oder berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt, die Feststellungen jedoch nicht unverzüglich nachträglich durch ein den Anforderungen des § 142 Abs. 3 StGB genügendes Verhalten ermöglicht hat.

Diese Plichten hat der VN auch im Verhältnis zu seinem Haftpflicht- oder Kaskoversicherer.

Was verlangen die Versicherer nun?

Neuerdings findet sich unter E.1.3 AKB 2014 u.a. das Folgende so oder so ähnlich: „Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadensereignisses dienen kann; insbesondere darf er den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen (vor allem zum Fahrer des Fahrzeugs, zum Unfallhergang oder zum Alkohol- oder Drogenkonsum des Fahrers) zu ermöglichen.“

Der VN soll unbegrenzte Zeit an jedwedem Unfallort warten, wenn keiner da ist und keiner kommt, um seinen Namen und das Kennzeichen des Autos zu notieren? Feststellungen zum Alkohol- und Drogenkonsum sollen unumgänglich sein? Das geht weit über das hinaus, was strafrechtlich vom Unfallbeteiligten gefordert wird.

Und was soll und darf der VN nicht oder doch tun, wenn er selbst verletzt ist? Darf er dann nicht ins Krankenhaus fahren? Was ist, wenn der VN nicht bei Bewusstsein ist und deshalb Feststellungen zu Alkohol und Drogen nicht veranlassen kann?

Und was heißt „insbesondere“? Was ist „…alles was der Aufklärung des Schadensereignisses dienen kann…“?

Was sagt die Rechtsprechung?

Dem Unterzeichner sind derzeit drei obergerichtliche Entscheidungen zu diesem Thema bekannt.

Zunächst erstmal scheinen die Gerichte kein Problem damit zu haben, wenn die Pflichten des VN gegenüber dem Versicherer umfassender und schärfer sind, als es das Strafrecht vom VN verlangt. Die Versicherungswirtschaft darf also solche Regelungen erlassen.

Aber wenn die Aufklärungspflichten umfassender und schärfer sein sollen, als es das Strafgesetzbuch verlangt, dann ist das so ungewöhnlich, dass dies in den Versicherungsbedingungen unmissverständlich zum Ausdruck kommen muss (Saarländisches OLG, Urteil vom 10.02.2016 – 5 U 75/14 I). Das heißt, es bedarf eines eindeutigen Hinweises, dass diese Bedingungen von Autofahrern mehr verlangen, als der Gesetzgeber im Bereich des Strafrechts.

Außerdem müssen die Pflichten klar sein. Die oben zitierte Klausel erfüllt diese Anforderungen gerade nicht. Was tatsächlich im Einzelnen gefordert wird, ist und bleibt unklar und inwieweit nun die neuen Bedingungen mit einer Verschärfung der an das Verhalten des VN zu stellenden Anforderungen verbunden sind, ist umstritten (Saarländisches OLG, Urteil vom 10.02.2016 – 5 U 75/14 I).

Die neueren Regelungen in den AKB sind zu diffus. Es bleibe für den VN unklar, was genau von ihm nach einem Unfallgeschehen erwartet wird (Saarländisches OLG, Urteil vom 10.02.2016 – 5 U 75/14 I). Das Saarl. OLG hat klar ausgedrückt, dass vom VN nicht verlangt werden könne, dass er grundsätzlich zeitlich unbegrenzt bis zum Eintreffen feststellungsbereiter Personen an jedweder Unfallstelle ausharren muss. Auch muss er nicht warten, bis Feststellungen zu Alkohol- oder Drogenkonsum getroffen werden.

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer, auf dessen Verständnismöglichkeiten es bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen ankommt, wird die in den Bedingungen formulierte Forderung, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, auf den ihm bekannten Straftatbestand der Unfallflucht gemäß § 142 StGB beziehen. Der VN darf deshalb weiterhin davon ausgehen, dass er seiner Aufklärungsobliegenheit grundsätzlich dann gerecht wird, wenn er die strafrechtlich sanktionierten und allgemein anerkannten Handlungspflichten erfüllt.

Insofern begründe die neue Klausel in den AKB zwar eine eigenständige versicherungsvertragliche Obliegenheit im Sinne des Versicherungsvertragsgesetzes. Ihr Inhalt und ihre Grenzen stimmen aber mit den gesetzlichen des § 142 Abs.1 und 2 StGB überein – so das Saarländischen Oberlandesgericht.

Diese Auffassung vertritt auch das OLG München in seinem Urteil vom 26.02.2016 – 10 U 2166/15. Die gegenteilige Auffassung, mit der Saarländische OLG sich in seinem oben zitierten Urteil auch auseinandersetzt, vertritt das OLG Stuttgart in seinem Urteil vom 16.10.2014 – 7 U 121/14.

Was soll der betroffene Versicherungsnehmer tun?

Er sollte sich überlegen, ob er der etwaigen Regressforderung seines Versicherers sofort nachkommen möchte oder nach Lektüre dieses Artikels doch besser erstmal einen Fachanwalt für Versicherungsrecht aufsucht. Mitunter kann schon eine Erstberatung sehr viel weiterhelfen.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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