Aufenthaltsstatus ukrainischer Geflüchteter bei abgelaufenen Pässen

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Die ukrainische Regierung hat die Ausstellung sowie die Verlängerung von Inlands- oder Reisepässen im Ausland für ukrainische Männer zwischen 18 und 60 Jahren, die der Wehrpflicht unterliegen, verboten. Die entsprechenden Änderungen wurden am 23. April 2024 verabschiedet.


In den russisch- bzw. ukrainischsprachigen Medien kursierte die Nachricht, dass die Deutsche Welle auf Nachfrage eine Auskunft des Berliner Senats erhalten haben soll, wonach die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltsstatus an die ukrainischen Geflüchteten nicht von der Gültigkeit derer nationaler Pässe abhänge. Hauptsache sei, dass man die Möglichkeit habe die Identität der betroffenen Person in irgendeiner Weise feststellen zu können.


Meine Suche in den deutschsprachigen Medien verlief bisher ohne Ergebnis. Weder auf der Seite der Deutschen Welle noch des Berliner Senats war etwas davon zu lesen.


Da ich in meinem Beruf als Rechtsanwalt mich nicht nur auf Zeitungsartikel berufen kann, wandte ich mich sowohl an den Berliner Senat als auch an die Deutsche Welle und bat um weitergehende Informationen, am besten um die komplette Antwort der Behörde. Von dem Berliner Senat habe ich bislang keine Antwort erhalten. Ein Mitarbeiter der Deutsche Welle meldete sich hingegen sehr schnell und stellte mir die offiziellen Informationen zur Verfügung.


Es stellte sich dabei heraus, dass die offizielle Antwort nicht vom Berliner Senat kam, sondern von dem Landesamt für Einwanderung (LEA) in Berlin. Diese Behörde hat in der Tat bestätigt, dass die Erteilung und Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zum vorübergehenden Schutz für Geflüchtete aus der Ukraine von Gesetzes wegen nicht den Besitz eines gültigen Passes voraussetzen, solange die Identität anderweitig geklärt werden kann. Das Aufenthaltsrecht in Deutschland und alle damit verbundenen Rechte blieben unabhängig von einer solchen Entscheidung der ukrainischen Regierung bestehen.


Weiter teilte die Behörde mit, sollte einem ukrainischen Staatsangehörigen allein wegen des nicht abgeleisteten Wehrdienstes die Ausstellung oder Verlängerung seines ukrainischen Passes von den ukrainischen Botschaften und Konsulaten verwehrt werden, so werde das Landesamt für Einwanderung nur im Ausnahmefall für internationale Reisen oder den Grenzübertritt geeignete Ersatzdokumente ausstellen. Die Aufenthaltsverordnung gebe den Ausländerbehörden auf, Wehrpflichtigen nur beim Nachweis von zwingenden Gründen ein deutsches Ersatzdokument auszustellen. Die Wehrpflicht zähle rechtlich zu den zumutbaren staatsbürgerlichen Pflichten. Entsprechende gebührenpflichtige Anträge auf Ausstellung eines deutschen Reiseausweises würden intensiv geprüft und in der Regel ablehnend beschieden werden müssen.


Diese Auskunft könnte auf den ersten Blick für Verwunderung sorgen. Denn man könnte darin eine Ungleichbehandlung sehen. Wenn wir uns an die Situation erinnern als vor allem in den ersten Monaten seit Kriegsbeginn in der Ukraine viele ukrainische Geflüchtete keine Pässe bei sich hatten, so verwiesen die hiesigen Ausländerbehörden zwar darauf, man solle einen neuen ukrainischen Pass bei der ukrainischen Botschaft beantragen. Da man jedoch auch um die Auslastung der ukrainischen Botschaft wusste und eine Reise in die Ukraine unzumutbar war, stellten die Ausländerbehörden grundsätzlich Reiseausweise für Ausländer aus. Warum sollte also eine Person, die die Ausstellung oder Verlängerung ihres ukrainischen Passes wünscht, dies aber aufgrund der aktuellen Gesetzeslage nicht mehr in der ukrainischen Botschaft erledigen kann, nicht auch einen Reiseausweis für Ausländer von der Ausländerbehörde erhalten können? Die Situation scheint doch ähnlich wie bei den Geflüchteten zu sein, die bei ihrer Ankunft keine Pässe hatten.


Nun, tatsächlich ist dies rechtlich gesehen eine andere Situation und die Antwort darauf lässt sich in den entsprechenden Gesetzen nachlesen.


Schauen wir uns einmal die Gesetzeslage im Näheren an:


Nach § 5 Absatz 1 Aufenthaltsverordnung kann einem Ausländer, der nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzt und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen kann, nach bestimmten Maßgaben ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden.


Als zumutbar im Sinne des Absatzes 1 gilt es insbesondere, die Wehrpflicht, sofern deren Erfüllung nicht aus zwingenden Gründen unzumutbar ist, und andere zumutbare staatsbürgerliche Pflichten zu erfüllen.


Die Wehrpflicht zählt also – wie ein Sprecher des LEA gegenüber der Deutsche Welle zutreffend mitgeteilt hatte – rechtlich zu den zumutbaren staatsbürgerlichen Pflichten. Allein wegen der in der Ukraine bestehenden Wehrpflicht kann dem Antragsteller also noch kein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden.


Weiter heißt es in § 5 Absatz 3 Aufenthaltsverordnung:


Ein Reiseausweis für Ausländer wird in der Regel nicht ausgestellt, wenn der Herkunftsstaat die Ausstellung eines Passes oder Passersatzes aus Gründen verweigert, auf Grund derer auch nach deutschem Passrecht, insbesondere nach § 7 des Passgesetzes oder wegen unterlassener Mitwirkung nach § 6 des Passgesetzes, der Pass versagt oder sonst die Ausstellung verweigert werden kann. 


Die Ukraine verweigert die Ausstellung oder die Verlängerung von Pässen für wehrpflichtige Männer, weil in der Ukraine Krieg herrscht. Es müsste also eine vergleichbare Gesetzesregelung auch in Deutschland geben, auf die sich die Ausländerbehörden berufen könnten, um entsprechende Anträge auf Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer ablehnen zu können. Und tatsächlich gibt es eine solche Regelung.


So in § 7 Passgesetz:


Der Pass ist zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passbewerber […] als Wehrpflichtiger ohne die nach […] § 48 Absatz 2 des Wehrpflichtgesetzes erforderliche Genehmigung des Kreiswehrersatzamtes die Bundesrepublik Deutschland verlassen will… 


Schauen wir uns also den § 48 Wehrpflichtgesetz an, auf den das Passgesetz Bezug nimmt.


Dort steht unter anderem, dass im Verteidigungsfall männliche Personen, die das 17. Lebensjahr vollendet haben, auf Anordnung der Bundesregierung die Genehmigung des zuständigen Karrierecenters der Bundeswehr einzuholen haben, wenn sie die Bundesrepublik Deutschland verlassen wollen (vgl. § 48 Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 b in Verbindung mit § 48 Absatz 2 Wehrpflichtgesetz).


Der Begriff „Verteidigungsfall“ ist eindeutig im Grundgesetz definiert (Art. 115 a Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz):


Die Feststellung, dass das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates.


Im Falle eines Krieges in Deutschland könnten also die zuständigen Behörden ebenfalls deutschen Wehrpflichtigen die Ausstellung eines Passes versagen.


Also kann die Ausländerbehörde auch einem ukrainischen Wehrpflichtigen die Ausstellung eines Reiseausweises für Ausländer unter Berufung insbesondere auf den § 5 Absatz 3 Aufenthaltsverordnung (siehe oben) verweigern.


Im § 5 Absatz 3 Aufenthaltsverordnung heißt es aber explizit „Ein Reiseausweis für Ausländer wird in der Regel nicht ausgestellt, …“


Diese Formulierung bedeutet, dass es auch Ausnahmen von der Regel gibt, in denen ein solcher Reiseausweis dennoch erteilt werden kann. Solche Fälle werden gründlich geprüft und es empfiehlt sich vor Antragstellung juristischen Rat einzuholen beziehungsweise für die Beantragung eines Reiseausweises für Ausländer einen Rechtsanwalt / eine Rechtsanwältin zu beauftragen.



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