Auslegung von Willenserklärungen – Die falsa demonstratio non nocet im Grundstücksrecht

  • 7 Minuten Lesezeit

Nach dem Grundsatz der Privatautonomie kann jede Person ab dem Eintritt der Volljährig-
keit grundsätzlich unbeschränkt und nach freiem Belieben rechtserhebliche Erklärungen ab-
geben. Für den Abschluss von Verträgen gibt das Zivilrecht den Vertragsparteien einige Re-
geln mit an die Hand, die es zu beachten gilt. Probleme können sich insbesondere dann erge-
ben, wenn eine rechtserhebliche Erklärung abgegeben wird, deren Inhalt sich nicht zweifels-
frei ermitteln lässt oder das von den Parteien Erklärte übereinstimmt, die Parteien dem Er-
klärten jedoch eine falsche Bedeutung beigemessen haben.

Der folgende Beitrag widmet sich diesen Problemen und gibt Aufschluss darüber, mit wel-
chem Inhalt ein Vertrag in den genannten Fällen zustande kommt.

Zustandekommen eines Vertrags durch Angebot und Annahme

Wenn zwei Personen einen Vertrag abschließen wollen, müssen sie zwei hierauf gerichtete
Willenserklärungen in Gestalt von Angebot und Annahme abgeben.
Das Angebot ist die zeitlich frühere Erklärung, durch die der Anbietende der anderen Partei
einen Vertragsschluss derart anträgt, dass das Zustandekommen des Vertrags nur noch von
deren Einverständnis abhängt. Das Angebot muss also bereits alle wesentlichen Vertragsbe-
standteile des Vertrags wie etwa bei einem Kaufvertrag das Kaufobjekt und den Kaufpreis
enthalten.

Der Erklärungsempfänger muss seinerseits die Annahme erklären, indem er dem Antragen-
den sein vorbehaltsloses Einverständnis mit dem angetragenen Vertragsschluss zu verstehen
gibt. Wenn sich Angebot und Annahme sowohl nach dem Willen der Parteien als auch nach dem
objektiv erkennbaren Inhalt der Erklärungen entsprechen, kommt der Vertrag zustande.

Auslegung von Willenserklärungen

Probleme können sich dann ergeben, wenn eine oder beide Erklärungen unklar formuliert
sind, sodass ihnen nicht ohne Weiteres das von den Erklärenden eigentlich Gewollte ent-
nommen werden kann. Um einen solchen Fall handelt es sich etwa dann, wenn Person A erklärt, sie wolle an Person B die Parzelle am Ende der Straße X übereignen, sich am Ende der
Straße aber zwei Parzellen auf gleicher Höhe befinden, sodass für Person B aus der Erklärung
der Person A nicht eindeutig ersichtlich wird, auf welche Parzelle sich die Erklärung bezieht.

Wenn eine Willenserklärung auf einen Vertragsschluss gerichtet ist und das objektiv Erklärte
von dem subjektiv Gewollten abweicht, kommen die Auslegungsregeln gemäß §§ 133, 157
BGB ins Spiel. Nach diesen Vorschriften ist eine Willenserklärung nach dem objektiven Emp-
fängerhorizont so auszulegen, wie sie eine vernünftige Person an Stelle des Empfängers nach
Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen würde. Es kann also sein,
dass der Erklärung ein ganz anderer Inhalt beigemessen wird, als es der Erklärende eigentlich
bezweckt hat. In diesem Fall muss sich der Erklärende zunächst trotzdem an dem durch die
Auslegung ermittelten Erklärungsinhalt festhalten lassen, da zugunsten des Erklärungsemp-
fängers dem Schutz des Rechtsverkehrs vor der Privatautonomie des Erklärenden ein Vor-
rang eingeräumt wird.

In dem genannten Beispiel wäre also zu ermitteln, welche Parzelle am Ende der Straße X die
Person A aus Sicht einer vernünftigen Person an Person B übereignen wollte. Bei der Ermitt-
lung des Erklärungsinhalts wären auch äußerlich erkennbare Umstände, wie etwa Hinweise
auf die genaue Umgebung oder Gestaltung der zu übereignenden Parzelle zu berücksichti-
gen. Die Willenserklärung wird dann trotz ursprünglicher Unklarheiten mit dem ausgelegten
Erklärungsinhalt wirksam.

Der Grundsatz der falsa demonstratio non nocet

Eine Ausnahme zu den gemäß §§ 133, 157 BGB geltenden Auslegungsregeln bildet die soge-
nannte „falsa demonstratio non nocet“. Der aus dem Lateinischen stammende Begriff be-
deutet „eine falsche Bezeichnung schadet nicht“ und soll der Problematik begegnen, dass
beide Vertragsparteien einem Vertragsinhalt übereinstimmend eine falsche Bedeutung bei-
messen, wenn die Parteien also eigentlich das Gleiche ausdrücken wollen, es im Vertrag aber
unbewusst falsch benannt oder bezeichnet wird. Anders als bei der Auslegung einer Willens-
erklärung messen die Parteien dem Gesagten keine unterschiedliche Bedeutung bei, sondern
unterliegen demselben Irrtum.


Die Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont trägt dem Umstand Rechnung, dass
der Erklärungsempfänger, also derjenige, gegenüber dem eine zum Vertragsschluss führende
Erklärung wirksam werden soll, in seinem Vertrauen auf den redlicherweise so verstandenen
Inhalt der Erklärung geschützt werden soll. Wenn der Erklärungsempfänger wegen einer
übereinstimmenden Falschbezeichnung den tatsächlichen Willen des Erklärenden kennt,
dann bedarf er eines solchen Schutzes nicht. Es gilt daher der Grundsatz „falsa demonstratio
non nocet“, eine übereinstimmende Falschbezeichnung schadet nicht.

Die falsa demonstratio non nocet im Zusammenspiel mit § 311b Abs. 1 S. 1 BGB

Ein Beispiel aus dem Grundstücksrecht: Im Rahmen der Vertragsverhandlungen einigen sich
die Parteien auf den Verkauf zweier Parzellen zu einem bestimmten Preis und geben beim
Abschluss des notariellen Kaufvertrags entsprechende Erklärungen ab. Im Kaufvertrag wird
jedoch nur eine Parzelle erwähnt. Es ist fraglich, ob aus dem Kaufvertrag auch ein Anspruch
des Käufers auf Übereignung der nicht im Kaufvertrag aufgeführten Parzelle besteht. Nach
der bereits beschriebenen Auslegungsausnahme der falsa demonstratio non nocet müsste
das von beiden Parteien tatsächlich Gewollte (Abschluss eines Kaufvertrags über zwei Parzel-
len) und nicht das objektiv Erklärte (Abschluss eines Kaufvertrags über eine Parzelle) ver-
bindlich geworden sein, sodass dem Käufer ein Anspruch auf Übereignung beider Parzellen
zustünde. Problematisch ist in diesem Fall jedoch die Regelung des § 311b Abs. 1 S. 1 BGB. Diese Vor-
schrift bestimmt, dass ein Vertrag, durch den sich eine Vertragspartei dazu verpflichtet, das
Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, der notariellen Beurkun-
dung bedarf. Wird § 311b Abs. 1 S. 1 BGB außer Acht gelassen, bestimmt § 125 S. 1 BGB die
Nichtigkeit des geschlossenen Vertrags.

Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet das: Nach dem Grundsatz der falsa demons-
tratio non nocet ist Vertragsinhalt die Übereignung von zwei Parzellen. Dem § 311 Abs. 1 S. 1
BGB wird jedoch nicht insgesamt entsprochen, sondern nur in Bezug auf eine Parzelle. Ge-
mäß § 125 S. 1 BGB würde das die Nichtigkeit des geschlossenen Vertrags für eine der bei-
den Parzellen bedeuten, sodass im Ergebnis nur ein Anspruch auf Übereignung der im Ver-
trag aufgeführten Parzelle bestünde.

Bevor man dieses Ergebnis als abschließend erachtet, sollte jedoch das Zusammenwirken
von der Falschbezeichnung und der Beurkundungsbedürftigkeit, insbesondere der Zweck
des § 311b Abs. 1 S. 1 BGB in den Blick genommen werden: Gegen eine Wirksamkeit des
Kaufvertrags sprechen Aspekte der Rechtssicherheit. Räumte man dem von den Parteien tat-
sächlich Gewollten den Vorrang vor § 311b Abs. 1 S. 1 BGB ein, drohte die Gefahr einer Um-
gehung des von der Vorschrift Konstituierten. Die Parteien könnten versuchen den ursprüng-
lich notariell beurkundeten Inhalt unter Berufung auf einen angeblichen Fall der falsa de-
monstratio non nocet nachträglich zu verändern. Dieser Gefahr kann nur begegnet werden,
indem bereits aus der Urkunde zumindest andeutungsweise hervorgeht, was die Parteien
tatsächlich meinten. Einer solchen Auslegung steht jedoch der Sinn und Zweck des § 311b
Abs. 1 S. 1 BGB, der insbesondere eine Warn- und Beratungsfunktion verfolgt und sicherstel-
len soll, dass sich die Vertragsparteien über die Reichweite ihres Handelns im Klaren sind
und eine hierauf gerichtete notarielle Beratung erhalten.

Hervorzuheben ist auch die der Formvorschrift zukommende Funktion, auch nach gewisser
Zeit anhand der Urkunde Abschluss und Inhalt des Vertrags nachweisen zu können (sog.
Nachweisfunktion). Konsequenz: Obwohl in dem notariell beurkundeten Vertrag nur eine
Parzelle als Vertragsgegenstand festgehalten wurde, erhielten die Parteien eine rechtliche
Beratung durch einen Notar.Der Warn- und Beratungsfunktion wurde somit entsprochen, sodass sich eine Ausnahme von § 125 S. 1 i.V.m. § 311b Abs. 1 S. 1 BGB annehmen ließe.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich allein aus dem Inhalt der Urkunde der ge-
naue Vertragsgegenstand nicht ergibt, da der Nachweisfunktion auch durch Hinzuziehen au-
ßerhalb der Urkunde liegender Umstände entsprochen werden kann. In der Endkonsequenz
bedeutet das, dass die von § 311b Abs. 1 S. 1 BGB angeordnete Formbedürftigkeit dem
Grundsatz der falsa demonstratio non nocet nicht entgegensteht, sodass zwischen den Par-
teien ein Vertrag über zwei Parzellen zustande gekommen ist und der Käufer einen Anspruch
auf die Übereignung beider Parzellen hat.

Fazit

Die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB und der Grundsatz der „falsa demonstratio non
nocet“ gewähren einen kleinen Einblick in die Wertungen, durch die das Zivilrecht geprägt
ist. Wirft man einen genaueren Blick auf die Mechanismen, die das Zustandekommen eines
Vertrags bedingen, wird klar, dass bereits Marginalien einen großen Unterschied bedeuten
und rechtserhebliche Erklärungen sehr fehleranfällig sein können. Schafft man sich jedoch
ein Bewusstsein für das Zusammenwirken von dem tatsächlich gewollten Erklärungsinhalt
und dem Erklärungsinhalt, der für den Erklärungsempfänger wahrnehmbar war, können
schwerwiegende Fehler leicht vermieden werden.



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