Wir erklären die Anfechtung und den Rücktritt - Wenn die Versicherung nicht leistet

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Sie glauben, Sie haben gut vorgesorgt: Wenn Sie krank werden, können Sie Ihre private Krankenversicherung in Anspruch nehmen und wenn Sie deswegen nicht einmal mehr wie gewohnt arbeiten können, haben Sie Ihre Berufsunfähigkeitsversicherung. Dann kommt der Ernstfall, Sie beantragen Leistungen und statt der Zahlung heißt es plötzlich, Sie hätten damals bei Abschluss der Versicherung die Gesundheitsfragen falsch beantwortet, die Versicherung wirft Ihnen Vorsatz und häufig sogar Arglist vor, tritt zurück und ficht in den meisten Fällen den Vertrag außerdem an. Was steckt dahinter?

Gefahrerheblichkeit

Als Sie den Antrag gestellt haben, bei der Versicherung aufgenommen zu werden, mussten Sie Gesundheitsfragen beantworten. Man muss dabei alle sog. gefahrerheblichen Umstände angeben (§ 19 Abs. 1 VVG). Das ist grundsätzlich alles, wonach explizit gefragt wird. Glücklicherweise vertreten Gerichte jedoch immer wieder eine lebensnähere Einstellung. So hieß es im Fall eines Lebensmittelgeschäftsinhabers (OLG Köln, Urt. v. 30.09.11, 20 U 43/11), dass eine jeweils einmalige Krankschreibung wegen Rückenbeschwerden und wegen einer Sehnenscheidenentzündung von nur einigen Tagen, die auch länger zurücklagen, nicht gefahrerheblich gewesen seien. Das OLG Köln wertete diese Umstände also als nicht erheblich für die Entscheidung des Versicherers, ob er das Risiko, den Betroffenen gegen eine mögliche Berufsunfähigkeit zu versichern, übernehmen wollte.

Mithin hatte der Lebensmittelgeschäftsinhaber schon gar keine Pflicht zur Angabe, gegen die er hätte verstoßen können. Wird ein solcher Pflichtenverstoß jedoch festgestellt, stehen der Versicherung unter Umständen verschiedene Rechte zu.

Rücktritts- und Kündigungsrecht

Hat der Versicherungsnehmer (VN) vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Anzeigepflicht verletzt, darf die Versicherung vom Vertrag zurücktreten (§ 19 Abs. 2, Abs. 3 VVG). 

Dies kann der VN verhindern, wenn er beweisen kann, dass er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt hat. Dies ist bspw. einem VN gelungen, der wegen Schlafstörungen einen Arzt aufsuchte. Der Arzt hatte eine Diagnose gestellt, diese jedoch dem VN nicht mitgeteilt und ihm nur Schlafmittel verordnet. Das entscheidende Gericht ging daher davon aus, dass der VN jedenfalls nicht vorsätzlich die Frage nach einer Behandlung psychischer Leiden in der Vergangenheit verneint hatte (KG, Beschl. v. 08.04.05, 6 U 5/05).

Kann dem VN nur grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden und kein Vorsatz, darf der Versicherer nicht zurücktreten und auch nicht kündigen, wenn er bei korrekter Beantwortung den Vertrag trotzdem, nur zu anderen Bedingungen, abgeschlossen hätte. Rückwirkend kann dann z. B. der Versicherungsschutz für psychische Beschwerden ausgeschlossen werden.

Kann dem VN nur einfache Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, kann die Versicherung den Vertrag nur kündigen. Damit bleibt sie für den bereits eingetretenen Versicherungsfall leistungspflichtig.

Weder Rücktritts- noch Kündigungsrecht stehen dem Versicherer zu, wenn er auf seine Rechte nicht ausreichend in Textform hingewiesen hatte. Dies ist außerdem der Fall, wenn er wusste, dass die Gesundheitsfragen falsch beantwortet worden sind. Dazu kommt es, wenn der VN den Vertrag mit einem Versicherungsvertreter (nicht Makler) abgeschlossen und diesem seine Beschwerden genannt hatte.

Besteht ein Rücktrittsrecht der Versicherung und ist dem VN maximal Vorsatz vorzuwerfen, muss die Versicherung trotzdem leisten, wenn der Grund für die Berufsunfähigkeit nichts zu tun hat mit den nicht angegebenen Beschwerden.

Anfechtungsrecht

Dieser Vorteil steht dem VN dagegen nicht zu, wenn die Versicherung ihm arglistiges Verhalten nachweisen kann und deshalb den Vertrag anfechten darf (§ 22 VVG i. V. m. § 123 BGB). Arglist liegt vor, wenn der VN bewusst die Gesundheitsfragen falsch beantwortet und er zumindest in Kauf genommen hat, dass die Versicherung den Vertrag bei Kenntnis der wahren Umstände nicht oder nur zu anderen Bedingungen geschlossen hätte.

Fristen

Die hier dargestellten fraglichen Rechte der Versicherung stehen ihr nicht unbegrenzt zu. Zurücktreten darf sie nur binnen 5 Jahren nach Abschluss der Versicherung, außer der Leistungsfall ist vor Ablauf der 5 Jahre eingetreten. Bei der privaten Krankenversicherung sind es sogar nur 3 Jahre. Die Anfechtung kann nur binnen 10 Jahren nach Abschluss der Versicherung erklärt werden. Dafür kommt es - im Unterschied zum Rücktritt - auch nicht darauf an, wann der Leistungsfall eingetreten ist.

Sofort fachanwaltliche Hilfe suchen

Sie sehen: Die Sachlage ist reichlich kompliziert. Wenn Ihre Versicherung vom Vertrag zurückgetreten ist oder ihn angefochten hat, sollten Sie sich an einen Fachanwalt oder eine Fachanwältin für Versicherungsrecht wenden, der/ die Ihnen durch das hier nur in der gebotenen Kürze skizzierte komplexe Dickicht hilft. Halten Sie sich nicht vorher mit eigenen Stellungnahmen gegenüber der Versicherung auf. Dies birgt nur die Gefahr, dass Sie unbedarft Angaben machen, welche die Versicherung missversteht und als Bekräftigung Ihres Vorsatzes oder sogar Arglist gegen Sie verwendet.


Rechtsanwältin Amelie von Schoenaich, LL.M. Eur.

Fachanwältin für Versicherungsrecht

Fahr Groß Indetzki

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Tel: 0781 93370



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