Achtung: BGH wertet Auskunftsanspruch auf!

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Auskunfts-Anspruch jetzt mit ungeahnter Reichweite - insb. Arbeitgeber sollten wachsam sein.


Jeder weiß, dass die DSGVO Auskunftsansprüche beinhaltet  - der BGH hat nun aber die Reichweite präzisiert und extrem ausgedehnt. Für Arbeitnehmer evtl. nützlich - insb. für Arbeitgeber aber ggf. ärgerlich, teuer und mitunter haftungsträchtig.

Hier geht es zum: Urteil des BGH


Nach Inkraftreten der DSGVO wurde diese gehyped, nur um dann festzustellen, dass auch hier nicht so heiß gegessen wie gekocht wird. Nun hat der BGH eine kleine Sprengladung gezündet und den Auskunftsanspruch extrem aufgewertet. Das ist für Unternehmen ärgerlich, gefährlich und teuer. Es drohen Haftung, Schadensersatzzahlungen und Bußgelder. Für Arbeitnehmer kann sich hier eine neue Quelle der Datenbeschaffung auftun.

Hintergrund und Kernpunkte der Entscheidung

Der Kläger hatte 1997 eine Lebensversicherung abgeschlossen. Im Rahmen eines Rechtsstreits forderte der Versicherungsnehmer eine Datenauskunft an. Die Beklagte antwortete darauf auch, der Kläger hielt die Auskunft indes für unvollständig. Er erhob daher Klage auf Erteilung der Auskunft. Er beantragte auch die Überlassung von Kopien und hilfsweise die Versicherung an Eides statt, dass die Auskunft richtig und vollständig ist. Außerdem forderte er die Feststellung, dass sich der Auskunftsanspruch

„auf sämtliche bei der Beklagten tatsächlich über den Kläger vorhandene Daten erstreckt, einschließlich der intern zur Person des Klägers und der mit ihm gewechselten Korrespondenz (einschließlich E-Mails), der internen Telefon- und Gesprächsnotizen und sonstigen internen Vermerke der Beklagten zu dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsverhältnis und auch der internen Bewertungen der Beklagten zu den Ansprüchen des Klägers aus der streitgegenständlichen Versicherungspolice.“

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht hat die Berufung und die Revision hinsichtlich der Frage des Umfangs des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DSGVO zugelassen. Der BGH hat nun entschieden. Nachstehend die hier relevanten Passagen:

Zunächst wurde festgestellt, dass der Auskunftsanspruch nicht vollständig erfüllt wurde und der Kläger daher Anspruch auf die begehrte weitere Auskunft hat. Die DSGVO war hier direkt anwendbar (was an sich klar ist, aber nochmals betont wurde). 

"Nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und bestimmte weitere Informationen. Gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DS-GVO stellt der Verantwortliche eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung."

Interessant ist dann aber die Ausführung zur Frage, ob der Anspruch „erfüllt“ wurde: Dabei sei entscheidend, ob der Schuldner mit der Auskunft habe erfüllen wollen. Die inhaltliche Richtigkeit oder die objektiv feststellbare Vollständigkeit sind indes nicht maßgeblich.

"(1) Erfüllt im Sinne des § 362 Abs. 1 BGB ist ein Auskunftsanspruch grundsätzlich dann, wenn die Angaben nach dem erklärten Willen des Schuldners die Auskunft im geschuldeten Gesamtumfang darstellen. Wird die Auskunft in dieser Form erteilt, sieht ihre etwaige inhaltliche Unrichtigkeit einer Erfüllung nicht entgegen. Der Verdacht, dass die erteilte Auskunft unvollständig oder unrichtig ist, kann einen Anspruch auf Auskunft in weitergehendem Umfang nicht begründen. Wesentlich für die Erfüllung des Auskunftsanspruchs ist daher die - gegebenenfalls konkludente - Erklärung des Auskunftsschuldners, dass die Auskunft vollständig ist (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2020 - III ZR 136/18, GRUR 2021, 110 Rn, 43 mwN)."

Der BGH meint weiter, wenn ein Schuldner zu gewissen Punkte keine Angaben gemacht hat, habe der zur Auskunft verpflichtete, gerade nicht vollständig Auskunft geben wollen – und also nicht erfüllen wollen.

"Die Annahme eines derartigen Erklärungsinhalts setzt demnach voraus, dass die erteilte Auskunft erkennbar den Gegenstand des berechtigten Auskunftsbegehrens vollständig abdecken soll. Daran fehlt es beispielsweise dann, wenn sich der Auskunftspflichtige hinsichtlich einer bestimmten Kategorie von Auskunftsgegenständen nicht erklärt hat, etwa weil er irrigerweise davon ausgeht, er sei hinsichtlich dieser Gegenstände nicht zur Auskunft verpflichtet. Dann kann der Auskunftsberechtigte eine Ergänzung der Auskunft verlangen (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1952 - IV ZR 45/50 und - IV ZR 16/51, BeckRS 1952, 103508 Rn. 28 f.; Bittner/Kolbe in Staudinger, BGB, Neubearb. 2019, § 260 Rn. 36 und § 259 Rn. 32)."

Vorliegend hatte die Versicherung zwar Auskünfte erteilt, der Kläger hatte aber weitergehende Auskünfte verlangt und

„sein Auskunftsbegehren angesichts der bereits erteilten Auskünfte unter anderem dahingehend präzisiert, dass er weitergehende Auskünfte hinsichtlich der gesamten noch nicht mitgeteilten Korrespondenz der Parteien, einschließlich der Daten des vollständigen Prämienkontos und etwaig erteilter Zweitschriften und Nachträge zum Versicherungsschein, sowie Datenauskünfte bezüglich sämtlicher Telefon-, Gesprächs- und Bewertungsvermerke der Beklagten zum Versicherungsverhältnis fordere.“ 

Mit anderen Worten: der Kläger wollte alle Informationen, sogar rein interne Unterlagen. Insoweit sei nicht erkennbar gewesen, dass die Versicherung eine vollständige Auskunft habe erteilen wollen – mithin wurde der Anspruch nicht erfüllt.

Und nun öffnet der BGH die Büchse der Pandora und stellt fest, wie extrem weitreichend der Auskunftsanspruch ist. Zunächst zur Definition gem. Art. 4 DSGVO:

"(a) Gemäß Art. 4 Nr. 1 Halbsatz 1 DS-GVO sind "personenbezogene Daten" alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Nach dieser Definition und der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist der Begriff weit zu verstehen. Er ist nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen, unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen über die in Rede stehende Person handelt. Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist (vgl. - noch zu Art, 2 lit. a der Richtlinie 95/46/EG - EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 - Rs. C-434/16NJW 2018, 767 Rn. 33-35 mwN; Art.-29-Datenschutzgruppe, Stellungn. 4/2007, WP 136, 10 ff.; zu Art. 4 Nr. 1 DS-GVO vgl. Arning/Rothkegel in Taeger/Gabel, DS-GVO/BDSG, 3. Aufl. 2019, Art. 4 DS-GVO Rn. 8 ff. mwN; Klar/Kühling in Kühling/Buchner, DS-GVO/BDSG, 3. Aufl. 2020, Art. 4 Nr. 1 DS-GVO Rn. 11 ff.; Klabunde in Ehmann/Selmayr, DS-GVO, 2. Aufl. 2018, Art. 4 Rn. 10 f.)."

Der BGH stellte dabei klar, dass dieser Begriff weit zu verstehen ist. Es komme gerade – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – nicht darauf an, ob es um „signifikante biografische Informationen" gehe, die "im Vordergrund" des fraglichen Dokuments stünden“. Ausreichend ist, dass der Auskunftsberechtigte sich der Daten bewusst werden könne und ggf. deren Rechtmäßigkeit prüfen könne:

„Nach Erwägungsgrund 63 Satz 1 der DS-GVO dient das Auskunftsrecht der betroffenen Person hinsichtlich der sie betreffenden personenbezogenen Daten dem Zweck, sich der Verarbeitung (zum Begriff vgl. Art. 4 Nr. 2 DS-GVO; zu dem vom sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung erfassten Bereich der Verarbeitung vgl. Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Nr. 6 DS-GVO) bewusst zu sein und deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können.

Und dem entsprechend können auch interne Unterlagen gerade nicht (jedenfalls nicht kategorisch) vom Anwendungsbereich ausgeschlossen werden:

„(b) Nach diesen Grundsätzen können entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts die zurückliegende Korrespondenz der Parteien, das "Prämienkonto" des Klägers und Daten des Versicherungsscheins sowie interne Vermerke und Kommunikation der Beklagten nicht kategorisch vom Anwendungsbereich des Art. 15 Abs. 1 DS-GVO ausgeschlossen werden.“

Eine Einschränkung wurde allerdings insoweit gemacht, als dass „rechtliche Analysen“ und „Daten über Provisionszahlungennicht unbedingt erfasst sind:

„Soweit der Kläger Auskunft über die internen Bewertungen der Beklagten zu den Ansprüchen des Klägers aus der streitgegenständlichen Versicherungspolice verlangt, ist allerdings zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union rechtliche Analysen zwar personenbezogene Daten enthalten können, die auf der Grundlage dieser personenbezogenen Daten vorgenommene Beurteilung der Rechtslage selbst aber keine Information über den Betroffenen und damit kein personenbezogenes Datum darstellt (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Juli 2014 - Rs. C-141/12 und C-372/12CR 2015, 103 Rn. 39 ff.). Daten über Provisionszahlungen der Beklagten an Dritte haben nach den vom Europäischen Gerichtshof entwickelten Kriterien ebenfalls keinen Bezug zur Person des Klägers, sein nach dem Vorbringen der Revision auch hierauf gerichtetes Auskunftsbegehren kann der Kläger daher nicht auf die DS-GVO stützen.“

Sodann folgten noch einige prozessuale Erwägungen. Der BGH stellte dazu fest, dass die Klage auch hinreichend bestimmt und damit zulässig war. Zur Ermittlung des Begehren des Klägers sei nämlich nicht nur auf den Antrag selbst, sondern auch auf die Begründung abzustellen.

„Danach besteht im Streitfall kein Zweifel, dass der Kläger nicht irgendeine "Datenauskunft" (so der Antragswortlaut) verlangt, sondern eine Auskunft über die von der Beklagten verarbeiteten, ihn betreffenden personenbezogenen Daten gemäß Art. 15 Abs. 1 DS-GVO. Auch die Reichweite dieses Begehrens ist hinreichend bestimmt. Dabei kann dahinstehen, ob insoweit nicht schon das Verlangen einer "vollständigen" Auskunft genügt, weil sich deren Umfang letztlich aus dem Gesetz ergibt (in diesem Sinne König, CR 2019, 295 Rn. 9-11; aA wohl Schulte/Welge, NZA 2019, 1110, 1112), Denn spätestens im Berufungsverfahren hat der Kläger - wie bereits ausgeführt - dargelegt, welche konkreten Auskünfte er (noch) begehrt.“

Auswirkungen für die Praxis

Das Urteil dürfte insb. im Arbeitsrecht Auswirkungen haben. Unter Arbeitnehmern ist seit längerem die Tendenz zu beobachten, dass im Rahmen von Kündigungsschutzklage auch datenschutzrechzliche Auskunftsansprüche geltend gemacht werden. Mitunter erfolgt dies wohl auch, um evtl. in den Genuss von Schmerzensgeldzahlungen für unvollständige oder verspätete Auskünfte zu spekulieren. Oftmals bietet das Verhalten eines Arbeitgebers aber auch Anlasse für derartige Anfragen.

Für Arbeitnehmer dürfte dieses Urteil günstig sein. Das Arbeitsgericht Düsseldorf hatte kürzlich für eine unvollständige und verspätete Auskunft einen immateriellen Schadensersatz i. H. v. 5.000,- Euro zugesprochen. Andere Gerichte (LG Bonn, Urt. v. 01.07.2021 zum AZ  15 O 372/20 und OLG Bremen, Beschluss v. 16.7.2021 zum AZ 1 W 18/21) waren da deutlich zurückhaltender und haben Klagen abgewiesen. Da es hier im Kern um direkt anwendbares Europarecht geht, dürfte hier das letzte Wort noch lange nicht gesprochen sein - irgendwann wird der EuGH diese Fragen wohl klären (müssen).

Für Arbeitgeber sollte dieses Urteil daher Anlass sein, die eigenen Strukturen zu prüfen und zu prüfen, ob man in der Lage ist, eine solche Anfrage entsprechend zu beantworten. Einerseits natürlich in rechtlicher Hinsicht, andererseits aber auch in tatsächlicher Hinsicht. 

Fazit

Wenn Sie als Arbeitnherm oder sonst als natürliche Person einen Auskunftsanspruch durchsetzen möchten, helfen wir Ihnen gerne.

Dringender ist unseres Erachtens aber der Handlungsbedarf für Arbeitgeber und andere Unternehmen. Soweit Sie Fragen zur Thematik haben, stehen wir Ihnen gerne zur Seite. Sprechen Sie uns. Wir helfen Ihnen. 


Daniel B. Jutzi

Rechtsanwalt & Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kanzlei Haverkamp Osnabrück



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