Zur Nutzung fremder Grundstücke: Leitungen und Überbauten

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Ein recht aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.05.2014 (Az.: V ZR 181/13) wirft ein Schlaglicht auf eine erfahrungsgemäß streitträchtige Konstellation. Der Bundesgerichtshof hatte sich in diesem Urteil mit der Frage zu befassen, ob ein Grundstückseigentümer die ein Nachbargrundstück versorgenden Stromleitungen auf seinem Grundstück dulden oder deren Beseitigung verlangen kann bzw. hilfsweise berechtigt ist, diese Stromleitungen in seinem Grundstück selbst zu beseitigen.

Die streitgegenständliche Stromleitung war vor Jahrzehnten im Einvernehmen der damaligen Grundstückseigentümer in Eigenregie verlegt worden, also mit ausdrücklicher Zustimmung des damaligen Grundstückseigentümers, in dessen Grundstück das Stromkabel zum Nachbargrundstück verlegt wurde. Nach Jahrzehnten kam es zu Eigentumswechseln hinsichtlich beider betroffener Grundstücke und die Erwerberin des durch das verlegte Stromkabel belasteten Grundstückes verlangte vom insoweit begünstigten Grundstücksnachbarn dessen Beseitigung. Der Bundesgerichtshof entschied, dass ein Eigentümer, der die Inanspruchnahme seines Grundstückes durch ein Nachbargrundstück jahrzehntelang gestattet hat, dadurch nicht das Recht verliere, diese Gestattung zu widerrufen und anschließend seinen Beseitigungsanspruch geltend zu machen.

Der Bundesgerichtshof hielt unter Bezugnahme auf sein weiteres Urteil vom 29.02.2008 (Az.: V ZR 31/07) fest, dass sich eine Duldungspflicht auch nicht aus den früheren Gestattungen eines Grundstücksvoreigentümers ergebe, da derartige Gestattungen einen späteren Grundstückserwerber grundsätzlich nicht binden. Im Übrigen seien anlässlich der Eigentumswechsel keinerlei schuldrechtliche Vereinbarungen getroffen worden, die etwa einen Grundstückserwerb zur Übernahme von Duldungspflichten verpflichtet hätte.

Dabei stellte der Bundesgerichtshof fest, dass in Anwendung der einschlägigen dreijährigen Verjährungsfrist der entsprechende Beseitigungsanspruch des Klägers verjährt sei, dies jedoch nach weiteren Grundsatzentscheidungen des Bundesgerichtshofes vom 28.01.2011 (Az.: V ZR 141/10 und V ZR 147/10) nicht dazu führe, dass er die Belastung seines Grundstückes im Sinne von § 1004 Abs. 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) dulden müsse. Er habe lediglich seinen Anspruch gegen den Grundstücksnachbarn verloren, dass dieser die Beeinträchtigung, also das besagte Stromkabel, beseitigen muss. Ihm sei es jedoch nicht verwehrt, dieses Stromkabel auf seine Kosten bzw. selbst zu entfernen.

Im Übrigen verneinte der Bundesgerichtshof eine Duldungspflicht des belasteten Grundstückseigentümers in dem zu entscheidenden Fall nach den einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften, etwa der AVBEltV (Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden), unter Hinweis darauf, dass es sich nicht um eine von einem Versorgungsunternehmen verlegte Leitung handle. Auch sei keine Leitungsdienstbarkeit für den begünstigten Grundstückseigentümer bestellt worden, sodass auch kein dingliches Recht zur Duldung der Leitung bestehe.

Schließlich konstatierte der Bundesgerichtshof, dass in dem vom ihm entschiedenen Fall auch nicht von einer Verwirkung derartiger Rechte auf Entfernung derartiger Stromleitungen ausgegangen werden könne, obwohl eine vor Jahrzehnten erfolgte Gestattung gegeben sei. Anderenfalls müsse ein Grundstückseigentümer, schon um einen Rechtsverlust durch Verwirkung zu vermeiden, nach einer gewissen Zeitspanne gegen seinen Grundstücksnachbarn vorgehen, auch wenn im Übrigen kein Anlass zum Widerruf der Gestattung bestehe. Zugleich dürfe sich derjenige, der ein Nachbargrundstück nutzt, nicht darauf einrichten, dass der Eigentümer, der diese Nutzungen über einen langen Zeitraum gestattet hat, auch zukünftig auf die Geltendmachung seiner Eigentumsrechte verzichte. Jedenfalls müsse er damit rechnen, dass seine ausschließlich schuldrechtliche Nutzungsbefugnis, die ggf. vor Jahrzehnten erteilt wurde, enden könne.

Grundstücksbelastungen durch einen Grundstücksnachbarn können jedoch neben Leitungsverläufen noch ganz andere Erscheinungsformen haben. So ist etwa an sogenannte Überbauten zu denken. So führt eine exakte Grundstücksvermessung manchmal auch zur Überraschung der Grundstückseigentümer bei der Feststellung, dass Überbauten durch Wohnhäuser oder etwa Nebengelasse wie Garagen festgestellt werden. Wenn sich dann die betroffenen Grundstückseigentümer nicht einigen, etwa über den käuflichen Erwerb der überbauten Grundstücksfläche, kommt es nicht selten dazu, dass der belastete Grundstückseigentümer die Entfernung des Überbaus verlangt bzw. dessen Beseitigung nach einer Ankündigung vornimmt. Diese Konstellationen entstehen erfahrungsgemäß insbesondere dann, wenn es eben zu Eigentumswechseln bei den betroffenen Grundstücksflächen gekommen ist und sich die Neueigentümer eben an irgendwelche Gestattungen ihrer Vorgänger nicht halten möchten und auch nicht einsehen, dass ihr teuer erkauftes Grundstückseigentum teilweise kostenlos durch den Grundstücksnachbarn genutzt wird.

Im Fall von Überbauten, also grenzüberschreitenden Gebäuden, ist allerdings in besonderer Weise die Vorschrift des § 912 BGB zu beachten. Danach hat der Nachbar eines Grundstückseigentümers den Überbau zu dulden, wenn der Eigentümer anlässlich der Errichtung weder vorsätzlich noch grob fahrlässig handelte, es sei denn, dass der Nachbar vor oder sofort nach der grenzüberschreitenden Bebauung dagegen Widerspruch erhoben hat. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass der Bundesgerichtshof von einem Bauherren, der ersichtlich im Bereich der Grundstücksgrenze baut, verlangt, den Grenzverlauf vor seiner Baumaßnahme zuverlässig, ggf. unter Einschaltung eines Vermessungsingenieurs, zu ermitteln – also alles Zumutbare zu tun, um eine Grenzverletzung zu vermeiden. Die Erfahrung zeigt, dass derart exakte und verlässliche Feststellungen durch Bauherren häufig nicht getroffen werden, sodass sie sich zumindest grob fahrlässiges Handeln im Sinne der genannten Vorschrift vorwerfen lassen müssen. Deshalb wird es eher der Regelfall sein, dass eine Duldungspflicht des durch die Überbauung belasteten Grundstückseigentümers gem. § 912 BGB nicht besteht und damit mangels einer Duldungspflicht ein Beseitigungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB in Betracht kommt.

Wie oben im Zusammenhang mit der Leitungsproblematik bereits erwähnt, führt eine grundsätzliche Verjährung des Beseitigungsanspruches nicht dazu, dass der betroffene Grundstückseigentümer den Überbau zu dulden hätte. Vielmehr darf er diesen rechtsirrigen Zustand selbst bzw. auf eigene Kosten beseitigen. Dass dieses etwa bei Teilabriss von Gebäuden faktisch äußerst problematisch ist und sicherlich unter äußerster Rücksichtnahme vorzunehmen wäre, versteht sich.

Schließlich darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass die nachbargesetzlichen Vorschriften der Länder, insbesondere im Zusammenhang mit Anpflanzungen, Grenzeinfriedungen und Leitungen Duldungspflichten enthalten, die einen Beseitigungsanspruch gem. § 1004 Abs. 1 BGB ausschließen können.

Hinweis: Derartige nachbarschaftliche Konflikte sollten möglichst weitsichtig und defensiv ausgetragen werden, um zumindest ein neutrales nachbarschaftliches Verhältnis, das Mindestvoraussetzung für ein ungestörtes Leben auf dem eigenen Grundstück ist, dauerhaft aufrechtzuerhalten. Auch sollten schiedsgerichtliche Hilfen nicht unberücksichtigt bleiben.

RA Arno Wolf

RA Arno Wolf, Fachanwalt für Erbrecht, Tätigkeitsschwerpunkt Bank- und Kapitalmarktrecht, Tel. (0351) 80 71 8-80, wolf@dresdner-fachanwaelte.de

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