Versicherungsvertragsrecht im Überblick: Teil 4 – Personenversicherungen

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Fast niemand ist heutzutage komplett unversichert. Aufgrund der Relevanz, Vielfältigkeit und Komplexität des Themenfeldes, beschäftigen wir uns in einer mehrteiligen Serie mit dem Versicherungsvertragsrecht.

Versicherungsvertragsrecht- Personenversicherung

Versicherungsnehmer einer Berufsunfähigkeitsversicherung können trotz Weiterzahlung eines Gehalts einen Versicherungsfall geltend machen. Dafür muss der Verweisungsberuf gegenüber der vorherigen Tätigkeit einen geringeren sozialen Status und ein geringeres Anforderungsprofil aufweisen.

Bei dem Erhalt eines Krankentagegeldes ist laut BGH zudem die mehrmalige Berechnung einer Karenzzeit für denselben Versicherungsfall unzulässig.

Berufsunfähigkeitsversicherung – Sinn und Notwendigkeit

Deutschland – das Land der Versicherungen. Im Jahr 2017 betrug die Zahl an Versicherungsverträgen in Deutschland rund 434,9 Millionen (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/313967/umfrage/bestand-an-versicherungsvertraegen-in-deutschland/). Davon mögen einige sinnvoll sein, andere wiederum werden eher kaum benötigt. Eine Versicherung, die jedoch sehr zu empfehlen ist – und das nicht nur ausschließlich an junge Berufseinsteiger – ist die Berufsunfähigkeitsversicherung.

Die Versicherung deckt den Verdienstausfall ab, der durch Unfall oder Krankheit entstehen kann. Gerade zu Beginn des Berufslebens fehlt es an finanziellen Rücklagen. Im späteren Verlauf sind dann andere finanzielle Belastungen wie Haus und Familie da. Ein Verdienstausfall kann hier schnell den finanziellen Ruin bedeuten. Egal ob der Versicherungsfall auf physische oder psychische Ursachen zurückzuführen ist – die Berufsunfähigkeitsversicherung deckt bis zu einem bestimmten Betrag den Verdienstausfall ab und ermöglicht es so, den Lebensstandard bestmöglich zu erhalten.

Die Verweisung in der Berufsunfähigkeitsversicherung

Allerdings ist das bloße Abschließen einer Berufsunfähigkeitsversicherung noch keine Garantie für die Auszahlung der Monatsrente im Versicherungsfall. Nahezu alle Versicherer in Deutschland haben in ihren Versicherungsbedingungen eine Klausel, die sogenannte „konkrete Verweisung“. Formulierungen wie 

„Vollständige Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person keiner anderen, ihrer Ausbildung, ihren Fähigkeiten und ihrer bisherigen Lebensstellung entsprechenden beruflichen Tätigkeit nachgeht“ 

deuten auf diese Klausel hin.

Demnach kann der Versicherer die Leistung der Monatsrente dann verweigern, wenn der Versicherungsnehmer zwar seinen ursprünglichen Beruf nicht mehr ausüben kann, aber einer ähnlichen Tätigkeit nachgehen kann, die seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten entspricht und eine ähnliche soziale Lebensstellung ermöglicht, wie die zuvor ausgeübte Tätigkeit.

Versicherer verweigerte Auszahlung der Rente

In einem im Dezember des letzten Jahres vom BGH entschiedenen Fall hatte ein Versicherungsnehmer gegen eine solche Verweisung geklagt.

Der Versicherungsnehmer war in einer ländlichen Region als Hufbeschlagschmied tätig. Der Beruf erfordert einiges an Fachkenntnissen und ist in der dortigen Gegend hoch angesehen. Nach jahrelangem chronischem Leiden an den Lendenwirbeln und Schultergelenken konnte der Versicherungsnehmer seinen Beruf nicht mehr ausüben. Es wurde ihm eine Berufsunfähigkeit von mindestens 50 % bescheinigt. Daraufhin arbeitete er als Lagerist und verlangte von seinem Versicherer die Auszahlung der Berufsunfähigkeitsrente. Dieser verweigerte dies, da der Versicherungsnehmer in seinem neuen Beruf deutlich mehr verdiente.

Höheres Gehalt allein reicht nicht für Verweis

Ein Verweis könne laut dem BGH jedoch nicht allein mit einem höheren Verdienst begründet werden. Vielmehr müssen auch die Kenntnisse und Fähigkeiten des Versicherungsnehmers berücksichtigt werden. Liegen die in dem neuen Beruf geforderten Fähigkeiten deutlich unter den Anforderungen des bisherigen Berufs, so steht Versicherungsnehmern die Auszahlung der Berufsunfähigkeitsrente zu, auch wenn sie im neuen Beruf mehr verdienen. Die konkrete Verweisung schützt mithin nicht nur die finanziellen Interessen des Versicherungsnehmers, sondern in gleichem Maße auch seine persönlich-sozialen Interessen und Fähigkeiten. Da in diesem Fall außerdem das Ansehen eines Lageristen in der Gegend, in der der Versicherungsnehmer arbeitet, deutlich geringer ist, als das eines Hufbeschlagschmiedes, war der Versicherer grundsätzlich zur Auszahlung verpflichtet.

Krankentagegeld – Ergänzung zur Berufsunfähigkeitsversicherung

Im Falle einer dauerhaften Berufsunfähigkeit greift die Berufsunfähigkeitsversicherung. Wenn es sich aber nur um eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit handelt, greift diese Versicherung nicht. Trotzdem kann es auch hier finanziell eng werden.

Zunächst zahlt im Krankheitsfall oder nach einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit der Arbeitgeber das Gehalt weiter – allerdings nur in den ersten sechs Wochen. Wer länger bei der Arbeit ausfällt, erhält dann von der gesetzlichen Krankenkasse ein Krankengeld. Dieses fällt jedoch weit niedriger aus als das Nettogehalt. Privatversicherte Arbeitnehmer bekommen überhaupt kein Krankengeld. Um die finanzielle Lücke auszugleichen, kann eine Krankentagegeldversicherung sinnvoll sein. Sie zahlt einen täglichen Geldsatz bis zur Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit.

Krankentagegeld wird erst nach Ablauf der Karenzzeit ausgezahlt

Auch beim Krankentagegeld gibt es jedoch Ausnahmen von der Zahlungspflicht des Versicherers. Tritt der Versicherungsfall ein, müssen meist mehrere Tage vergehen, bevor der Versicherer den vertraglich vereinbarten Tagessatz auszahlt, die sogenannte Karenzzeit. Bei Arbeitnehmern beträgt diese meist 42 Tage. Selbstständige können das Krankentagegeld meist ab dem vierten Krankheitstag beziehen, wenn sie dies mit dem Versicherer vertraglich vereinbart haben.

Karenzzeit bei vorübergehender Rückkehr an den Arbeitsplatz 

Einem aktuellen Urteil des BGH zufolge, ist das mehrmalige Berechnen einer Karenzzeit für denselben Versicherungsfall unzulässig.

Im verhandelten Fall war ein Psychotherapeut an Depressionen erkrankt. Er begab sich in psychotherapeutische Behandlung, wo ihm eine Berufsunfähigkeit attestiert wurde. Im Rahmen seiner Behandlung erfolgten mehrere Belastungsproben in Form eines beruflichen Einsatzes. Der erkrankte Psychotherapeut behandelte Patienten und berechnete ordnungsgemäß die Kosten der Behandlung, sodass er während seiner Belastungsproben Geld verdiente. Der Versicherer verweigerte für die Tage, an denen der Psychotherapeut Geld verdiente die Auszahlung des Tagesgeldes und berechnete nach jeder Belastungsprobe jeweils eine Karenzzeit von drei Tagen.

Zwar hat der Versicherungsnehmer laut BGH keinen Anspruch auf Auszahlung des Krankentagegeldes, während er Geld verdient, unabhängig davon, ob es zu Behandlungszwecken erfolgt. Allerdings darf nur einmal pro Versicherungsfall eine Karenzzeit berechnet werden. Da der zugrunde liegende Versicherungsfall in diesem Fall unverändert vorlag, war eine Berechnung weiterer Karenzzeiten und damit eine Nichtauszahlung während dieser unzulässig und der Versicherer somit zu einer Auszahlung des Tagesgeldes für diese Tage an den Versicherungsnehmer verpflichtet.

Wer wir sind

Die Rechtsanwaltskanzlei Benedikt-Jansen, Dorst und Kar ist auf Bank- und Kapitalmarktrecht spezialisiert. Herr Rechtsanwalt Benedikt-Jansen ist seit 13 Jahren Vertrauensanwalt der Schutzgemeinschaft für Bankkunden e. V., einem staatlich anerkannten Verbraucherschutzverband zur Bekämpfung unredlicher Finanzdienstleister (z. B. aus dem Bankensektor, Kapitalanlagesektor, Versicherungen etc.). Die Schutzgemeinschaft für Bankkunden hat seit dem Jahr 2004 zehntausende Fälle rechtsmissbräuchlicher Vertragspraktiken (insbesondere unwirksame Vertragsklauseln) erfolgreich bekämpft. Seit 2010 ist Herr Benedikt-Jansen Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht. Er verfügt über einen außergewöhnlich umfangreichen Schatz an Erfahrungen auf dem Gebiet des bankenrechtlichen Verbraucherschutzes. Für weitere Informationen oder Fragen stehen er und sein Team Ihnen auf seiner Homepage zur Verfügung.


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