Wer hat das Operationstuch vergessen?

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Im Arzthaftungsrecht kann es für den Patienten selbst bei scheinbar klaren Behandlungsfehlern schwierig sein, Schadenersatz zu erhalten. In einem vom Oberlandesgericht Hamm zu entscheidenden Fall war ein Patient in unterschiedlichen Krankenhäusern im Bauchraum operiert worden. Nach den Operationen wurde festgestellt, dass sich im Darm des Patienten ein Operationstuch (Bauchtuch) befand. Der Patient musste sich zur Entfernung des Bauchtuches mehreren Operationen unterziehen. Für den Patienten stellte sich nunmehr die Frage, in welchem Krankenhaus das Tuch bei der Operation im Bauch vergessen worden war. Da dies nicht mehr festzustellen war, verklagte der Patient zunächst das Krankenhaus, welches die erste Operation im Bauchraum vorgenommen hatte. Es konnte jedoch nicht nachgewiesen werden, dass das Tuch ausgerechnet bei dieser Operation im Bauch verblieben war. Im ersten Krankenhaus war insbesondere schriftlich dokumentiert worden, dass alle Bauchtücher nach der Operation entfernt worden waren. Diese schriftliche Dokumentation sah das Gericht als entscheidenden Faktor an. Der Patient konnte somit das Vergessen des Tuches bei der ersten Operation nicht nachweisen und verlor deshalb den Prozess.

Dem Patienten blieb nun nichts anderes übrig, als das zweite Krankenhaus zu verklagen. Auch in diesem Prozess musste jedoch erst einmal nachgewiesen werden, dass während der Operation ein Bauchtuch vergessen worden war. Das Gericht konnte nicht automatisch von einer Haftung des zweiten Krankenhauses nach dem Motto „einer muss es ja schließlich gewesen sein" ausgehen. Der Sachverständige, der die Operation im zweiten Krankenhaus zu beurteilen hatte, ging mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent davon aus, dass das Tuch bei der Operation im zweiten Krankenhaus vergessen worden war. Ausschlaggebend für diese Einschätzung war das Fehlen von schriftlichen Angaben zur Anzahl der Tücher vor und nach der Operation (Zähldokumentation). Im Gegensatz zum ersten Krankenhaus gab es im zweiten Krankenhaus darüber keine Unterlagen. Die Frage war nun, ob dem Gericht eine Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent als Beweis ausreichen würde. Hier kommt die Regelung des § 286 ZPO ins Spiel. Demnach kann das Gericht nach freier Überzeugung darüber entscheiden, ob es eine tatsächliche Behauptung als wahr oder nicht wahr erachtet. Dem Oberlandesgericht Hamm reichte eine Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent aus. Eine naturwissenschaftliche einhundertprozentige Gewissheit sei gerade im medizinischen Bereich nicht zu erlangen. Es genüge das Fehlen vernünftiger Zweifel. Im Ergebnis gewann der Patient daher den zweiten Prozess gegen das zweite Krankenhaus. Er erhielt 15.000 Euro Schmerzensgeld und ca. 3500 Euro als Ersatz für erschwerte Haushaltsführung (Haushaltsführungsschaden). Außerdem wurde das Krankenhaus verurteilt, dem Patienten alle weiteren Schäden zu ersetzen und evtl. noch ein weiteres Schmerzensgeld für noch nicht absehbare gesundheitliche Schäden zu zahlen.

(OLG Hamm, Urteil vom 18.1.2013, Az. I 26 U 30/12)


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